Umweltauflagen aus dem Weg geräumt: Ohio schafft Jobs – egal wie
Die Wirtschaft des US-Bundesstaates boomt. Mit Einsparungen im Sozialbereich und arbeitnehmerfeindlicher Politik wurde der Aufschwung erkauft. Obama profitiert davon.
COLUMBUS taz | Es geht aufwärts in Ohio. Die Arbeitslosenzahl ist seit Herbst um mehr als 100.000 gesunken, die Autoindustrie – Chrysler, Ford und General Motors – boomt, die Zulieferbetriebe planen neue Investitionen.
Der aus Kalifornien importierte Mark Kvamme, der in Ohio zuständig für Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung ist, versichert, dass mehrere Unternehmen, die ihre Fabriken nach Mexiko und China verlagert hatten, demnächst in den Industriestaat im Mittleren Westen zurückkehren wollen.
Kvamme hat als Risikokapitalanleger, im Marketing und im Management gearbeitet, bevor er im vergangenen Jahr von Silicon Valley hierhergezogen ist. Geholt hat ihn sein alter Freund John Kasich, dank der Tea Party seit November 2010 Gouverneur von Ohio. Der zahlt Kvamme genau das Gehalt, das der verlangt hat: einen Dollar pro Jahr. „So ein Angebot kann man nicht ablehnen“, sagt der Kalifornier.
Kvamme und Kasich modeln Ohio um. Im vergangenen Jahr hat der Gouverneur – erstmals in den USA – ein komplettes Gefängnis verkauft. Er hat mehr als 7.000 Lehrer entlassen, die Ausgaben für Altenpflege und Behindertenversorgung gekürzt. Und er hat – auch das eine Premiere – das Ministerium für Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung privatisiert. Seitdem kommen die Finanzen aus dem Alkoholverkauf.
Der kurze Dienstweg
„Man soll nie eine gute Rezession verschwenden“, sagt Kvamme. Und erzählt, wie er Investitionshemmnisse wie Umweltauflagen per Telefonat aus dem Weg räumt: Ein Fuhrunternehmer will einen Betrieb eröffnen. Aber in Ohio darf er Laster nur mit 36 Tonnen beladen, während der Nachbarstaat Michigan 54 zulässt.
Kvamme ruft den Gouverneur an. Der ändert das Gesetz per Verfügung. Die gewählten Politiker erfahren erst aus der Zeitung davon. Aber der Unternehmer investiert. „Wir haben wieder Arbeitsplätze in Ohio geschaffen“, sagt Kvamme stolz.
Aber die Rezession hat tiefe Spuren hinterlassen – etwa in den Portemonnaies der verbleibenden Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Ohio. Drei Runden lang haben sie auf jede Lohnerhöhung verzichtet. „Wir wussten, dass Krise herrscht“, sagt Christopher Mabe, Präsident der Gewerkschaft für öffentliche Bedienstete OCSEA/AFSCME in Ohio.
Die Opferbereitschaft der Beamten ging erst zu Ende, als Gouverneur Kasich im vergangenen Jahr auch noch die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst abschaffen wollte. Im Herbst brachte ein Referendum das gewerkschaftsfeindliche Gesetz zu Fall. Der Erfolg ihrer Mobilisierung gab der Gewerkschaft neuen Mut. Sie hat im vergangenen Jahrzehnt in Ohio ein Viertel ihrer Mitglieder verloren.
Beim – ebenfalls teilprivatisierten – Arbeitsamt sitzt die 33-jährige Charlotte an einem Computer und surft durch das Angebot. Die vierfache Mutter arbeitet für den Mindestlohn von 7,49 Dollar die Stunde in einem Restaurant und würde gerne mehr verdienen.
Miserabel bezahlte Jobs
„Es gibt wieder Jobs“, seufzt sie, „aber es ist schwer, davon zu leben.“ Fast alle Angebote liegen am oder knapp über dem Minimum. Selbst für Facharbeiter in der Metallindustrie sind die Löhne niedrig. In den Autozulieferbetrieben können sie froh sein, wenn sie 16 Dollar die Stunde bekommen.
Wenn der Aufschwung anhält, wird im November Barack Obama davon profitieren. In Ohio hängen 850.000 Jobs von der Autoindustrie ab. Als sie 2008 kurz vor dem Bankrott stand, schrieb Mitt Romney in der New York Times: „Lasst sie bankrott gehen.“
Obama dagegen hat 34 Milliarden Dollar in die Branche gepumpt. Dafür wird er heute als Retter gesehen. „Es war eine smarte Politik“, sagt selbst der Republikaner Kvamme in Ohio anerkennend.
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