Umstrukturierungen bei „Bayern 2“: Begräbnis der Radiokultur
Das Programm von „Bayern 2“ war besonders. Nach einer Reform ist davon wenig übrig geblieben, finden Fans – und tragen den Sender zu Grabe.
Ist? War, sagen die, die es nun betrauern. Am 2. April hat „Bayern 2“ ihnen zufolge das Zeitliche gesegnet. An dem Dienstag nach Ostern nämlich ist das reformierte Programm in den Äther geschickt worden, um noch einmal eine Metapher zu bemühen, die freilich längst überholt ist. Denn auch „Bayern 2“ sucht sich seine Verbreitungswege zunehmend im Digitalen. „Podcast“ lautet das Zauberwort.
Überhaupt findet man im BR die Aufregung über das vermeintliche Ableben von „Bayern 2“ reichlich übertrieben – nicht nur, weil es ja weiterhin ein Programm dieses Namens gibt. Nein, „Bayern 2 bleibt Bayern 2“, behauptet Stefan Maier, der den schönen Titel „Programmbereichsleiter Bayern 2“ innehat.
Heimatsound statt Vielfalt
Es seien Veränderungen, mit denen man das Profil stärken wolle, schreibt er auf der Website des BR und spricht von Hintergrund und Tiefgang, Anspruch und Vielfalt und – Heimatsound.
Als der Himmel pünktlich zu Beginn der Trauerfeier am Rundfunkplatz zuzieht und erste Tropfen fallen, haben sie die Särge schon aufgestellt. Kleine schwarze Pappsärge mit den Aufschriften: „Nachtstudio“, Radiotexte“, „Kulturwelt“, „Diwan“, „Kulturjournal“, „Jazz und Politik“. Alles beliebte Sendungen, die künftig bei Bayern 2 nicht mehr vorkommen.
Insgesamt ist das Programm kleinteiliger geworden. Vormittags etwa gibt es nun zwei dreistündige Sendestrecken, eine mit dem Schwerpunkt Politik und Kultur, die andere mit dem Fokus auf Wissenschaft und Bildung – viele kurze Beiträge im Wechsel mit Musik. Ähnlich verhält es sich zu den übrigen Tageszeiten, das entsprechende Abendformat etwa heißt „Die Welt am Abend“ und ist „das neue Drivetime-Magazin“. Ein paar Formate wie die die einstündige Interviewsendung „Eins zu Eins. Der Talk“ oder das Musikprogramm „Zündfunk“ konnten sich ins neue Schema hinüberretten. Auch das Kinderprogramm „Radiomikro“ gibt es weiterhin, allerdings nur noch am Wochenende.
Eine sechsköpfige Blaskapelle stimmt einen Trauermarsch an, eine schwarzgekleidete Frau zündet ein Grablicht an. Auf ein DIN-A3-Blatt hat sie geschrieben: „Ich trauere um meinen Bayern 2 Kultursender.“ Rund 40 Leute sind gekommen, während der Zeremonie kommen noch ein paar dazu.
„Radio TikTok“
Ganz überwiegend sind es ältere Hörerinnen und Hörer, die hier zusammengekommen sind. Oft standen sie hier, seit die Umbaupläne des BR bekannt geworden waren, haben sich originelle Aktionen einfallen lassen. Einmal haben sie sogar einen Schneemann aufgebaut – zu einer Zeit, als in der Stadt schon alles weggetaut war. Den Schnee haben sie von außerhalb angekarrt. Im Netz haben fast 10.000 Menschen eine Petition gegen die Kürzungen bei „Bayern 2“ unterzeichnet.
Alles vergebens. „Schluss jetzt, verabschiedet euch“, drängelt Kabarettist Holger Paetz, der als BR-Anstaltsseelsorger die Zeremonie zu einem Ende bringen muss. Dem Sender sei mit dem windschnittigen neuen Programm schließlich die Anpassung an die Jetztzeit gelungen. „Jetzt ist eine schlimme Zeit.“
Fast anderthalb Stunden dauert die „BR-digung“. Eine Langstrecke, würde man im BR sagen. Es gibt Livemusik, einen Einspieler des FDP-Politikers Gerhart Baum über die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, ehemalige Bayern-2-Größen verlesen Nachrufe auf „eine der letzten Bastionen gegen beliebiges Blabla“, die „zu einer Resterampe verkommen“ sei ganz im Sinne der „Schnäppchen-Mentalität der Wisch-und-weg-Generation“.
Stimmen von Hörerinnen und Hörern werden verlesen („Wir häppchen uns zu Tode“, „Radio Tiktok“).
Und schließlich werden die Särge über die Straße getragen und an die Hauswand des Rundfunkgebäudes gelehnt. Just dort, wo in einem Schaukasten Werbeplakate für „Bayern 2“ hängen. „Wem überlassen wir das Denken?“, steht auf einem.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!