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Umstrittenes KrisenmanagementZahnlose Kontrolle

Der Fall Friesenhof zeigt grundsätzliche Probleme der stationären Unterbringung von Jugendlichen - in Schleswig-Holstein kontrollieren nur sechs Personen.

Auch hier ist fraglich, wie genau geprüft wurde: das Friesenhof-Jugendheim im schleswig-holsteinischen Hedwigenkoog. Foto: dpa

KIEL taz | Der Kreis Dithmarschen hat in der Vergangenheit elf Mädchen aus Friesenhof-Heimen geholt - immer mit der Begründung, ihr Wohl sei gefährdet. Dennoch wurde die Betriebserlaubnis für die Friesenhof-Heime „Nanna“ und „Campina“ erst vor wenigen Tagen entzogen. Das wurde am Dienstag im Sozialausschuss des Kieler Landtags bekannt. Der beschäftigte sich mit den Zuständen in der Jugendhilfe-Einrichtung - und der Frage, ob der Kreis und das Landesjugendamt als Aufsichtsbehörden versagt haben.

In Schleswig-Holstein sind sechs Personen im Landesjugendamt für die Kontrolle von 1.300 Heimen und Wohngruppen sowie 500 Kitas in den kreisfreien Städten zuständig. Sozialministerin Kristin Alheit (SPD) gab Mängel zu - verwies aber auf die Gesetzeslage, die es schwer mache, Heime zu schließen. Die Opposition will das nicht gelten lassen.

„Es kann nicht sein, dass der Kreis ein Mädchen nach dem anderen aus dem Heim heraus in Obhut nimmt, und nichts weiter passiert“, sagt Anita Klahn (FDP). Zuvor hatte Renate Agnes Dümchen vom Jugendamt des Kreises deutlich gemacht, dass ihre Behörde vom Konzept des Friesenhofs - eine Art „Camp“, in dem Mädchen sich „bewähren“ mussten - nicht überzeugt sei und seit Jahren keine Jugendlichen dorthin schicke. Aber „nur weil uns ein Konzept nicht gefällt, können wir nicht die Betriebserlaubnis entziehen“, sagte Silke Duda, Abteilungsleiterin im Ministerium. Selbst Kontrollen seien nur bei konkretem Verdacht möglich.

Absurd, meint Wolfgang Dudda (Piraten): „Wer eine Würstchenbude aufmacht, muss mit unvermuteten Kontrollen rechnen - eine Jugendhilfeeinrichtung darf das ablehnen.“ Ministerin Alheit schlägt nun eine Ombudsstelle vor, die sowohl Jugendlichen als auch Erziehern offen stehen soll. Im Fall Friesenhof konnten sich die Jugendlichen direkt an die Heimaufsicht wenden.

Der Fall "Friesenhof"

Der Friesenhof ist eine GmbH, die aus mehreren Häusern an verschiedenen Standorten im Kreis Dithmarschen besteht.

Beschwerden gab es laut Ministerium bereits in vergangenen Jahren. So wurde 2007 ein Mädchen durch den Kreis in Obhut genommen.

Ab 2013 häuften sich Beschwerden, das Landesjugendamt kontrollierte unangemeldet.

2014 fanden nach weiteren Beschwerden zwei Kontrollen statt.

Auflagen erhielt das Heim im Januar 2015.

Durch eine Anfrage der Linken in Hamburg wurde der Fall öffentlich - am 3. Juni wurde nach einer erneuten Prüfung die Betriebserlaubnis für zwei Häuser entzogen.

Andreas Tietze (Grüne) sieht ein grundsätzliches Problem: „Dithmarschen hat mehr Heimplätze als Hamburg. Es gibt keine Überwachungskultur und kein Überwachungs-Controlling.“ Das Überangebot ist historisch gewachsen - viele Jahre schickten Großstädte wie Hamburg Jugendliche aufs Land. Viele dieser „Heime hinterm Deich“ seien nicht mehr zeitgemäß, so Tietze zur taz. Aber auch Jugendämter schauten vor allem auf den Preis - ob sich genügend Fachkräfte um die Kinder kümmern, spiele keine Rolle. Hier will Alheit ansetzen: Die Behörde wolle künftig Einfluss auf den „Fachkräfteschlüssel“ ausüben. Allerdings könne das Land nicht im Alleingang vorgehen, so Tietze: „Es geht um Bundesrecht.“

Die Opposition ist mit dem Krisenmanagement der Ministerin nicht zufrieden: „Ein Armutszeugnis“ stellte Heike Franzen (CDU) ihr aus. So seien der Ausschuss und die Öffentlichkeit zu spät und erst auf Druck informiert worden. Zuletzt war bekannt geworden, dass es ein sexuelles Verhältnis zwischen einem Betreuer und einem Mädchen gegeben hat. Alheit und die Staatssekretärin Anette Langner wiesen den Vorwurf zurück: Jede Information sei so schnell wie möglich weitergegeben worden.

Das Magazin „Panorama“ zeigte am Dienstag einen Bericht, in dem eine Jugendliche über ihre Erlebnisse im Friesenhof berichtet: „Er hat mich auf den Boden gelegt, hat meine Hand nach hinten gedreht und dann lag ich da fünf Minuten, zehn Minuten.“

Die Betreiberin des Friesenhofs hat inzwischen Insolvenz angemeldet.

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1 Kommentar

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  • Leider wird in dem Zusammenhang mit dem Friesenhof viel zu einfach argumentiert:

    Wer zum Beispiel jetzt im Landtag das Maul aufreißt und über die Zustände bei der Heimaufsicht schimpft, der verschweigt, dass sich unter wechselnden Regierungen wenig geändert hat. Auch "Landesvater" Carstensen, CDU, MP von 2005-2012 war für die Heimkinder eher ein Landes-Stiefvater, Sein Sozialminister war von 2009-2012 Heiner Garg (FDP).

    Erinnert sei an einen Fall aus Dithmarschen (2004), wo die Mitarbeiterin einer Einrichtung beim Sozialministerium Anzeige gegen ihren Chef erstattet. Sie wurde entlassen, weil der zuständige Mitarbeiter der Heimaufsicht umgehend ihren Chef über die Anzeige informierte. Der Mitarbeiter wurde später in aller Stille versetzt, aber meines Wissens nie wegen versuchter Strafvereitelung belangt.

    Der Chef wurde übrigens wegen der angezeigten Verfehlungen rechtskräftig verurteilt.