piwik no script img

Umstrittene Normenkontroll-AnträgeMüssen Kleinparteien klagen können?

Linke und Grüne wollen unbedingt Gesetze zur Prüfung nach Karlsruhe schicken dürfen. Doch ist dieses Instrument wirklich von so großer Bedeutung?

Wo die roten Roben wohnen: Sehnsuchtsort Karlsruhe Bild: dpa

FREIBURG taz | Muss die Opposition auch in Zeiten der Großen Koalition das Recht haben, jedes Gesetz dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen? Norbert Lammert (CDU), der Bundestagspräsident, hat dies vor einigen Tagen verneint, als er Vorschläge zur Sicherung der Oppositionsrechte machte. Linke und Grüne sind damit aber nicht einverstanden. Petra Sitte, die parlamentarische Geschäftsführerin der Linken, findet die Möglichkeit zur Normenkontrollklage sogar „besonders wichtig“.

Auf den ersten Blick sieht die Möglichkeit zur Normenkontrolle wie ein besonders relevantes Instrument aus. 25 Prozent der Bundestagsabgeordneten können jedes Gesetz, das sie für grundgesetzwidrig halten, dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorlegen. Kaum ist ein Gesetz beschlossen, konnte es die Opposition bisher nach Karlsruhe schicken, unabhängig von einem konkreten Fall, deshalb spricht man auch von abstrakter Normenkontrolle.

Und das galt nicht nur für Bundesgesetze, sondern auch für alle Landesgesetze. Selbst bei Zweifeln an einem jahrzehntealten Gesetz konnte die parlamentarische Minderheit eine verfassungsrechtliche Prüfung beantragen, denn es gibt hier keine Frist.

Von all dem ist die Opposition derzeit aber abgeschnitten. Denn Linke und Grüne stellen zusammen nur 20 statt der erforderlichen 25 Prozent der Abgeordneten. Selbst wenn sie sich einig sind, können sie also keine Normenkontrolle beantragen. Die Grünen haben schon einen Gesetzentwurf vorgelegt, um das zu ändern. Künftig sollen auch „zwei Fraktionen“ Gesetze nach Karlsruhe schicken können. Die Linke will in dieser Frage mit den Grünen „an einem Strang“ ziehen. Doch Union und SPD blockieren die Reform.

Nur 0,03 Prozent

Wie relevant ist dieser Streit in der Praxis? Hierfür hat die taz alle abstrakten Normenkontrollen des Bundesverfassungsgerichts seit Januar 2000 ausgewertet. Insgesamt gab es in dieser Zeit 24 derartige Entscheidungen, im Schnitt also 1,7 pro Jahr. Zahlenmäßig spielen sie damit in Karlsruhe keine große Rolle. Im gleichen Zeitraum hat das Bundesverfassungsgericht rund 77.500 andere Entscheidungen getroffen. Abstrakte Normenkontrollen machen also nur 0,03 Prozent aller Verfahren aus.

Immerhin waren bei den 24 Entscheidungen einige wichtige Urteile dabei. 2001 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Einführung der Homo-Ehe für grundgesetzkonform. 2005 kippten die Richter das bundesweite Verbot von Studiengebühren. 2012 forderten die Richter eine Beschränkung der Überhangmandate bei der Bundestagswahl.

Doch nur die wenigsten der 24 Entscheidungen wurden durch Klagen aus dem Bundestag ausgelöst. In zwanzig Fällen klagte ein Bundesland oder mehrere Bundesländer gemeinsam. Nur in vier Fällen stellten Abgeordnete der Bundestags-Opposition den Normenkontroll-Antrag. Und in zwei dieser vier Fälle gab es in der gleichen Sache auch Bürgerklagen, so dass Karlsruhe ohnehin entscheiden musste – so etwa beim jüngsten Urteil zu den Überhangmandaten, wo neben der Normenkontrolle von SPD und Grünen auch rund 3.000 Bürger eine Verfassungsbeschwerde eingereicht hatten.

Erfolgreiche Klage gegen das Privatrundfunkgesetz

Als rein parlamentarische Normenkontrolle bleiben in den 14 Jahren seit der Milleniums-Wende lediglich zwei Verfahren. So hatten 293 Abgeordnete von CDU und FDP erfolglos moniert, dass der Bund 2004 zuviel Schulden gemacht habe. Und die SPD klagte 2008 erfolgreich gegen das hessische Privatrundfunkgesetz, das Parteien jede Beteiligung an privaten Rundfunkstationen verbot.

In der Praxis spielt die Normenkontrolle durch die Opposition des Bundestags also nur eine minimale Rolle. Die Streitfragen kommen in der Regel auf anderem Wege nach Karlsruhe, meist durch Verfassungsbeschwerden der betroffenen Bürger, manchmal auch durch Normenkontroll-Anträge der Landesregierungen oder Vorlagen von Gerichten. Es wäre von daher weniger schlimm, wenn die Bundestags-Opposition mangels Gewicht vier Jahre lang auf dieses Instrument verzichten müsste.

Auch als Druckmittel braucht die Opposition das Recht zur Normenkontrolle nicht. Wenn sie ein Gesetz für verfassungswidrig hält, kann sie genau so gut auch vor Klagen der Betroffenen warnen. Und wenn es um eigene Rechte der Abgeordneten und Fraktionen geht, so können diese auch in Zukunft in Karlsruhe eingefordert werden. Denn hierfür gibt es eine weitere Klageart, die Organklage, für die das 25-Prozent-Erfordernis nicht gilt.

Im Streit um die Oppositionsrechte könnten sich Linke und Grüne also um wichtigeres kümmern, etwa eine ausreichende Redezeit in parlamentarischen Debatten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • L
    Lowandorder

    mailmottenschwund? 2.0

     

    First:

     

    Glaube keiner Statistik, die du nicht selber gefälscht hast.

     

    Abseits der Fliegenbeinzählerei mal

    zwei verfassungsrechtliche markpoints!

     

    " …die vier Arschlöcher in Karlsruhe…"

    klar - kennt jeder:

    O-Ton Onkel Herbert Wehner;

     

    weniger bekannt:

    die Kommissionsmitglieder des

    schwedischen Rijksdag

    nach Informationsbesuch in Karlsruhe:

    " waas - da können 4 Richter aushebeln,

    was der Rijkdag beschlossen hat!??"

    NEJE TAK!

     

    Darin erhellt: juristisch klein-klein - sorry -

    kommt man der Sache in ihrer

    Dimension nicht bei.

     

    Es ist eine immens politische Frage zur

    politischen Kultur in 'schland;

    ja zum Grundverständnis unserer

    res publika;

    und kann somit erkennbar nicht

    kleingeredet/rechnet werden.

  • L
    Lowandorder

    Nachklapp -

     

    wg Butter bei die Fische:

     

    ein spannendes halbes Jahr war ich Refi in einem Normenkontrollsenat;

     

    steuerte auch einen gut daumendicken Riemen zur Rechtsfindung bei;

    die aber war quer durch die politischen Lager temperamentvoll vom Feinsten;

     

    zumal zwei Senate mit der Materie befaßt waren und sich zusätzlich gar nicht grün waren;

     

    getoppt wurde all das im Examen - als zu meinem bassen Erstaunen ein Ministerialer als Prüfer Ganz heftig auf beide Senate und meinen passenden Aktenvortrag losteufelte;-))

     

    also mit Jöhten:

    grau - mein Freund -

    ist alle Theorie.

     

    Mal so eben einen Eckstein ´schlandscher Verfassungswirklichkeit ohne Not für negligable zu erklären?

    geht´s noch!?

     

    kurz und mit der Feuerzangenbowle:

    ".. das war kein Heldenstück -

    Octavio!"

  • TO
    taz offiziell nun rechtsfreier Raum

    Der Abbau von Rechten mithilfe der Salamitaktik ist ein bewährtes Vorgehen der schlimmsten Diktatoren dieser Welt.

  • T
    Tamp

    Klar müssen Klein(st)parteien bei dieser Regierungsübermacht klagen können. Das ist essentiell für Demokratie und Gewaltenteilung.

  • C
    CONTRA

    Generell gilt auf kein Recht wird verzichtet, so minimal und irrelevant einige diese auch finden.

    Der Artikel war bestenfalls pseudointellektuell, denn von der kurzen

    Vergangenheit(wenn dann wenigstens ab 1949!) kann man nicht auf die Zukunft schließen und die Legislative war in vielen Fällen extrem notwendig(z.B. Beschränkung der Schuldenhaftung für Deutschland

    u.a. durch Mitglieder des Bundestages- siehe Frau Gmelin und Herr Gauweiler).

    Kein Weg zum Bundesverfassungsgericht hat also verstellt zu werden, genauso wie ein öffentliches Gebäude stets über mehrere Ausgänge(inklusive Notausgänge) verfügen muss, braucht das politische System alle

    Optionen um Schaden abwenden zu können. Die Redundanz hier ist besonders wichtig!

    Denn wenn ParlamentarierInnen ausgeklammert werden bei neuen Benachteiligungen gegen bestimmte Gesellschaftsgruppen schrumpft das Instrumentarium der anderen politischen Vertreter zur Abwendung von Schaden bedrohlich. Durch die Beurteilung der letzten 13 Jahre können Sie auch nicht zuverlässig das Wetter für übernächste Woche vohersagen oder Sonnenfinsternisse bestimmen. Da bedarf es schon mehr!