Umstrittene Nahost-Ausstellung: Schule unter Beschuss
Eine Ausstellung über die Vertreibung der Palästinenser sorgt für Aufregung. In München ist der Streit jetzt wieder eskaliert.
BERLIN taz | Es sind kaum mehr als ein Dutzend Schautafeln – 14 PVC-Folien, die sich wahlweise an der Wand aufhängen oder an Stellwänden montieren lassen. Nüchtern informieren sie über „Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948“, deren Folgen bis heute den Nahostkonflikt prägen. Doch wo immer sie auftauchen, gibt es Streit. So auch in München, wo sie bis Mitte dieser Woche in der Montessori-Fachoberschule in Schwabing zu sehen waren.
Noch bevor die Ausstellung dort Mitte Dezember eröffnet wurde, machte die Deutsch-Israelische Gesellschaft München dagegen mobil. Diese Ausstellung lege den „Grundstein für antisemitische Worte und Taten“, polterte der örtliche DIG-Vorsitzende Torsten Weber.
Gemeinsam mit Münchens Grüner Jugend, der Linksjugend, der Reformgemeinde Beth Shalom und dem nationalistischen Israel-Verein AmEchad forderte er die Schule dazu auf, die Ausstellung abzusagen. Auch Charlotte Knobloch, die Expräsidentin des Zentralrats der Juden, stellte sich hinter den Appell.
Die Ausstellung stammt aus dem Jahr 2008 und wurde zum 60. Jahrestag der israelischen Staatsgründung konzipiert, um über den palästinensischen Blickwinkel auf dieses Ereignis aufzuklären. Denn was in Israel als Erfolg des „Unabhängigkeitskriegs“ gefeiert wird, gilt Palästinensern als „Nakba“, als Katastrophe, weil es zur Vertreibung aus der alten Heimat führte.
Gegner fordern Verbot der Ausstellung
Gefördert wurde die Ausstellung vom Evangelischen Entwicklungsdienst und einer Landesstiftung Baden-Württembergs. Seit sieben Jahren zieht sie schon durch Deutschland, inzwischen ist sie in weit über hundert deutschen Städten zu sehen gewesen. Vielerorts aber zog sie wütenden Protest auf sich – meist von deutsch-israelischen Gesellschaften, erklärten Pro-Israel-Gruppen oder lokalen jüdischen Gemeinden.
Sie beklagen, die Schuld an der Flucht der Palästinenser werde allein Israel angelastet, die arabische Judenfeindlichkeit dagegen bleibe ausgeklammert. Mit diesem Argument fordern sie vor Ort meist ein Verbot – und haben dieses Ziel mancherorts auch erreicht.
In Frankfurt am Main etwa zog der DGB im Mai 2010 seine Zusage zurück, die Ausstellung in seinen Räumen zu zeigen, sie musste daraufhin in eine Kirche umziehen. Im November des gleichen Jahres versuchte in der Stadt Freiburg der grüne Oberbürgermeister Dietrich Salomon, die Ausstellung in der örtlichen Stadtbibliothek zu verhindern, zog damit vor Gericht aber den Kürzeren. Und in Düsseldorf wurde die Ausstellung nach einer Woche von den Stadtoberen ohne Begründung abgehängt; sie handelten sich dafür vor Gericht eine Rüge ein.
Ähnliche Szenen wiederholten sich in Aachen, Köln, Nürnberg und im Vorfeld des Evangelischen Kirchentags in Hamburg, wo die Ausstellung im Mai 2013 gezeigt wurde.
Es geht um Diffamierung
„Das Interesse an dieser Ausstellung ist auch deswegen so groß, weil es im Vorfeld immer solche Auseinandersetzungen gibt“, versucht Ingrid Rumpf den ständigen Rufmord-Kampagnen etwas Positives abzugewinnen. „Man gewöhnt sich daran“.
Rumpf ist die Vorsitzende des Vereins „Flüchtlingskinder im Libanon“, der die Ausstellung verantwortet. Er hat seinen Sitz in Baden-Württemberg und unterstützt Kinder, Jugendliche und Frauen, die in den palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon leben, indem er dort medizinische Hilfe, Bildungsprojekte und Sommercamps ermöglicht. Die Projekte werden von diversen namhaften Institutionen gefördert.
Rumpf betont: „Wir stellen weder das Existenzrecht Israels in Frage, noch wollen wir den Holocaust oder das Unrecht, das Juden in arabischen Staaten widerfahren ist, relativieren.“
Doch den Gegnern ist jedes Mittel der Diffamierung recht. Dass Kinder aus einem der zehn Sozialzentren des Partnervereins im Libanon kürzlich bei einer Trauerfeier in Militäruniformen schlüpften und Fotos davon auf der Webseite des Vereins landeten, nahm der Münchner DIG-Chef Torsten Weber jetzt zum Anlass, dem Verein vorzuwerfen, er erziehe Kinder „zum Krieg gegen Israel“.
Auch Ingrid Rumpf war über die Bilder aus dem Libanon nicht glücklich: „Das ist nicht in unserem Sinne, und es entspricht auch nicht den pädagogischen Vorstellungen unserer Partner“, sagt sie der taz. Man habe sich deswegen auch bei den Partnern im Libanon beschwert. Doch sie sieht keinen Grund, deswegen an den Menschen zu zweifeln, mit denen sie seit 18 Jahren gut zusammenarbeite: „Es geht um humanitäre Hilfe“, betont sie.
Schule zwischen den Fronten
Auch der deutsch-französische Publizist Alfred Grosser stellt sich hinter sie. Grosser gehört zu den über 50 Prominenten, die die Ausstellung von Anfang an unterstützen – neben Publizisten, Historikern und Expolitikern wie Norbert Blüm, Moshe Zuckermann, dem verstorbenen Stéphane Hessel sowie den taz-Autoren Bahman Nirumand und Andreas Zumach.
„Ich habe die Nakba-Ausstellung immer unterstützt und unterstütze sie weiterhin – trotz allen Unwahrheiten, die über die Ausstellung und ihre Veranstalter ausgeschüttet werden“, sagt Grosser.
Im kommenden Monat wird der 88-Jährige nach München an die Montessori-Fachoberschule kommen, um dort zu den Schülern zu sprechen. Bei ihnen hat die wochenlange Kampagne ihre Spuren hinterlassen. „Wir sind da ungewollt zwischen die Fronten geraten“, sagt Schuldirektor Carl Mirwald der taz.
Ursprünglich habe man die Ausstellung für rein schulinterne Zwecke ins Haus geholt. Die Initiative dafür sei von einer Geschichtslehrerin ausgegangen, die sich intensiv mit dem Judentum und der israelischen Geschichte beschäftigt habe. „Der Nahostkonflikt steht im Lehrplan für die 13. Klasse der bayrischen Fachoberschulen“, betont Mirwald. Die Ausstellungsgegner hätten jedoch gezielt die Öffentlichkeit gesucht.
Den Rummel hält er für übertrieben: 30 kritische Zuschriften habe er erhalten, sagt Mirwald, darunter einige mit üblen Beleidigungen, aber auch fast 50 mit Zustimmung. Die Schreiben hingen zusammen mit den Stellungnahmen der Ausstellungsgegner in der Schule aus. Gestern wurde die Ausstellung – wie ursprünglich geplant – abgebaut.
„Diese Erfahrung war für uns alle sehr lehrreich“, sagt Mirwald. „Insofern hat es sich gelohnt.“ Aber er ist auch überzeugt: „Das wird sich leider keine andere Schule mehr trauen.“
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