Umstrittene Leihmutterschaft: Domkantor gewinnt gegen Kirche
Dem Braunschweiger Domkantor hätte wegen seiner Leihmutter-Pläne nicht gekündigt werden dürfen. Wieder einstellen will ihn die Kirche trotzdem nicht.
Noch vor der Urteilsverkündung hatten sich die beiden Streitparteien in der Verhandlung darauf geeinigt, dass der Domkantor zwar das entgangene Gehalt ausgeglichen bekommt – aber nicht zum Dienst erscheint, solange die Berufung nicht ausgefochten und das Urteil damit rechtskräftig ist. Zu grundsätzlich erscheint beiden Parteien die Streitfrage – und zu hoffnungslos sind sie ineinander verkeilt. Gerd-Peter Münden arbeitet erst einmal weiter als Musiklehrer an einem Gymnasium.
Im Kern geht es darum, dass die evangelische Landeskirche Leihmutterschaften, insbesondere kommerzielle, die Frauen aus dem globalen Süden ausbeuten, ablehnt. Sie wirft Münden vor, auf genau diese Art und Weise an ein Kind kommen zu wollen.
Die Planung dafür sei schon weit gediehen, behauptet die Kirche. So habe es bereits eine Reise nach Kolumbien, dort eingefrorenes Sperma, Vertragsverhandlungen und möglicherweise sogar erste Zahlungen gegeben.
An der Öffentlichkeit des Konflikts ist auch die Kirche schuld
Münden bestreitet dies, der Entscheidungsprozess sei noch überhaupt nicht abgeschlossen gewesen, als ihn die Kündigung erreichte. In seinen Augen geht es auch nicht um eine kommerzielle Leihmutterschaft, sondern um eine altruistische.
Die Eizellenspenderin und die austragende Mutter würden dem schwulen Paar helfen wollen, sein Mann, der ebenfalls aus Kolumbien stammt, pflege eine freundschaftliche Beziehung zu diesen Frauen, das Geld diene lediglich als Aufwandsentschädigung und die Summe sei auch viel geringer, als die Kirche annehme.
Auch für das Arbeitsgericht erst einmal nur Gedankenprozesse – und die könnten kaum einen derart schwerwiegenden Loyalitätsverstoß darstellen, als dass sich damit eine Kündigung rechtfertigen ließe. Und wenn die Kirche nun argumentiere, dass ihre Glaubwürdigkeit beschädigt werde, wenn ihr Kantor offen gegen die ethischen Positionen der Kirche eintrete, dann müsse sie sich anrechnen lassen, dass es nicht allein seine Schuld war, dass dieser Streit öffentlich wurde.
Denn das gehört auch zur verzwickten Vorgeschichte dieses Konflikts: Er wurde spätestens ab Februar dieses Jahres öffentlich, vor allem auch auf den Leserbriefseiten der Braunschweiger Zeitung ausgetragen. Münden hatte die geplante Leihmutterschaft mit verschiedenen Personen aus seinem Arbeitsumfeld diskutiert. Wie vertraulich das war, gehört zu den Streitpunkten. Münden hat unter anderem Beschwerde wegen Verstoßes gegen die seelsorgerliche Schweigepflicht eingereicht.
Kolleg:innen drohen mit Kündigung
Die Kolleginnen äußerten jedenfalls eine Reihe von Bedenken, die Münden aber wohl nicht hören wollte. Sie riefen letztlich den Bischof auf den Plan und es gab mehrere Gespräche und Briefwechsel in wechselnden Konstellationen. In deren Verlauf hat Münden bei einigen wohl den Eindruck erweckt, er würde Abstand von seinen Plänen nehmen – und sich kurze Zeit später dann aber doch wieder alles offenhalten.
Dieser hoch emotionale Konflikt entgleiste vollends, als die Dompredigerin über den großen E-Mail-Verteiler der Domsingschule rund 600 Eltern aktueller und ehemaliger Domchorkinder ins Bild setzte.
Der Kirchenmusiker ist in Braunschweig eine ziemlich öffentliche Figur – die Domsingschule wurde unter seiner Leitung seit 1999 zur Topadresse der evangelischen Kirchenmusik, mit seiner Aktion „Klasse! Wir singen“ füllte er große Hallen und wurde mit dem niedersächsischen Verdienstorden ausgezeichnet.
Möglicherweise gerät ihm das jetzt aber auch zum Nachteil. Der ehemalige Domkantor betont stets, wie gern er seinen Job zurück hätte. „Die Schule ist toll, aber ich möchte Musik nun einmal lieber machen als erklären.“ Einen vergleichbaren Job zu finden, ist nicht ganz leicht, sagt Münden – nicht in dieser Liga und nicht nach diesem öffentlichen Aufsehen.
An der Braunschweiger Domsingschule sollen allerdings andere Mitarbeiter:innen mit Kündigung gedroht haben, wenn Münden zurückkommt. Und seine Kirche ist entschlossen, das in der zweiten Instanz zu verhindern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern