Umstrittene Hilfe: Psycho-Test für Arbeitslose
Der Kreis Nordfriesland will mit einer psychologischen Methode aus den Niederlanden seine Langzeitarbeitslosen besser kennenlernen. Datenschützer kritisieren die Datensammelwut.
HAMBURG taz | "In Diskussionen führe ich gern das Wort", "Ich mag Pflanzen", "Ich gehe Streit aus dem Weg": Sätze wie diese sind Teil eines Tests für Langzeitarbeitslose, den der Kreis Nordfriesland eingeführt hat.
Per Online-Fragebogen bewerten die Teilnehmer rund 240 Sätze mit "trifft zu" oder "trifft nicht zu". Eine Software erstellt auf dieser Basis ein persönliches Profil, das Aussagen über das emotionale Gleichgewicht, Stressfaktoren und soziale Kompetenzen macht.
Das 15-seitige Profil, das die Berater in den Sozialzentren Nordfrieslands bekommen, arbeitet mit den Farben Grün, Gelb und Blau. Interessant für das Beratungsgespräch ist vor allem alles Blaue. Denn Blau bedeutet: Hier ist was auffällig.
Eine vor 15 Jahren in den Niederlanden entwickelte psychologische Methode zum Erstellen von Persönlichkeitsprofilen.
ABC steht für Attitudes (Einstellungen), Balance (emotionales Gleichgewicht) und Competences (Kompetenzen).
In 20 deutschen Kreisen wird diese Methode mittlerweile eingesetzt, darunter Nordfriesland, Osnabrück, Verden und Emsland.
Auffällig kann sein, dass jemand seit Jahren arbeitslos ist und trotzdem keinerlei Zukunftsangst hat. Auffällig blau wird es auch dann, wenn sich aus den Antworten ergibt, dass sich der Getestete als Opfer der Umstände begreift und das Gefühl hat, seine Situation nicht aus eigener Kraft verändern zu können.
An solchen Punkten soll der Arbeitsvermittler im Gespräch mit dem Arbeitslosem anknüpfen und herausfinden, was dahintersteckt und was möglicherweise einer erfolgreichen Vermittlung in einen Job im Wege steht. "Der Test simuliert das Kennenlernen zweier Menschen", sagt Christoph Wesselmann, Geschäftsführer der niederländischen Unternehmensberatung, die den Test entwickelt hat.
So wisse der Vermittler schon vor dem Gespräch, wofür sich der Arbeitslose interessiert, ob er möglicherweise Probleme habe, sich einem Chef unterzuordnen, oder sich nach festen Strukturen sehnt und könne schneller zum Punkt kommen. "Aber es bedeutet erst mal mehr Arbeit, denn so ein Beratungsgespräch kann schon zwei Stunden dauern."
In Nordfriesland kümmern sich 50 Berater um jeweils 150 Langzeitarbeitslose. Mehr Personal wurde mit Einführung der Psycho-Software nicht eingestellt, die Mitarbeiter wurden lediglich in einer dreitägigen Schulung auf die neue Methode vorbereitet. Hinzu kommt, dass der Kreis sowieso 2,6 Millionen Euro weniger für die aktive Förderung von Langzeitarbeitslosen zur Verfügung hat als vergangenes Jahr.
Rund 360 Langzeitarbeitslose haben in den sieben Sozialzentren Nordfrieslands bisher am Test teilgenommen. Freiwillig, wie Renate Fedde von der Kreisverwaltung betont. Es werden keine Leistungen gekürzt, wenn sich jemand gegen den Test entscheidet. "Aber wir halten die ABC-Methode für ein nützliches Instrument, um uns ein ganzheitliches Bild vom Menschen zu machen."
"Personenbezogene Daten dürfen nur dann erhoben werden, wenn es erforderlich ist", sagt Torsten Koop vom unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein. Ein Langzeitarbeitsloser aus Nordfriesland hat bereits Beschwerde beim Datenschützer eingelegt.
Die entscheidende Frage sei: Können die Berater in den Jobcentern ihre Arbeit nur mit den Daten aus dem Online-Test machen? Auf eine entsprechende Anfrage an den Kreis habe er bisher noch keine Antwort bekommen, sagt Koop.
Auch dass die niederländische Unternehmensberatung, die die Software für den Test stellt, die Testergebnisse zusammen mit den Namen der jeweiligen Arbeitslosen zwei Jahre lang speichert, findet Koop problematisch. Es müsse geklärt werden, ob dies rechtens sei, wie lange die Daten wo vorgehalten und ob überhaupt ein externes Unternehmen hätte beauftragt werden dürfen.
Problematisch schätzt Koop auch die Frage der Freiwilligkeit ein. Wenn sich tatsächlich herausstellen sollte, dass die Daten aus dem Test für die Vermittlung der Langzeitarbeitslosen nicht erforderlich sind, dann dürfen sie auch nicht erhoben werden.
"Es spielt für den Gesetzgeber überhaupt keine Rolle, ob jemand vorher unterschrieben hat, dass er seine Daten freiwillig angibt", sagt Koop. "Man kann nicht freiwillig auf seine Rechte verzichten."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“