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Umstrittene Eugenik-ÄußerungenÄrztevertreter muss gehen

Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen entlässt ihren Vorstandschef Klaus Heckemann. Der hatte eine „Eugenik im besten Sinne“ herbeifabuliert.

Klaus Heckemann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung in Sachsen muss gehen Foto: Robert Michael/dpa

Berlin taz | Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Sachsen hat ihren Vorstandschef Klaus Heckemann in einer eigens dafür einberufenen Sondersitzung entlassen. Das bestätigte die Vertretung der niedergelassenen Ärz­t*in­nen und Psy­cho­the­ra­peu­t*in­nen am Mittwochabend. Dem vorausgegangen war eine Welle der Empörung über Heckemanns Vision einer Eugenik im „besten und humansten Sinn“. Der Allgemeinmediziner aus Dresden war zuvor bereits durch umstrittene Äußerungen aufgefallen.

Der 1956 geborene Heckemann war seit 2005 Vorstandsvorsitzender der KV Sachsen. Im Vorwort der im Juni erschienenen Ausgabe der KVS-Mitgliederzeitschrift hatte er seine Zukunftsvision einer genetischen Untersuchung mit kompletter Mutationssuche bei allen Eltern mit Kinderwunsch skizziert. Seien Mutter und Vater genetisch vorbelastet, so könne man mittels künstlicher Befruchtung und Präimplantationsdiagnostik „das Risiko der Geburt eines schwerstkranken Kindes ausschließen“. „Besonders das Leid der betroffenen Eltern könnte vermieden werden“, schreibt Heckemann. Auch Mutationen wie die Hämophilie, eine Störung der Blutgerinnung, könnten durch gezielte Auslese „innerhalb von nur einer Generation“ beendet werden.

Derzeit scheitere die Umsetzung seiner Vision noch an den Kosten für genetische Untersuchungen, so Heckemann. Das müsse aber nicht so bleiben, schon jetzt seien Komplettuntersuchungen des Genoms für einen Bruchteil der einstigen Kosten zu haben. Die gesellschaftlichen Diskussionen über eine von den Krankenkassen finanzierte Suche nach Mutationen bei Eltern mit Kinderwunsch seien laut Heckemann jedenfalls vorher zu führen. Es „werden auch ethische Aspekte berührt, denn die Nutzung einer solchen Chance wäre natürlich zweifellos Eugenik. Allerdings in ihrem besten und humansten Sinn“, schreibt der Humanmediziner.

Sein Editorial schließt Heckemann mit „der Hoffnung, eine lebhafte Diskussion auszulösen“. Das ist zweifelsohne gelungen.

Empörte Reaktionen

Die medizinischen Fakultäten der Universitäten in Dresden und Leipzig, mehrere medizinische Organisationen und schließlich auch die Sozialministerin Sachsens, Petra Köpping (SPD), übten heftige Kritik und forderten teils die Absetzung des KVS-Vorstands. Die Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Christine Vogler, äußerte in einer Mitteilung, die KV Sachsen „wird offensichtlich von einem Menschen geführt, der sich sprachlich nationalsozialistischer Ideologie annähert“. Das erinnere stark an die Verbrechen an behinderten und kranken Menschen im Dritten Reich.

Die Behindertenrechtsorganisation Abilitywatch schrieb in einer Mitteilung: Das Wort „Eugenik“ zu verwenden und im selben Atemzug von ihrer „besten und humansten Form“ zu sprechen, ist eine respektlose Verharmlosung und eine unverzeihliche Verfälschung der grausamen Realität, die Millionen von unschuldigen Menschen das Leben gekostet hat.“ In einer Stellungnahme der Gedenkstätten Pirna-Sonnenstein und Großschweidnitz hieß es: „Es gibt keine Eugenik im besten und humansten Sinn“.

Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Dachorganisation der kassenärztlichen Vereinigungen, distanzierte sich Ende August von Heckemanns Äußerungen und betonte die besondere Verantwortung von Ärz­t*in­nen sowie Ver­tre­te­r*in­nen berufständischer Organisationen. „Selbst wenn solche Aussagen als neutrale Abwägung daherkommen, haben sie das Potenzial, menschenverachtende Positionen der NS-Diktatur wieder salonfähig zu machen“, erklärten die Vorstände der KBV.

Heckemann selbst wurde Ende August in der Ärzte Zeitung damit zitiert, es handele sich um ein „offensichtliches Missverständnis, was allein deshalb kein Grund für einen Rücktritt sein kann“.

Nicht der erste Fall

Bereits in der Vergangenheit gab es Unmut über Äußerungen des Vorstandschefs der KV Sachsen. Ebenfalls in einem Vorwort der Mitgliederzeitschrift rechnete der damals frisch wiedergewählte Heckemann im Dezember 2022 mit der „Genderproblematik“, „unseliger Identitätspolitik“ und „Klimaterroristen“ ab, schrieb von einer Einengung des öffentlichen Meinungskorridors, des „noch Sagbaren“. Das sächsische Sozialministerium distanzierte sich auch da von den Äußerungen. Ärz­t*in­nen veröffentlichten eine Petition unter der Überschrift „Nicht in unserem Namen – Herr Heckemann, bitte nur Gesundheitspolitik“. Heckemann entschuldigte sich damals für seine Formulierungen.

Im aktuellen Fall veröffentlichte die KV Sachsen parallel zur Abberufung ihres Vorstandschefs eine Resolution, in der sich „die Mitglieder der Vertreterversammlung der KV Sachsen […] uneingeschränkt zu den Werten unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und unseres Grundgesetzes“ bekennen. Einer Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus trete man im Bewusstsein der besonderen historischen Verantwortung entschieden entgegen.

Bis zur Wahl einer oder eines neuen Vorstandsvorsitzenden übernimmt die bisherige Stellvertreterin, Sylvia Krug, die Geschäfte der KV Sachsen.

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5 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Abgesehen davon, dass er ein Wort genutzt hat, welches auch im NS-Regime genutzt wurde:



    Ist es nicht eigentlich was Positives, wenn genetisch vorbelastete Eltern die Möglichkeit bekommen, mittels künstlicher Befruchtung und Präimplantationsdiagnostik gesunde Kinder zu bekommen?



    Und dass es Gene gibt und Krankheiten, die vererbt werden können klingt zwar voll ungerecht und diskriminierend, ist aber nunmal so...

    • @Desdur Nahe:

      Wir haben zwei gesunde Kinder und waren froh über die umfangreichen Untersuchungen vor der Geburt. Je mehr ausgeschlossen werden kann, desto besser. Insbesondere für genetisch vorbelastete Paare muß das eine riesen Erleichterung sein. Zudem geht es hier um Eizellen und nicht um die Tötung von behinderten Kindern. Die Bemerkung von Herrn Heckmann mit den Verbrechen der Nationalsozialisten gleichzusetzen ist bösartig und verharmlosend. In anderen Ländern wird genau das was er fordert bereits praktiziert. Wir haben mittlerweile eine Stimmung wie in der DDR, man muß gut aufpassen, was man sagt und am Ende zählen nicht Inhalte sondern Ausdrücke.

  • Immer wieder erstaunlich, wessen Geistesgrößen auf solche Posten gewählt werden - und dann erst nach der dritten öffentlichen Abmahnung gehen müssen.

  • Die Eugenik der Nazis bestand darin, Menschen mit Krankheiten zu ermorden.



    Die Eugenik des Herrn Heckemann besteht darin, Menschen vor der Geburt ein kostenloses Angebot zu machen. Überhaupt wird Eugenik in seinem Artikel nur erwähnt, weil er ehrlich genug ist darauf hinzuweisen, dass es sich faktisch darum handelt. Warum sollte sollte man Menschen erkranken lassen, wenn es ein anderes Verfahren gibt? Kinder werden ja auch geimpft. Die Fragestellung ist nicht, ob bestimmte Menschenleben weniger wertvoll sind, sondern ob es ethische Möglichkeiten gibt, Menschen ein gesundes Leben zu ermöglichen.



    Ich verstehe die Aufregung nicht. Wer sagt denn, dass er*sie lieber mit Behinderung geboren wäre?



    Wie gesagt: Es geht um Prävention, nicht um Mord.



    Ihn dafür zum Rücktritt zu zwingen ist er in Beißreflex, keine sachliche Auseinandersetzung.



    In der gegenwärtigen Gesellschaft ist die Inklusion, trotz aller Fortschritte, eine große Belastung für Eltern und Kind. Wer in der Familie oder im Umfeld betroffene Personen kennt, kann ein Lied von Klagen gegen Krankenkassen, Bundesländer, Vereine usw singen.



    Nur wer kaum oder nur freiwilligen Kontakt zu Menschen mit Behinderung hat, vertritt Kitsch.

  • Gut das es in diesem Fall die Maßgabe "Wehret den Anfängen" Gültigkeit und Tragfähigkeit hat.