Umgang mit Zensur im Iran auf Berlinale: Prinzip Hoffnung oder Realismus
Wie gehen Künstler mit der verschärften Repression im Iran um? Das Panel "Censored Cinema" suchte auf der Berlinale nach Antworten.
BERLIN taz | "Natürlich habe ich Hoffnung, dass die iranische Regierung ein Einsehen hat und die Urteile über Jafar Panahi und Mohammad Rasoulof aufhebt." Der iranische Filmemacher Rafi Pitts ist entschieden. "Immerhin war sie in der Lage, die gesamte grüne Bewegung für illegal zu erklären, dann kann sie jetzt auch meine beiden Kollegen freilassen", setzt er grinsend hinzu.
Sein in Deutschland lebender Kollege, der Filmemacher Ali Samadi Ahadi, findet das reichlich naiv. Nichts, so der Regisseur des Animationsfilms "Die grüne Welle", deute auf ein Einlenken hin. Sein Film läuft demnächst in deutschen Kinos an. Pitts lächelt: "Und deshalb soll ich aufhören zu hoffen?"
Die große, ungelöste Frage, nämlich wie viel Realitätsverdrängung nötig ist, um emanzipatorisch handeln zu können, oder umgekehrt: wie realistisch Resignation ist, sie blitzte kurz zwischen beiden Männern auf. Und fast hätte die Diskussionsveranstaltung "Censored Cinema" spannend oder zumindest unterhaltsam werden können. Leider aber sah der Moderator Vincenzo Bugno seine Aufgabe vor allem darin, Konflikte zu vermeiden und Konsens darüber herzustellen, dass die Lage im Iran wirklich schlimm ist.
Wer hat daran gezweifelt? Die Verurteilung von Jafar Panahi und von Mohammad Rasoulof zu 6 Jahren Haft und 20 Jahren Berufs-, Rede- und Reiseverbot spricht eine klare Sprache. Die Niederschlagung der Proteste in Teheran und anderen Städten am vergangenen Montag ebenso. Bleibt die Frage: Wie gehen Künstler mit der verschärften Repression im Iran um?
Pitts bittet um Präzision. Die Situation im Iran habe mit der in Ägypten und in Tunesien so gut wie nichts gemein. Die historische Ausgangslage sei eine völlig andere, überhaupt führe die Idee von "der" arabischen Welt, die sich jetzt erhebe, in die Irre. Zwar sind die unter Dreißigjährigen jeweils demografisch in der Mehrheit und haben es jeweils satt, kein Geld und keinerlei Freiraum zu haben, um sich auch nur ein bisschen zu amüsieren. Doch - entscheidender Unterschied - im Iran verteidigen die Revolutionsgarden die Interessen der Herrschenden. Und die haben, anders als das ägyptische Militär, kein Problem damit, gegen die eigene Bevölkerung loszuschlagen.
Gleichzeitig sei auch die Bevölkerung deutlicher geteilt als die in Ägypten: So steht der Jugend eine ältere, sehr anders gepolte Generation gegenüber. Sie hat zum Teil noch den Schah und seine Klassenherrschaft erlebt, war im Irak-Iran-Krieg und musste erfahren, wie die westliche Welt sich hinter Hussein stellte und gegen Iran agierte. Man könne die Paranoia und die Gewaltbereitschaft in seinem Land nur verstehen, wenn man sich die Geschichte genau ansehe, meint Pitts.
Er mache sich große Sorgen, so Pitts, dass es irgendwann zu einem Bürgerkrieg kommt. Seitdem 2009 Millionen Iraner auf die Straße gingen, habe die Regierung nur mit Gewalt geantwortet. An diesem Punkt stimmt ihm die Menschenrechtsaktivistin Mehrangiz Kar zu und nutzt umgehend die Gelegenheit, um darauf hinzuweisen, dass Rafi Pitts Film "The Hunter" übrigens nicht die Realität zeige. Im Iran schössen Zivilisten nicht auf Polizisten. Das habe sich der Filmemacher einfach nur ausgedacht. Pitts lacht kurz auf und verzichtet auf eine Replik.
Kurz vor Schluss kommt dann doch noch eine spannende Frage auf: Weiß das Regime eigentlich, wie sehr es den Rückhalt zumal bei der Jugend verloren hat? Die Filmemacherin Sepideh Farsi und Ali Samadi Ahadi sind überzeugt davon, dass die Elite sehr gut informiert ist. Pitts hingegen ist skeptisch. Für ihn sitzt die Regierung dem Missverständnis auf, nur die urbane Bevölkerung lehne sie ab. Doch - Analyse hin oder her - das Wichtigste sei doch, dass Panahi und Rasoulof freikommen. Für etwas anderes könne er sich gerade nicht wirklich interessieren.
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