piwik no script img

Umgang mit RassismusWenn das Gesetz nicht schützt

Kommentar von Farnaz Nasiriamini

Das Recht schützt von Rassismus Betroffene eher schlecht. Daher braucht es mündige Bürger*innen, die bei Ausfällen einschreiten.

Sylterin gegen Rassismus, Mahnwache am 26.5 Foto: Lea Saral Albert/dpa

D ie Sonne knallt, das Bier fließt, und es wird gegrölt und gezeigt, was tief im Herzen sitzt: „Ausländer raus!“, gefolgt vom strafrechtlich verbotenen Hitlergruß. Selbst im schillernden Urlaubsparadies Sylt brechen rassistische Gedanken hervor. Sie fliegen wie giftige Pfeile auf offene Wunden. Worte, die Alltag für Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland sind, zufällig aufgenommen und vervielfältigt.

Nur Tage später stimmen im Internat Loui­sen­lund Schü­le­r:in­nen auf einer Party in den Hassgesang ein. Nach dem Hessenpokalfinale kursiert ein Video, auf dem ein Fan der Kickers Offenbach den Hitlergruß zeigt.

Die Debatte dreht sich nun um mögliche rechtliche Konsequenzen für die Tä­ter:in­nen. Doch wer schützt die Opfer? Deutschland hat eines der schwächsten Antidiskriminierungsgesetze in Europa. Das sogenannte Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz soll seit Jahren umfassend reformiert werden. Eine Novelle war von der Ampelkoalition angekündigt, aber passiert ist – nichts. Ein Gesetz ohne Zähne.

In Berlin existiert das Landesantidiskriminierungsgesetz, das vor Diskriminierung durch den Staat schützt. Ein kleiner Lichtblick, wenn zum Beispiel die Polizei diskriminiert. Aber wer schützt vor freien Gedanken, die sich in giftige Worte verwandeln? Gedanken, die sich in unserer Gesellschaft einnisten, werden zu Worten, die verletzen, und dann zu Taten, die töten. Wir schauen zu, bestenfalls empört, oft gleichgültig. Dabei sät die Gesellschaft schon seit Jahren dieses braune Unkraut.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Auch das Strafrecht als schärfstes Schwert des Rechtsstaats ist in erster Linie kein Präventions-, sondern ein Repressionsmittel. Das Strafrecht hat nicht geholfen, als die Opfer von Hanau rassistisch motiviert getötet wurden. Im Rahmen des Strafrechts wurde gegen die Polizei ermittelt, aber der Fall ist mittlerweile zu den Akten gelegt.

Den Mund aufmachen

Wachsamkeit? Sicher. Aber was wir gesellschaftlich brauchen, ist die Bereitschaft, die Komfortzone zu verlassen und den Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus ernsthaft aufzunehmen; den Mund aufzumachen, wenn wir Ungerechtigkeit hören oder sehen; die Hand zu reichen, wenn jemand Hilfe braucht. Und ja, es fängt bei uns an. Bei unseren Gedanken. Bei unseren Worten. Bei unseren Taten.

Denn wenn wir das nicht tun, wird es auch in diesem Fall nicht bei Worten und strafbaren Gesten bleiben. Wir werden weitere Taten sehen. Taten, die Leben zerstören und die Gesellschaft weiterspalten. Die Zeit zu handeln ist jetzt. Die Sonne knallt, Schlager laufen, und wir müssen aufstehen und etwas ändern, bevor das Grölen, das tief im Herzen sitzt, ins Echo der Geschichte einstimmt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • was hier gruselt ist doch nicht die gesetzeslage. was hier gruselt ist der falsch verstandene trotz der jungen, die denken, das wäre eine gelegenheit gegen das establishment zu opponieren und hiefen den song jetzt erst recht auf platz1. was hier gruselt, ist die selbstverständlichkeit u. sichherheit mit der man sich beim feiern und grölen abfilmt. aber was auch gruselt ist der umgang damit? kündigung ?exmatrikalutation? und ein foto im und geleakte adressen im netz! leute! so geht das nicht, wir sind wieder im mittelalter mit dem pranger am marktplatz angelangt! unser gericht muss hier noch eine chance haben, vor den mob zu gelangen, es wurden sogar leute verwechselt und massiv online fälschlich attackiert!?? egal in welche richtung, dauernd verliert man hier mass und ziel? ich will nicht in einer gesellschaft leben, in der social media erstmal komplett vernichtend aburteilt und erst wenn noch was übrig ist, die gerichte eintreten? so wird man der sache nicht herr, das provoziert die gegenseite nur erst recht gegenzuhalten, das sehen wir am zulauf der afd. nur bekämpfen allein, ist zu wenig. aufklärung und strafen die im zusammenhang mit der tat stehen, wären sinnvoller!

    • @pilzkonfekt:

      Danke für den Kommentar! C. Frohn

  • Mit dem Strafrecht sollte man vorsichtig sein.

    Wer heute fordert, die Parole "Ausländer raus" müsse strafbar sein, wäre vermutlich empört, wenn der Slogan "Deutschland verrecke" oder die Bezeichnung der Deutschen als "Kartoffeln" demnächst vom Staatsanwalt sanktioniert wird.

    Die Titulierung diverser CDU-Granden als "Ausländerfeinde", "Hetzer" oder "Wegbereiter der Rechtsextremen" muss ausgehalten werden, auch wenn man diese für falsch hält. Der Staatsanwalt sollte nicht Zensor für missliebige Meinungen werden.

    Auch in der beliebten Kategorie der "Israelkritik" kann das Strafrecht keine Lösung sein. Nicht jeder, der in jugendlichem Leichtsinn "From the river to the sea, Palestine will be free" skandiert, ohne diesen Slogan zu Ende zu denken, muss vom Staatsanwalt verfolgt werden.

    • @Karl Murks:

      Danke. Genau solche Bedenken kommen auch mir immer wieder. Genau diejenigen, die meinen, hier liberal zu argumentieren, schütten das Kind im Bade aus, in dem sie totalitären Bedingungen Vorschub leisten, die so in unserem Grundgesetz ganz sicherlich nie gewollt worden sind.

    • @Karl Murks:

      Wenn man gegen Rechts härter vorgehen will dann muss man auch gegen "From the River to the sea" mit aller härte vorgehen. Aber was viele nicht verstehen ist wie du sagst nicht alles was im Suff so rausgelassen wird effektiver Rassismus. Rassismus ist grundsätzlich eine Herzenshaltung und die kann jeder Leben oder eben nicht ganz egal was wir für Verbote usw bringen.

  • Den Part über das Verlassen der Komfortzone unterstütze ich und werde mir Mühe geben, das auch mehr zu beherzigen.

  • Gesetze schützen in erster Linie die Sponsoren der Gesetzesmacher.



    Für den Rest gilt: Papier ist geduldig, setzt aber kaum etwas durch.