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Umfrage zur BerufsausbildungLieber gleich Kohle verdienen

Viele junge Menschen wollen keine Ausbildung machen, sondern direkt arbeiten. Die Studie zeigt: Ihnen fehlt oft persönliche Beratung.

Ausbildung, nein danke: Viele junge Menschen wollen direkt nach der Schule „anpacken“ und Geld verdienen Foto: Andreas Pacek/imago

Berlin taz | Die aktuelle Weltlage stärkt bei jungen Menschen offenbar den Wunsch nach Sicherheit. Das legt die am Mittwoch veröffentlichte repräsentative Jugendbefragung „Ausbildungsperspektiven 2025“ der Bertelsmann-Stiftung nahe. Demnach möchte je­de:r Fünfte nach der Schule erst einmal direkt arbeiten und Geld verdienen, statt eine Ausbildung oder ein Studium zu beginnen. Bei Schü­le­r:in­nen mit niedrigem Schulbildungsniveau plant das sogar je­de:r vierte.

Die Au­to­r:in­nen der Studie sehen diese Zahlen mit Sorge: „Im schlechtesten Fall verbleiben die jungen Menschen nicht nur kurz- sondern mittel- und langfristig in solchen Helferjobs und stehen den Unternehmen somit nicht als qualifizierte Fachkräfte zur Verfügung“, heißt es im Bericht. Mit Folgen vor allem für sie selbst: Menschen ohne Berufsabschluss haben ein hohes Risiko, arbeitslos zu werden.

Dieses Risiko gehen bereits heute viele 20- bis 34-Jährige ein. Nach den Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) ist unter ihnen aktuell fast je­de:r Fünfte ohne abgeschlossene Berufsausbildung, das sind hochgerechnet knapp 2,9 Millionen Menschen. Vor zehn Jahren waren es noch „nur“ rund 1,9 Millionen. BIBB-Präsident Friedrich Hubert Esser bezeichnete diese Entwicklung als „No-Go für den Bildungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland“.

Wie zu erwarten, ist das Bildungssystem für die Chancen auf eine abgeschlossene Berufsausbildung maßgeblich. Je höher der Schulabschluss, desto geringer ist das Risiko, später zu den sogenannten nicht formal Qualifizierten (nfQ) zu gehören. Der überwiegende Teil dieser Gruppe hat gar keinen Schulabschluss. Und die Quote der Schul­ab­bre­che­r:in­nen ist in fast allen Bundesländern zuletzt gestiegen und lag 2023 bundesweit bei 7,3 Prozent.

Vage Versprechen von Union und SPD

In ihrem Sondierungspapier hatten Union und SPD noch versprochen, die Zahl der Schulabgänge ohne Abschluss „deutlich zu senken“. Im Koalitionsvertrag findet sich der Satz nicht mehr, die Bundesregierung verspricht aber immerhin, die Jugendberufsagenturen, an die sich junge Menschen mit Fragen wenden können, sowie die Berufsorientierung an Schulen zu stärken. Konkreter sind CDU, CSU und SPD bisher nicht geworden.

Wie groß der Nachholbedarf ist, zeigt die Bertelsmann-Umfrage: Zwei von drei Schü­le­r:in­nen fühlen sich nicht gut über eine spätere Berufswahl informiert. Die fehlende Orientierung ist für die Betroffenen die größte Hürde für die Aufnahme einer Berufsausbildung (38 Prozent) und liegt damit noch vor Punkten wie die geringen Vergütung für Azubis (34 Prozent) oder unattraktive Ausbildungsplätze in der Region (32 Prozent).

Ein Beratergremium der Länder – die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) – bezeichnete die bisherige Berufsorientierung kürzlich als „unzulänglich“ und schlug etwa vor, diese in die Lehrkräftebildung zu integrieren.

Auch Helen Renk, Co-Au­to­rin­ der Bertelsmann-Studie, sieht Handlungsbedarf: „Junge Menschen wünschen sich mehr Unterstützung durch persönliche Beratung innerhalb und außerhalb der Schule“, sagte Renk der taz. Vor allem eine Stärkung der Jugendberufsagenturen im Hinblick auf ein flächendeckendes und qualitativ hochwertiges Beratungsangebot fände sie hilfreich. Es brauche einen Ort, wo jungen Menschen geholfen werde, unter rund 23.000 Studiengängen und knapp 330 Ausbildungsberufen den passenden zu finden.

Die Schule ist dieser Ort offensichtlich nicht.

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8 Kommentare

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  • Jeder 5.? Und die "restlichen" 80 %?

  • Mein Sohn macht nach zwei begonnenen Studiengängen jetzt eine Ausbildung, ich zahle ihm mehr dazu als er verdient. Der Chef verlangt einen Führerschein, den muss er wegen Arbeit im Kompaktkurs machen, kostet 5k, kein Problem. Jetzt lass da mal jemanden sein der keine Unterstützung bekommt sondern vielleicht selber andere unterstützen muss. Und nein, Bafög bekommt man bei einer betrieblichen Ausbildung nicht. Klar müssen die Leute erst mal arbeiten um sich Wohnung und Führerschein zu erarbeiten. Manche Ausbildung geht nicht ohne eigenes Auto usw.

    • @Gunnar Grannis:

      Nun zum einen kann auch eine Ausbildung ohne zwei begonnene Studiengänge gemacht werden und das eine Führerschein manchmal notwendig ist streite ich auch nicht ab. Allerdings was machen dann die 16 jährigen, sollen die bis zu Führerschein warten? Eigene Wohnung als Azubi? Ich glaube Sie sollte die Anspruchshaltung, die Sie, oder vielleicht Ihr Umfeld hat mal hinterfragen.



      Gerade jungen Menschen aus "ärmeren" Familien machen eher eine Ausbildung statt zu studieren.

  • Ich frage mich gerade, was die Gründe für diese Entwicklung sind.



    bzw ich bin mir Sicher, dass die Gründe geld verdienen zu wollen, eher beim Geld verdienen müssen liegen.

    Kneift mich wenn ich quatsch erzähle, aber Menschen mit geringen Bildungsgrad kommen doch auch eher aus Haushalten mit geringem Bildungsgrad. Oder?



    Sind diese Haushalte überhaupt in der Lage ihre Kinder finanziell zu Unterstützen?



    Wie viel kostet dich dein Studium plus Lebensunterhalt im Monat?



    Wie niedrigschwellig sind Förderprogramme?

    Jetzt kommt die Bertelsmanstiftung um die ecke und Experte verlangt mehr Informationsangebote.

    Für was denn bitte? War schon mal jemand bei der Bildungsberatung? Vielleicht hat sich ja was geändert aber meiner Erfahrung nach geben die auch kein Geld raus.

    Im Kommentar fehlt mir etwas weitergehende Information über die Lage der Jungen Menschen. Als würde das Gefühl zur aktuellen Weltlage nicht in Reale Lebenssituationen übersetzt werden können.

    Oder wo ist eine Einordnung der aktuellen Politik dies bezüglich… was ist das Interesse der Regierung, diesen zustand nicht zu ändern?

  • Als Lehrerin sehe die Probleme mit dem Betriebspraktikum leider jedes Jahr. Eine Woch Praktikum ist deutlich zu wenig und oft sitzen die Jugendlichen nur rum und bekommen keinen echten Einblick in den Breruf oder den Betrieb. In der Gastronomie herrscht ein höllischen Ton und die Jugendlichen müssen gleich richtig ranklotzen. Einen Mittelweg gibt es selten. Dazu sind die ist 14 jährigen weder motiviert noch in der Lage über weitreichende Lebensentscheidungen nachzudenken. Auch wenn heute Berufswechsel häufiger und leichter sind als früher sind Jugendliche mit der Entscheidung über die nächsten 10 Jahre überfordert. Dazu noch die vielen neuen Ausbidungsberufe und ihre Unterberufe. Wede ich jetzt Fachinformatijer für Systemintegration oder Anwendungsentwicklung? Das Überfordert

    • @Mimi Panini:

      Werde ich jetzt Fachinformatiker für Systemintegration oder Anwendungsentwicklung? Das Überfordert



      Ok das mag für dieses Beispiel gelten, aber ob Junge, Mädchen Maurer oder Informatiker werden will sollte schon drin sein. Das Beispiel ist mit Recht überspitzt, aber etwas Eigeninitiative, gerade weil es heute im Gegensatz zu früher das Internet und die Sozialen Medien gibt, kann schon verlangt werden. Und bitte wer muss sich heute schon mit 14 festlegen? Die meisten gehen bis 16 beim Abitur noch länger zur Schule.



      Leider kennen auch viele Lehrer(innen) die Berufe nur noch aus dem Fernsehen und sind nicht in der Lage, den einen oder anderen Ratschlag zu geben.

    • @Mimi Panini:

      Btr. Zitat:

      "Dazu noch die vielen neuen Ausbidungsberufe und ihre Unterberufe. Wede ich jetzt Fachinformatijer für Systemintegration oder Anwendungsentwicklung? Das Überfordert"

      Ja, z.B. hat die völlig absurde "Zersplitterung" von Studium und Berufsausbildung hat keinen Nutzen und verursacht Probleme.

      Wir haben heute viele 10 Studengänge wo es früher Den Ing, Maschienenbaue, Elektrotechnik und Produktionstechnik gab (also 3).

      Kein Personaler weis ob eine "Enerneuerbarer-Energien-Ing" jetzt mehr Elektrotechniker oder mehr Maschienenbauer ist.

      Studengänge mit gleichem Namen haben heute hohe inhaltliche Unterschiede "Mechatronik" ist an der einen Hochschule im Kern Maschienenbau mit etwas Elektrotechnik, an einer Anderen Elektrotechnik mit etwas Maschienenbau.

      Die beste Reform der gesamten Bildungssystems wäre zuerst alle Reformen der letzten 25 Jahre zurück-zu-nehmen.



      Und dann die Schwächen unseres Bildungssystems die es schon vor 25 Jahren hatte neu an-zu-gehen.

      • @Jörg Heinrich:

        Hier bin ich voll bei Ihnen.



        In den letzten 25 bis 30 oder 35 Jahren wurde fast nur Bildungspolitischer Mist verzapft.



        Bachelor-Master, Schreiben nach Gehör, Inklusion ohne entsprechendes Personal, etc.



        Aber keiner wird den Mut haben, wirklich mal einen Cut zu machen. jeder Politiker/Minister hat mehr Angst vor aufgebrachten Eltern und einem Shitstorm als Respekt vor seinem Amt.