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Umbenennung der Mohrenstraße„Es betrifft uns alle, wie diese Straße heißt“

Am Samstag wird das neue Straßenschild in der Anton-Wilhelm-Amo-Straße enthüllt. Die Aktivistinnen Regina Römhild und Adela Taleb blicken zurück.

Der Bezirk beschloss die Umbenennung der M-Straße 2020, umgesetzt wird sie erst fünf Jahre später Foto: Sascha Steinbach/imago

taz: Am Samstag wird die Anton-Wilhelm-Amo-Straße in Mitte eingeweiht. Sie arbeiten dort am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2020 engagieren Sie sich im Amo Kollektiv Berlin für diesen Namenswechsel. Wie fühlt es sich an, dass es nun soweit ist?

Regina Römhild: Es ist eine große Freude, nach so langer Zeit diesen Moment zu erleben. Seit ich 2009 ans Institut kam, hat mich dieses Thema verfolgt. Ich hatte große Schwierigkeiten damit, in einer Straße zu lehren und zu forschen, die einen so rassistischen Namen trägt.

Adela Taleb: Zivilgesellschaftliche Gruppen kämpfen seit den Neunzigern für diese Umbenennung – nun waren sie erfolgreich! Das empfinde ich als hoffnungsvolles Signal für demokratische Prozesse, gerade in Zeiten, in denen die Demokratie gefährdet ist und Rassismus grassiert.

taz: Sie bezeichnen das M-Wort als rassistisch. Nicht alle sehen das so. Warum war für Sie die Umbenennung der M-Straße notwendig?

Römhild: Das M-Wort wurde schon vor dem Kolonialismus benutzt, um Menschen aus europäischer Sicht als „versklavbar“ zu markieren. Heute verletzt der Begriff Nachfahren dieser Geschichte. Wer den Begriff als Lappalie abtut, übersieht, dass er auf extremer Gewalt, Versklavung und Unterdrückung ganzer Gesellschaften beruht.

taz: Sie haben 2020 das Amo Kollektiv gegründet. Wie kam es dazu?

Taleb: Im Juni 2020 haben wir als Institut einen Offenen Brief geschrieben, in dem wir gefordert haben, die M-Straße umzubenennen. Und den haben ganz viele An­woh­ne­r*in­nen der M-Straße und darüber hinaus unterzeichnet. Daraus entstand zuerst eine lose Nachbarschaftsinitiative und später das Amo Kollektiv, das nochmal spezifischer einen künstlerisch-wissenschaftlich-forschenden Zugang hat.

taz: Sie haben Beteiligunsformate entwickelt: Das „Dekoloniale Flanieren“ und den „Amo Salon“. Was genau hat es damit auf sich?

Taleb: Das „Dekoloniale Flanieren“ ist ein kritischer Stadtspaziergang. Im 18. und 19. Jahrhundert, ganz grob zu Amos Lebzeiten, war der Begriff des Flaneurs mit dem weißen, bürgerlichen Stadtspaziergänger verbunden. Wir greifen den Begriff auf, lesen ihn aber bewusst gegen den Strich. Wir denken Amo und andere rassifizierte Perspektiven mit. So entsteht eine Praxis des Gehens, in der Geschichten, die bisher unsichtbar blieben, Raum bekommen, und das Spazieren wird zu einer Form des dekolonialen Erinnerns und Erspürens von Stadt. Der Amo Salon wiederum nimmt den elitären Begriff des „Salons“ auf und transformiert ihn zu einem offenen, durchlässigen Ort. Der Salon ist ein physischer Raum in unserem Institut, der entstanden ist und das Dekoloniale Flanieren ist ein performativer. In beiden Räumen kann dekoloniales Erinnern stattfinden, was den Straßennamen kontextualisiert, den vorherigen und den aktuellen. Wir stellen uns damit auch der Behauptung entgegen, mit der Umbenennung würde die Geschichte ausradiert. Allerdings wären für diese wichtige Kontextualisierungsarbeit dringend mehr Ressourcen nötig.

taz: In Ihrem offenen Brief hatten Sie auch die Einrichtung eines postkolonialen Lern- und Erinnerungsortes gefordert. Haben Sie diese Forderung also selbst erfüllt?

Taleb: Sozusagen. Hier geht es nicht nur um Amo, sondern allgemein um Fragen von Kolonialismus und Rassismus. Es finden Veranstaltungen statt und es gibt eine Ausstellung zur Geschichte und Gegenwart der Umbenennung, die das Amo Kollektiv gemeinsam mit Decolonize Berlin und der Black Student Union der HU gestaltet hat.

taz: Anton Wilhelm Amo war der erste bekannte Philosoph afrikanischer Herkunft an einer preußischen Universität. Welche Bedeutung hat er als Namensgeber dieser Straße?

Taleb: Anton Wilhelm Amo ist auf so vielen Ebenen passend für diese Straße: Er setzte sich mit Rechtsfragen Schwarzer Menschen auseinander und nutzte selbst den M-Begriff. Als Denker, der sich mit Rechtsfragen befasste, ist er zudem passend, weil das Bundesjustizministerium dort ansässig ist. Recht, Gerechtigkeit und Antidiskriminierung sind wichtige Themen in Amos Denken und werden durch das Justizministerium in dieser Straße physisch symbolisiert.

Römhild: Ich selbst habe erst von Schwarzen Ak­ti­vis­t*in­nen wie May Ayim etwas über Anton Wilhelm Amo gelernt. Amo war lange Zeit vergessen. Dabei hat er in seinen philosophischen Schriften sehr viel zur Auseinandersetzung mit Rassismus beigetragen.

taz: Was konkret? Seine Disputation „Über die Rechtsstellung der M* in Europa“ ist schriftlich nicht überliefert.

Römhild: Das ist tatsächlich eine Schwierigkeit. Aber seine Schriften wurden durchaus gelesen und entsprechend kommentiert. Daraus können wir schließen, was er gesagt hat. Er hat sich gegen die Versklavung ausgesprochen und das mit rechtsphilosophischen Argumenten begründet. Außerdem stellte er sich gegen die vorherrschende Vorstellung einer einzigen, christlichen Theologie und betonte die Existenz vielfältiger theologischer Perspektiven. Das war zu der Zeit eine gefährliche bis lebensgefährliche Position.

taz: Der Bezirk beschloss die Umbenennung 2020, umgesetzt wird sie erst fünf Jahre später. Ein Grund dafür waren – mittlerweile gerichtlich zurückgewiesene – Klagen von An­woh­ne­r*in­nen und öffentliche Kritik, etwa seitens des Historikers Götz Aly. Wie bewerten Sie rückblickend diese Debatten?

Römhild: Aus meiner Sicht ist das eine Verzögerungstaktik gewesen, die leider sehr oft eingesetzt wird, auch von den neuen, rechtspopulistischen Kräften. Da möchte ich Götz Aly nicht drunter subsumieren, aber er hat sich bei der Auseinandersetzung um die M-Straße zu der Aussage verstiegen, dass wir die Geschichte zu akzeptieren hätten, auch auf einem Straßennamen. Das sehe ich anders: Straßennamen sind keine Geschichtsbücher.

taz: Manche argumentieren, dass es zur damaligen Zeit eine M-Straße gab, könnte als Ehrung gemeint worden sein. Außerdem hat Anton Wilhelm Amo das M-Wort selbst verwendet.

Römhild: Das hören wir oft. Beim Dekolonialen Flanieren haben wir Anton Wilhelm Amo mit W.E.B. Du Bois zusammengebracht. Der afroamerikanische Soziologe nutzte damals das N-Wort, weil ihm zu seiner Zeit gewissermaßen gar nichts anderes übrig blieb. Ähnlich muss es bei Amo gewesen sein. Das ändert nichts daran, dass der Begriff aus einer Zeit stammt, in der Menschen versklavt wurden und in der jemand wie Amo als Kind an deutsche Herzöge verschenkt werden konnte. Straßennamen sind letztlich gesellschaftspolitische Entscheidungen darüber, welche Geschichte im öffentlichen Raum präsent ist. Und es macht einen großen Unterschied, ob auf einem Schild M-Straße oder Anton-Wilhelm-Amo-Straße steht.

taz: Anfangs sagten Sie, dass viele Nach­ba­r*in­nen Ihren Brief unterschrieben haben. In der öffentlichen Debatte kamen An­woh­ne­r*in­nen allerdings vor allem als Geg­ne­r*in­nen der Umbenennung vor – mit irgendwie mehr Gewicht als die Aktivist*innen, die dafür waren.

Taleb: Die M-Straße oder Anton Wilhelm Amo-Straße ist eine ziemlich spezifische Straße, weil da nur ganz wenig Leute privat leben. Hier haben sehr viele Institute, Ministerien, Hotels, Cafés, Fitnessstudios ihre Adresse. Es stellt sich also die Frage: Wer sind denn die An­woh­ne­r*in­nen in dieser Straße? Ich denke, jeder und jede, die in dieser Straße ein- und ausgeht, sollte mitreden können, wie die Straße heißt. Das ist eine Straße mit so einer Symbolkraft, an einem sehr touristischen Ort in der Hauptstadt Deutschlands. Es betrifft uns alle, wie diese Straße heißt.

Römhild: Das ist im Grunde auch die Position, die der Richter in der Verhandlung vertreten hat. Er hat die Anwohnerklagen auch deshalb zurückgewiesen, weil es keine Frage sei, die nur einzelne Leute, die da wohnen, betrifft, sondern eine von gesamtstädtischem Interesse. Tatsächlich haben wir die Nachbarschaftsinitiative anfangs auch gegründet, weil es diese Anwohnerinitiative gegen die Umbenennung gab, die mit einem veralteten Anspruch auf weiße Definitionsmacht aufgetreten ist.

taz: Gibt es etwas, das Sie rückblickend anders machen würden?

Römhild: Ich hätte mir gewünscht, dass wir zu den ganzen Menschen, die sich von diesem Straßennamen tagtäglich in einer negativen Weise betroffen fühlen, schneller ein Vertrauensverhältnis hätten aufbauen können. Dass das heute geglückt ist und wir über die einzelnen Gruppierungen hinweg zusammenarbeiten, ist für mich eines der wichtigsten Ergebnisse dieses Prozesses.

Taleb: Ich persönlich hoffe, dass der Amo-Salon in Zukunft vermehrt ein Ort für eine produktive Streitkultur sein kann. Ich lade auch die Menschen, die keine Haltung hatten zu der Umbenennung oder dagegen waren, ein, mal vorbeizukommen!

taz: Das heißt, Sie machen weiter, obwohl Sie jetzt quasi Ihr Ziel erreicht haben?

Taleb: Die Arbeit beginnt eigentlich erst jetzt.

taz: Wie meinen Sie das?

Taleb: Solche Momente der intersektionalen Geschichtsschreibung, wo Geschichte anders erzählt, anders erinnert wird, geben immer einen Schub nach vorne. Jetzt geht es darum, die verschiedenen Fäden, die man von Amo aus spannen kann, zu verfolgen und zu gucken, wo es andere Geschichten der Marginalisierung gibt, die sich kreuzen und überschneiden mit Gedanken und dem biografischen Weg von Amo und darüber hinaus. Das ist ein Anstoß für weitere Dekolonialisierungsprozesse.

Römhild: Ich denke dabei etwa an die koreanisch-japanische Kolonialgeschichte, die der Korea-Verband aufarbeitet. Das Interessante ist, dass Berlin ein Ort ist, an dem das alles präsent ist.

Am 23. 8. feiern zivilgesellschaftliche Organisationen die Umbenennung der M-Straße in Anton-Wilhelm-Amo-Straße ab 14 Uhr auf dem Hausvogteiplatz

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