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Umbau von Israels JustizTyrannei der Mehrheit

Demokratie ist Teil von Israels Sicherheit. Deutschland ist aufgerufen, Angriffe auf Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Bürgerrechte zu kontern.

„Ihr habt hier nichts mehr zu suchen“: Proteste gegen die Regierung Netanjahu am 1. März in Tel Aviv Foto: Amir Cohen/reuters

B enjamin Netanjahus zwei Monate alte Regierung – eine Koalition aus extremen nationalistischen und ultraorthodoxen Kräften – ist das erste durchgängig rechte Kabinett unseres Landes. Es könnte auch dessen letzte demokratische Regierung sein. Ihre Mitglieder sind entschlossen, nicht nur Gesetze und Politik zu verändern, sondern auch das Wesen Israels als Staat. Keine liberale Demokratie mehr, stattdessen wird geschickt ein nationalistisch-religiöses, autoritäres Regime etabliert.

Netanjahu war einmal ein lautstarker Unterstützer des Obersten Gerichts und stolz auf das internationale Ansehen der Unabhängigkeit israelischer Rechtsprechung – doch nur so lange, bis er sich wegen Korruption vor Gericht verantworten musste. Seit zwei Jahren arbeitet er faktisch auf einen Staatsstreich hin, inspiriert von Viktor Orbáns feindlicher Übernahme der ungarischen Demokratie. Ein Netzwerk aus Pseudo-Journalisten und Chaos-Agenten in den sozialen Netzwerken sorgt dafür, dass Netanjahus Unterstützer mit Lügen gefüttert werden. Sie sollen die bestehende Justiz als Volksfeind betrachten. „Zion wird durch Recht erlöst“ (Jesaja 1:27) ist die offizielle Bezeichnung ihres geplanten Regelbruchs – Orwell hätte seinen Spaß daran. Nichts weniger als das jüdische Erbe wird damit missbraucht und untergraben.

Mehrere wichtige Minister haben bereits ihre Absicht kundgetan, das öffentliche Leben Israels umzugestalten, indem sie Persönlichkeitsrechte einschränken, vor allem die arabischer Bürger, Frauen und LGBTQ. Das Streikrecht soll beschnitten werden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die Pressefreiheit sind bedroht. Im Schulunterricht sollen die Werte Gleichheit und Schutz von Minderheiten nicht länger vermittelt werden.

Einige der „Reformen“, wie die Regierung sie bezeichnet, liegen der Knesset bereits als Gesetzentwürfe vor. Klar ist, dass sie unter den bisherigen Regeln nicht in Kraft treten dürften, denn das Oberste Gericht würde sie mit Verweis auf bestehende Gesetze und die Tradition von 75 Jahren Rechtsprechung sicher für ungültig erklären. Aus diesem Grund zielt gleich die erste Initiative des Kabinetts darauf, die Unabhängigkeit der Justiz und Möglichkeiten abzuschaffen, Gesetze und Entscheidungen der Regierung zu überprüfen.

Im politischen Lexikon Netanjahus und seiner Partner ist jeder Gegner der sogenannten Reform – ja jeder liberale Israeli mit Bürgersinn, egal ob links, Mitte oder rechts – ein Verräter. Unpatriotisch. Dem jüdischen Staat gegenüber untreu. „Geht doch nach Berlin“, höhnen sie in den sozialen Netzwerken und in der Knesset. „Ihr habt hier nichts mehr zu suchen“, sagen sie den Tausenden Demonstrierenden, die ihr ganzes Leben mit Überzeugung für dieses Land gearbeitet und gekämpft haben. Unser neuer „Propagandaminister“ erzählt der Welt, dass unser Bürgerprotest „aus Deutschland und dem Iran finanziert“ werde. So entsteht in ihrer ignoranten und verwirrten Einbildung eine neue Achse des Bösen.

Diese rasche und unheilvolle Entwicklung ist nur teilweise mit den antidemokratischen Erdrutschen in Polen oder Ungarn vergleichbar, denn die Konsequenzen für Israel werden sehr viel verheerender sein. Zum einen, weil Israel keine geschriebene Verfassung hat und das Oberste Gericht, der Generalstaatsanwalt und die Rechtsabteilungen der Knesset wie der Ministerien die einzigen Kontrollmechanismen darstellen, wobei die Rechtsabteilungen nun zu politischen Ausführungsorganen werden sollen. Sollten diese Instanzen und ihre Rechtsprechung ausgeschaltet werden, öffnete sich damit die Tür zu einer Tyrannei der Mehrheit.

Anstelle einer liberalen Demokratie wird geschickt ein nationalistisch-religiöses autoritäres Regime etabliert

Zweitens wird Israels Gesellschaft von zahlreichen Bruchlinien durchzogen: zwischen rechts und links, Juden und Arabern, Orthodoxen und Säkularen, Juden und Jüdinnen mit orientalischen Wurzeln und denen, deren Vorfahren aus Europa einwanderten. Schon häufen sich die gesellschaftlichen Konflikte – bald wird es keinen Mechanismus mehr geben, um Kompromisse zu finden und den Hass in Schach zu halten.

Drittens gibt es den langen und blutigen Konflikt mit den Palästinensern und Palästinenserinnen, von denen viele unter Besatzung leben. Die Gewalt eskaliert. Netanjahus Regierung plant, die jüdische Besiedlung im Westjordanland auszuweiten und palästinensische Gebiete zu annektieren. Aber vorher versucht die Regierung, das Leben der Pa­läs­ti­nen­se­r zusätzlich zu erschweren, mit unverhältnismäßigen Maßnahmen und Kollektivstrafen. Eine neue Komponente ist das schamlose Niederbügeln zivilgesellschaftlicher Kritik. Eine israelische Armee oder Polizei ohne Kontrollinstanz bereitet aber den Weg zu schrecklicher Gewalt, was nicht nur Israel und Palästina beträfe, sondern einen großen Teil der islamischen Welt.

Anders als Ungarn, Polen und die Türkei ist Israel ein Land mit einer lebendigen, aktiven und lautstarken Zivilgesellschaft. In Israel weiß man genau, in welchen anderen Ländern die Demokratie zerbrach – und aus welchen Gründen. Die riesigen Demonstrationen dieser Tage zeigen unsere gesellschaftliche Stärke, ebenso wie das breite Spektrum von Berufs- und Unternehmensverbänden, akademischen und philanthropischen Organisationen, die sich öffentlich und lautstark gegen die Pläne der Regierung gestellt haben. Wir müssen über zivilen Widerstand nachdenken, gewaltlos, aber bereit, im Kampf gegen diese mehr und mehr illegale Regierung auch Gesetze zu brechen.

Wie, fragen wir uns, stellt sich die Bundesrepublik dazu? Seit Jahrzehnten erklären sich deutsche Po­li­ti­ke­r für Israels Sicherheit verantwortlich, Angela Merkel nannte dies sogar Teil der Staatsraison. Demokratie ist ein fundamentaler Bestandteil der Sicherheit Israels. Wir rufen Israels Freunde überall, aber besonders in Deutschland auf, uns zu helfen, Israels Demokratie zu schützen und sich gegen die Blitzattacke der Regierung auf den Rechtsstaat, auf Gewaltenteilung, bürgerliche Freiheiten und Menschenrechte auszusprechen.

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4 Kommentare

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  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    "Wie, fragen wir uns, stellt sich die Bundesrepublik dazu?"



    Wer fragt die Bundesregierung? Ob sich die taz traut?

  • Ein faschistisches System etabliert sich.



    Wenn sie die erste Hürde packen werden sie so sicher landen wie die Systeme in der Türkei, Ungarn, Syrien . . . .



    Zu erst das Rechtsystem entmachten und zu eigenen Zielen missbrauchen, dann die Presse als gleichgeschaltetes Organ benutzen und nur noch das eigene unkontrollierte uneingeschränkte Grüppchen gleichgesinnter bleibt über.



    Nur für Israel bedeutet es leider auch das die nicht befreundete Nachbarstaaten sich das Gebaren nicht gefallen lassen werden. Ich hoffe nur das dann die Weltgemeinschaft sagt: "Selbst schuld"

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Ramaz:

      Pressefreiheit Rang 86 / Reporter ohne Grenzen / www.reporter-ohne-...ste/rangliste-2022

  • Es ist immer schlecht wenn religiöse Extremisten an die Macht kommen - meist mit Nationalisten. Dann war es das mit Demokratie und es wird schnell unlebenswert. Einzige Ausnahme die mir einfällt ist der Vatikan, was auch am derzeitigen Papst liegt. Für Israel geht der Trend Richtung Erzfeind Iran. Schlecht. Zeigt sich wieder mal wie wichtig eine Verfassung als Brandmauer ist.



    Die taz bringt noch nicht den Wunsch eines Ministers, ein Dorf mit 7400 Einwohnern „auszuradieren“. Ich wünsche mir sehr, dass diesen Umtrieben wie auch der Demontage der Demokratie klare Kante gezeigt wird. Bitte keine Ausnahme, unter anderem geht sonst auch der letzte Rest internationale Glaubwürdigkeit flöten.



    Drücke den Säkularen die Daumen dass sie sich durchsetzen können! Israel verdient eine positive demokratische Zukunft.