Ulrike Winkelmann über Sprachkritik: Sprache als Experiment

In unserem Haus wird um Sprache gerungen und gestritten, nicht nur in Sachen * oder Unter_Strich. Wie das ohne Regeln funktioniert.

Foto: Arnulf Hettrich / imago images

Von ULRIKE WINKELMANN

Ein wichtiger Teil im aktuellen Streit über die Identitätspolitik ist die Sprachpolitik – was sich schon daran erkennen lässt, dass der Begriff „Identitätspolitik“ strittig ist. Denn diejenigen, denen zugeschrieben wird, sie betrieben Identitätspolitik, sprechen oft selbst lieber vom „intersektionalen“ Ansatz. Sie vermuten im Begriff „Identitätspolitik“ schon zu viele Herabsetzungen.

Sprachpolitik ist ein Umgang mit der Sprache, der davon ausgeht, dass ich am Sprachgebrauch Machtverhältnisse nicht nur erkennen, sondern mit dem Sprachgebrauch auch Machtverhältnisse ändern kann. Ein besonders erfolgreiches Kapitel der Sprachpolitik ist die feministische Sprachkritik (so sagte man damals noch eher) einer Luise Pusch und einer Senta Trömel-Plötz seit den späten achtziger Jahren.

Machtverhältnisse ändern

Ihr Argument, dass die Sprache Machtverhältnisse sichtbar mache und ich also meine Sprache auch zum Sichtbarmachen nutzen solle, zieht. Heißt: Ich muss mir mehr Mühe damit geben, wen ich anspreche, denn es könnten sich längst nicht mehr alle mitgemeint fühlen.

Diese Verlagerung der Sprachaufmerksamkeit zu den Gemeinten und Angesprochenen hat sich seither auf vielen Ebenen abgespielt. So können nichtweiße Menschen inzwischen selbst Vorschläge machen, wie sie benannt werden wollen. Manche Begriffe, deren Verwendung noch vor 20 Jahren als selbstverständlich galt, sind inzwischen tabuisiert: Das N-Wort ist das vielleicht beste Beispiel.

Initiative für klimagerechte Sprache

Was sich in diesen Vorgängen spiegelt, ist ein enormer Fortschritt der Emanzipation nicht nur von Frauen, sondern von vielen Communitys, die allzu lange allzu wenig zu Wort kamen. Dass es dabei nun nicht nur um gesellschaftliche Gruppen geht, zeigte zuletzt die Initiative für klimagerechte Sprache, die an das Konzept des „Framing“ anknüpft. Die Idee: Begriffe so zu setzen, dass die Dimension der Klimakrise nicht übersehen wird; von „Erderhitzung“ zu sprechen, damit sichtbar wird, wie verniedlichend das Wort „Erderwärmung“ eigentlich ist.

Wie jede Erfolgsgeschichte hat auch die der emanzipativen Sprachpolitik eine Kehrseite. Denn der Erfolg der emanzipativen Sprachpolitik besteht darin, dass sie tatsächlich zum Machtmittel wird.

Es ist das eine, wenn die taz lustige Sprachexperimente macht, wenn sie die Fantasie, auch das Verständnisvermögen, bisweilen die Geduld ihrer Leserinnen und Leser strapaziert und durch immer neue Zeichen im Text, seien es Sternchen oder Unterstriche, englische Abkürzungen oder Wortschöpfungen, ihren Willen zur Nichtdiskriminierung bezeugt.

Sprachpolitik mit Herrschaftsanspruch?

Es ist aber etwas anderes, wenn uns diese Form der Sprachpolitik als Regel, als staatliche oder quasistaatliche oder auch öffentlich getragene Vorgabe entgegentritt. Gerichtsurteile und Leitfäden an Universitäten und Behörden belegen dies.

Auch der Deutschlandfunk gendert jetzt – wie auch Claus Kleber im „heute journal“. Die Gleichbehandlungsgesetze sorgen dafür, dass in der Verwaltung der „Gebrauch der männlichen Form und das praktisch gedachte, aber wirkungslose ‚Mitmeinen‘ von Frauen“ jetzt gesetzlich nicht mehr zulässig seien – so etwa steht es im Leitfaden der Uni Köln.

Nun kommt solche Sprachpolitik – selbst bei einem Bekenntnis zur Freiwilligkeit – nicht ohne das Werturteil aus, dass der bisherige Sprachgebrauch eben diskriminierend ist, dass also diejenigen, die traditionell sprechen, andere herabwürdigen.

Dieses Urteil dürfte nun beim halbwegs geneigten Publikum besser funktionieren, wenn es sich, grob gesagt, von unten nach oben richtet, also ein Angriff auf bestehende Machtverhältnisse darstellt. Wenn es aber von oben nach unten geht, also als Vorgabe daherkommt, liegt die Sache anders. In dem Augenblick verlässt die emanzipative Sprachpolitik den charmanten Bereich des Experiments, sie wird gemessen mit dem Maßstab für andere Sprachpolitiken mit Herrschaftsanspruch.

Kein Denken ohne Sprache

Das bekannteste Beispiel dafür dürfte immer noch „Newspeak“ sein, die stark regulierte Sprache in George Orwells Roman „1984“, mit der das Regime von Ozeanien seine Herrschaft festigen will. Das ist natürlich eine Fiktion, die aber der Wirklichkeit – damals vor allem den kommunistischen Regimes – entlehnt wurde. Es gibt kaum eine plastischere Illustration, dass und wie Regierungen an der Sprache arbeiten, um Zustände schönzureden.

Orwells Newspeak zeigt aber auch einen grundlegenden Widerspruch der Sprachkritik: SprachkritikerInnen nehmen einerseits die Sprache so wichtig, so das Argument, weil sie so prägend sei, dass es kein Denken ohne Sprache geben könne. Andererseits nehmen sie doch für sich selbst in Anspruch, über einen Raum der Erkenntnis jenseits der Sprache zu verfügen. Sonst wären sie ja nicht so schlau.

taz-eigene Instanz für eine Tradition der Sprachkritik

In der klassischen Sprachkritik in der Tradition etwa eines Karl Kraus, die nach den wahren Verhältnissen hinter den Begriffen sucht, wurden nun auch Generationen von tazlerinnen und tazlern geschult. Das Instrumentarium kennen wir – die fröhliche oder auch beißende Ironie, die feine Nase für Stilblüten und so weiter. Die Wahrheit-Seite ist quasi die taz-eigene Instanz für eine Tradition der Sprachkritik, die stets auch Ideologiekritik war.

Die Grundlage für diese Art Kritik ist immer das Motto: Ihr glaubt nicht im Ernst, dass wir euch das glauben, oder? Das heißt: Wir behaupten, dass wir die Wirklichkeit erkennen und sie besser beschreiben können, als der von oben vorgegebene Wortschatz es zulassen möchte.

Wir stoßen also in eine Lücke, die sich zwischen Realität und angebotenen Begriffen aufgetan hat. Wir behaupten, die Worte entsprächen nicht der Realität, und kritisieren diese Worte deshalb: „So dürft ihr das nicht nennen.“

Die weibliche Endung ein Rückschritt?

In dem Augenblick, da emanzipative Sprachpolitik zu einer von einem „Oben“ gesetzten Norm wird – und vieles sieht aktuell schon danach aus –, wird sie sich genau diesem Vorwurf aussetzen müssen: dass sie Wirklichkeiten konstruiert, die viele nicht als die ihren begreifen.

Dass zum Beispiel die sprachliche Schwarz-Weiß-Konstruktion oder die Begrifflichkeit People of Colour/POC beziehungsweise BIPoC nicht die Wirklichkeiten der migrantischen und postmigrantischen Communitys erfasst.

Mein Lieblingsbeispiel dafür, dass emanzipative Sprachpolitik nicht immer als emanzipativ verstanden wird, ist übrigens die Verblüffung der Ostfrauen nach der Wende, die erst einmal gar keine Lust hatten, sich nun Traktoristin oder Dreherin zu nennen. Sie meinten, sie seien Traktorist oder Dreher. Die weibliche Endung „-in“ schien ihnen ein Rückschritt in westdeutsche Verhältnisse, in denen Frauen der Illusion anhingen, durch sprachliche Betonung des Weiblichseins ihre offensichtliche Unterlegenheit kompensieren zu können.

Diskriminierungsfreie Sprache als Elitenprojekt?

Zu dieser Kritik an der Sprachpolitik gehört auch der Vorwurf, dass eine beschleunigte Produktion von emanzipativen Wortschöpfungen und Begrifflichkeiten ein fast ausschließlich akademisches Sprachspiel sei. Man sollte ihn ernst nehmen. Der Versuch, eine neue, inklusive Sprache hervorzubringen, kann nur ein Avantgardeprojekt sein, so viel ist klar.

Mir aber fehlt eine angemessene Berücksichtigung der Kollateralschäden, die solch ein Projekt mit sich bringt, wenn es die Avantgarde verlässt. Diskriminierungsfreie Sprache könnte dann umso mehr als Elitenprojekt verstanden werden, das wenig bis nichts mit dem Sprachalltag der allermeisten Menschen ohne Hochschulabschluss zu tun hat.

Ich möchte daher gern dafür plädieren, das Bemühen um faire Sprache als ein Projekt zu begreifen, das zwar emanzipativ gemeint sein kann, aber nicht von allen als emanzipativ verstanden werden muss.

Gemeintes und Verstandenes bisweilen entkoppelt

Die feministische Sprachpolitik ist von dem Prinzip durchdrungen, dass Gemeintes nicht unbedingt Verstandenes sein muss: „Du wolltest mich vielleicht nicht ausschließen, als du gerade nur die männliche Form benutzt hast – aber weil ich mich ausgeschlossen fühle, hast du es getan.“

Wenn jedoch Fortschritt heißt, dass Gemeintes und Verstandenes bisweilen entkoppelt ist, dann gilt das auch in andere Richtungen. Dann hat das auch Nachteile, Folgen haben – etwa die, dass es verschiedene Sprachwelten und -realitäten gibt, in denen wir uns orientieren müssen.

Spätestens dann, wenn emanzipative Sprachpolitik Mainstream oder sogar Gesetz und Vorgabe wird, müssen wir damit rechnen, dass sie sich einer Kritik auch von linker oder aufklärerischer Seite stellen muss. Man darf damit rechnen, dass Teile des Publikums das gut Gemeinte gar nicht als Fortschritt verstehen, sondern womöglich als diskriminierend.

Keine Vorgaben, so wenig Regeln wie möglich

Ich halte das für ein klassisches Dilemma. Mein Vorschlag wäre, das Bemühen um diskriminierungsfreie Sprache in dem Raum zu lassen, in dem es in der taz die längste Zeit war: keine Vorgaben, so wenig Urteile wie möglich, verwoben mit der Fähigkeit zur Selbstironie.

Was dabei hilft: die prägende Kraft der Sprache aufs Denken hoch einzuschätzen – doch nicht zu überhöhen.

Foto: Anja Weber

Ulrike Winkelmann, ist seit Sommer 2020 zusammen mit Barbara Junge Chefredakteurin der taz und hielt jüngst einen Vortrag über Sprachkritik, den sie hier verschriftlicht hat.