Die Wahrheit: Die Zügel eines Autokraten
Neues von der Sprachkritik: Wenn es im Deutschen hoch, weit und verspult hergeht, dann wird es gern eng, schwach und lose.
Ein Hoch auf den hohen deutschen Wortschatz! Groß ist er zwar nicht, aber eben hoch genug, um sich verständlich zu machen. „Netze verkraften hohe Datenmengen“, beruhigt rtl.de seine Internetnutzer, die taz würdigt einen Journalisten, „dessen Wort hohes Gewicht hatte“, und das ZDF klagt: „Von Anfang an wird der Krieg mit hoher Brutalität geführt.“
Dafür darf man „hohes Verständnis“ (Jens Spahn auf NDR 4) haben und muss sich auch nicht hoch darüber lustig machen, wenn Autofahrer irgendwo „mit sehr hohen Wartezeiten“ (NDR 4) rechnen müssen. Die deutsche Sprache verdaut alles und verträgt auch einen hohen Fußballtrainer, der „auf weite Teile seines Gehalts zu verzichten“ bereit ist, denn sie hat einen langen und weiten Bauch.
Der Wortschatz sei hoch oder weit, am Ende zählt die große und lange Verständlichkeit. Dann ist es wurscht, ob „sechs junge Norweger auf einem fadenscheinigen Floß“ (3sat) fuhren und Elvis Presley „zum abgehalfterten Wrack“ (arte) mutierte, ob Michael Ende mit der „Unendlichen Geschichte“ eine „inzwischen verjährte, aber wichtige Zentralerzählung der alten Bundesrepublik“ lieferte oder der „Zeichner Uli Oesterle Autobiografisches abgründig und leichtfüßig zugleich verarbeitet“. Was „verspulte Zeichnungen“ (taz) von einem „verspulten Eso-Trottel“ (Titanic) sind, bleibt zwar leichtfüßig im Fadenscheinigen, ähnlich wie die Sache mit dem „ambivalenten Sohn der Stadt“ (taz); aber man ahnt, was „aufgeräumte Gespräche“ (taz) sind, und darf davon ausgehen, dass der Käufer eines Bungalows den dazugehörigen „uneinsichtigen Garten“ (Sparkasse UnnaKamen) schon zur Räson bringen wird.
Berüchtigter Stil
Auch ohne hohe Leitung versteht man sogar, wenn das lange Gegenteil des Gesagten gemeint ist. Nicht enger Tadel, sondern weites Verständnis und Lob soll es sein, wenn die taz in ihrem Nachruf auf den Rückenschwimmer Roland Matthes schreibt: „Sein ästhetischer Schwimmstil war berüchtigt.“ Hingegen Verständnis und Lob, nicht Tadel soll es sein, wenn sie „das Verdienst der kroatischen Nationalisten“ beschreibt, „dass die Debatten über die Schuld am Bürgerkrieg immer nationalistisch gefärbt sind“.
Schmähung als Lobrede, Aufwertung als Tadel – die taz ist eine ambivalente Zeitung; aber andere sind es auch, so das Göttinger Tageblatt, das deshalb titelt: „Floot veröffentlichen einen neuen Song – und mahnen Bandsterben in der Corona-Krise an“.
Nun gibt es die taz noch gedruckt, obwohl Print eine verjährte Form des Publizierens ist, wenn nicht eine verspulte. Aber ihre Leserschaft besteht nicht zuletzt aus „hochaltrigen Menschen“, die Papier schätzen und bei der Lektüre immer wieder, staunend über das niederaltrige Deutsch der Zeitungsschreiber, ihre „wuschigen Brauen“ (taz) heben. Aber so sind die Brauen alter Menschen und vor allem Männer nun einmal, sie ähneln Wüschen und Sträuchern.
Die altrigen Bande zur deutschen Sprache sind eben nicht hoch, lang, weit oder gar, horribile dictu, geworden, weshalb ein SPD-Bürgermeister in der Mittelbayerischen Zeitung über die Beziehung seiner Partei zur Gewerkschaft die singuläre Klage führt: „Die Bande ist seit Langem nicht mehr so stark, wie sie sein sollte.“ Und es ist mehr als ein hohes Körnchen Wahrheit darin, so sieht diese wuschige SPD seit Gerhard Schröder die altrige Arbeiterbewegung.
Abgehalftertes Wrack
Seither steht es schlecht um die einst hohe Partei. Was sie auch macht, ist falsch, und macht sie es falsch, ist es auch nicht richtig. Sie mutiert zum abgehalfterten Wrack und kann Trost allenfalls aus ihrer Vergangenheit schöpfen – ähnlich jenem fernöstlichen Völkchen, über das die taz schreibt: „Die Fischer vom Volk der Niwchen auf Sachalin hängen am Leben ihrer Vorfahren“ – aber nicht an deren Lebensweise, sonst stünde es ja da.
Nein, so hat die Vergangenheit keine Zukunft. Und die Gegenwart? Ist auch nicht höher, besser und weiter! In ihr herrschen Zustände, die das Leben der Zeitgenossen bedrohen, hier wie andernorts. In China ist „die Niederschlagung islamischer Extremisten“ zu beklagen, und in Deutschland ist es noch schlimmer: „Wer in den Verein [Hannover 96] eintreten wolle, werde teilweise zum persönlichen Gespräch mit dem entsprechenden Abteilungsleiter gebeten“, zitiert die taz Nord einen ungenannten Zuträger. Die hohe Dichtkunst schließlich spiegelt ebendiese Realität, hat die taz doch messerscharf mitbekommen, „dass die Personen in dem Roman,Gegen die Träume' oft nur angeschnitten werden“.
Statt angeschnitten zu werden, ist es sicherlich besser, wie ein Tier geführt und zugeritten zu werden wie in den Vereinigten Staaten: „Donald Trump trägt die Zügel eines Autokraten“, so gab die taz schon früh über Ross und Reiter Bescheid.
Ganz ähnlich der Sprachkritiker: Er sitzt teilweise auf dem großen Ross und trägt die hohen Zügel eines altrigen Besserwissers!
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