Ulf Schönheim über regionale Nahrung: „Wir bauen einen eigenen Markt auf“
Ulf Schönheim, Mitbegründer der Regionalwert-Aktiengesellschaft, über ökologische Dividenden und solidarische Landwirtschaft
taz: Herr Schönheim, ist die Vorstellung, sich in einer globalisierten Welt regional mit Lebensmitteln zu versorgen, nicht anachronistisch?
Ulf Schönheim: Jein. Das ist ja nur ein Rechenwerk. Wir sagen ja nicht, wir wollen die Region zu 100 Prozent regional ernähren, sondern haben anhand der Studie erst mal nur die Frage geklärt: Geht das überhaupt?
Bei der Regionalwert AG Hamburg, die Sie mit gegründet haben, ist aber schon die Idee, eine Versorgung aus der Region zu ermöglichen, oder?
Wir wollen uns einfach ein Stück Ernährungssouveränität zurückholen. Es ist ja nicht so, dass wir den Aktionären versprechen, dass wir sie von den Höfen versorgen, sondern dass wir die Bürgerinnen und Bürger über die Aktienausgabe mit den Höfen, mit Lebensmittelverarbeitern, mit den Händlern und Gastronomen vernetzen und sagen: So, liebe Leute, das sind Betriebe, die das vernünftig machen, die zusammenarbeiten, die euch über die Aktie zum Teil gehören, und wenn ihr da einkaufen und essen geht, wirtschaftet ihr euch letztlich in die eigene Tasche und tut was für eure Region.
45, ist Diplom-Soziologe und Kommunikationsfachmann. Ehe er zur Regionalwert AG kam, hat er zwölf Jahre lang in der Finanzbranche gearbeitet.
Gibt es nicht bereits Modelle, über die man viel direkter mit ökologischen Erzeugern oder Händlern in Beziehung treten kann?
Es gibt etwa die solidarische Landwirtschaft – ein tolles Konzept – aber damit bekommen sie nicht unbedingt einen jungen Bauern auf einen Hof. Das geht mit unserem Konzept. Nicht jeder landwirtschaftliche Betrieb eignet sich für eine solidarische Landwirtschaft.
Was ist das Besondere an Ihrem Konzept?
Wir sind eine Bürger-Aktiengesellschaft. Wir wollen das Ganze im Verbund lösen. Es gibt haufenweise Probleme in der regionalen Land- und Lebensmittelwirtschaft, angefangen bei der Hofnachfolge. 70 Prozent der Höfe haben keinen Nachfolger. Da ist das Thema Preisdruck: Die Landwirte sind die letzten in der finanziellen Nahrungskette. Alle anderen können den Preisdruck immer lustig weitergeben. Und die Probleme, die kleine Landwirte haben, haben ja auch kleine Verarbeiter: Bäckereien, Molkereien, Schlachtereien. Da hat ja eine ungeheure Konzentration stattgefunden.
Und wie kann eine Regionalwert AG kleinen Betrieben helfen?
Wir sind Eigenkapital- und Netzwerkpartner. Ein junger Mensch, der Landwirtschaft gelernt und Praxiserfahrung hat, aber keinen Hof in der eigenen Familie besitzt oder das nötige Kleingeld, um einen Hof kaufen zu können, kann zu uns kommen. Es können aber auch Betriebe zu uns kommen, die keinen Nachfolger in der Familie haben. Die können wir zusammenbringen, die Hofübernahme mitfinanzieren und auch gleich das Vermarktungsnetzwerk mitbringen. Das ist der Unterschied zu Initiativen, die sich ausschließlich das Sichern von Boden für die ökologische Landwirtschaft auf die Fahnen geschrieben haben.
Wollen Sie sich komplett aus dem herkömmlichen landwirtschaftlichen Markt ausklinken?
Wir bauen einen eigenen Markt auf. Der soll und wird nicht hundertprozentig sein. Wir wollen auch keine funktionierenden Vermarktungswege zerstören oder ersetzen. Wenn ein Betrieb eine funktionierende Vermarktung hat, soll er sie gerne fortführen. Wir wollen nur anregen, dass möglichst viel unter den Partnerbetrieben gehandelt wird und das auch transparent machen. So kann der Aktionär sehen: Wie haben meine Betriebe zusammengearbeitet? Was ist ökologisch und sozial rausgekommen?
Hätten Sie dafür ein Beispiel?
In unserem Betrieb hat zum 1. November eine junge Frau ihre Ausbildung zur Landwirtin angefangen. Irgendwann wird sie vielleicht im Netzwerk mal einen eigenen Betrieb übernehmen.
Wie kann ich das als Aktionär sehen?
Wir veröffentlichen in jedem Jahr einen sozial-ökologischen Bericht. Zur Hauptversammlung kommt jeder Betriebsleiter und sagt den Aktionären, was er mit deren Geld erwirtschaftet hat: Wie habe ich mit den anderen Betrieben zusammengearbeitet? Warum arbeitet die Gärtnerei mit dem Händler zusammen und der Gastronom mit dem Bauern? Die Aktionäre bekommen natürlich eine Dankeschön-Tüte von ihren Betrieben. Wir haben bestimmte Nachhaltigkeitsindikatoren, nach denen jeder Betrieb einmal im Jahr berichten muss.
Ihr Modell beruht also darauf, dass ich Geld gebe, um hinterher Produkte zu kaufen, die teuer sind als auf dem herkömmlichen Markt?
Zu dem normalen Preis, den der jeweilige Anbieter verlangt – und von dem man ausgehen kann, dass es der Preis ist, den er braucht, um seinen Betrieb vernünftig bewirtschaften zu können.
Aber ich muss schon bereit sein, einen höheren Preis zu bezahlen?
Das hängt vom Produkt ab. Thema faire Milch: Natürlich ist der Preis der Meierei Horst bei Edeka teurer als die eigene Billigmarke, weil die Bauern bestimmte Nachhaltigkeitskriterien einhalten, indem sie etwa die Kühe auf die Weide schicken und weitgehend durch eigenes Futter ernähren. Den billigen Milchpreis bezahlt ja irgendjemand woanders. Der ist aber nur am Regal niedriger. Den wahren Milchpreis zahlt der Sojabauer in Südamerika mit seinem Land und seiner Gesundheit, den bezahlt die Kuh als Hochleistungsrasse, den bezahlt der Bauer, weil er keinen vernünftigen Preis für seine Milch bekommt und den bezahlt auch der Verbraucher, weil die Milch ein schlechtes Produkt ist. Nur Milch, die grasbasiert erzeugt wird, hat die entsprechenden Omega-3-Fettsäuren.
Wie ist denn der Zuspruch in Hamburg?
Durch die Aktienausgabe haben wir 2016 rund 850.000 Euro eingeworben. Wir sind jetzt mit rund 250.000 Euro an Reservierungen in die zweite Aktienausgabe gegangen. Das zieht jetzt gegen Ende unserer Aktienausgabe am 8. Januar gerade an.
Über wie viele Aktionäre sprechen wir?
Wir haben 230 Bestandsaktionäre und 80 bis 100, die neu zeichnen werden.
Sie sind eine Aktiengesellschaft. Können meine Aktien steigen?
Nein, wir sind nicht börsennotiert.
Warum haben Sie dann eine Aktiengesellschaft gegründet?
Weil wir unseren Betrieben Kapitalstabilität gewährleisten wollen. Bei einer Genossenschaft kann es Ihnen theoretisch passieren, dass Ihre Genossen ihre Anteile kündigen. Das kann Ihnen bei einer Aktiengesellschaft nicht passieren, denn Aktien sind nur verkaufbar.
Wozu ist das gut?
Wir wollen den Betrieben signalisieren, dass wir ihre langfristigen Partner sind. Die Aktien die wir ausgeben, sind vinkulierte Namensaktien, das heißt jeder Aktionär ist uns namentlich bekannt. De facto ist es eine Mischform zwischen Aktiengesellschaft und Genossenschaft, nur das nach Anteilen und nicht nach Köpfen abgestimmt wird. Dabei haben wir allerdings einen Sicherungsmechanismus, damit man nicht majorisiert werden kann. Egal wie viel Aktien jemand auf der Hauptversammlung vertritt: Er kann maximal 20 Prozent der Stimmrechte ausüben.
Gibt es eine Dividende?
Sozial und ökologisch. Sozial dadurch, dass wir Höfe erhalten und für Nachfolger sorgen. Ökologische Faktoren wären etwa der Humusaufbau, der zu unseren Nachhaltigkeitsindikatoren zählt. Unser erstes Ziel ist die grüne Null, also ein ausgeglichenes Betriebsergebnis bei sozialen und ökologischen Überschüssen. Nach zehn Jahren haben sie ein ausgeglichenes Ergebnis in Sicht und können sich mit den Aktionären darüber unterhalten, was sie mit etwaigen Überschüssen machen.
Was könnte das sein?
Entweder reinvestieren oder eben auszahlen lassen. Die dritte Möglichkeit wäre, eine große Party zu machen, wie ich neulich mal vorgeschlagen habe. Ich weiß allerdings nicht, ob das rechtlich geht. Ich fand die Idee nur so schön.
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