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Ukrainischer Kulturminister tritt zurückDrohnen statt Kinofilme

Kulturminister Tkatschenko wollte Kulturprojekte trotz des Krieges finanzieren. Präsident Selenskij setzt andere Prioritäten. Der Minister geht.

Der zurückgetretene ukrainische Kulturminister Oleksandr Tkatschenko Foto: Gonzalo Fuentes/reuters

Berlin taz | Das war's: Der ukrainische Minister für Kultur und Informationspolitik, Oleksandr Tkatschenko, hat seinen Rücktritt eingereicht. Hintergrund sind Meinungsverschiedenheiten mit Präsident Wolodymyr Selenskij über staatliche Ausgaben für Kulturprojekte in Zeiten des Krieges.

Dieser Krieg werde nicht nur um Territorien geführt, sondern auch um Menschen. „Menschen sind trotz des Krieges unser Gedächtnis, unsere Geschichte, unsere Sprache, unsere Kreativität, unser Erbe und unsere Vergangenheit für die Zukunft.“ Geld für Kultur auszugeben sei in einem Krieg nicht weniger wichtig, als für Drohnen.

„Kultur ist ein Schutzschild unserer Identität und unserer Grenzen. Menschen sind trotz des Krieges unser Gedächtnis, unsere Geschichte, unsere Sprache, unsere Kreativität, unser Erbe und unsere Vergangenheit für die Zukunft“, schrieb Tkatschenko auf seinem Telegram-Kanal.

Zuvor hatte Selenskij in seiner abendlichen Ansprache mitgeteilt, dass er mit Regierungschef Denys Shmyhal über öffentliche Ausgaben gesprochen habe, die durch das Prisma der Gerechtigkeit betrachtet werden müssten. Zudem habe er Shmyhal vorgeschlagen, Tkatschenko auszutauschen.

Andere Prioritäten

Museen, Kulturzentren, Symbole, TV-Serien – all das sei wichtig, aber jetzt gebe es andere Prioritäten. An den Premier erging die Aufforderung, für notwendige Projekte nach anderen Möglichkeiten der Finanzierung zu suchen. Es gebe Menschen auf der Welt, die helfen könnten. Pflastersteine, Städtesanierungen, Brunnen könnten warten. „Der Sieg geht vor“, so Selenskij.

Auslöser der Debatten, die schließlich zu Tkatschenkos Rücktritt führten, waren mehrere Kulturprojekte. So sollten staatliche Filmstudios für die Produktion von Spiel- und Dokumentarfilmen sowie TV-Serien rund 400 Millionen Hrywna (umgerechnet 9,6 Millionen Euro) erhalten. 500 Millionen Hrywna (rund 12 Millionen Euro) waren für die Fertigstellung des seit 2008 im Bau befindlichen Holomodor-Museums vorgesehen.

Mit dem Holomodor wird eine Hungersnot in den Jahren 1932/33 bezeichnet. Sie war das Ergebnis der Zwangskollektivierung unter Josef Stalin, der schätzungsweise vier Millionen Menschen zum Opfer fielen. Die Parlamente mehrerer Länder haben den Holomodor als Genozid anerkannt – darunter auch der Bundestag.

Tkatschenkos angekündigte Projekte hatten auch in der Öffentlichkeit empörte Reaktionen ausgelöst. Im Juni war auf der Webseite der Regierung eine Petition mit 25.000 Unterschriften veröffentlicht worden, in der der Rücktritt von Tkatschenko gefordert wurde. Am 19. Juni hatte Premier Shmyhal noch abgelehnt, sich damit zu befassen, und mitgeteilt, er sehe für Tkaschetschenkos Entlassung keine Grundlage. Zwei Tage später tauchte eine zweite Petition auf der Webseite auf.

Tkatschenko, der gerne in traditionell bestickten ukrainischen Hemden (Wyschywanka) auftritt, war seit Juni 2020 Kulturminister. Im November 2021 kündigte er seinen Rücktritt an. Als Grund nannte er damals die Entscheidung des Kabinetts, seinem Ministerium die Zuständigkeit für staatliche Filmstudios zu entziehen und sie der Regierung zu unterstellen. Kurz darauf nahm er diese Ankündigung wieder zurück.

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2 Kommentare

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  • Es muss "Holodomor" und nicht "Holomodor" heißen, auch wenn der Gedanke an Mordor naheliegt.

  • Partnerschaft sieht anders aus



    Selenzky scheint recht selbstherrlich zu regieren.



    Nach Parteien und Gewerkschaftsverboten, tauschte er schon diverse Minister aus.



    Zuletzt den Botschafter in Großbritannien.



    Dieser hatte dem dortigen Verteidigungsminister Wallace indirekt zugestimmt, als dieser bessere Umgangsformen anmahnte.



    Selenzky stilisiert sich und den Krieg gegen Russland gerne als Verteidiger und Verteidigung demokratischer Werte hoch.



    Demokratie ist, angesichts der Handlungen der Ukrainischen Regierung allerdings eingeschränkt vorhanden.



    Abgesehen davon ist ein Land unter Kriegsrecht von demokratischen Verhältnissen weit entfernt.



    Es ist völlig unstrittig, dass Putin völkerrechtswidrig einen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat.



    Die Solidarität mit den ukrainischen BürgerInnen finde ich moralisch auch richtig.



    Hier erscheinen mir die Waffenlieferungen zur Luftabwehr durch Deutschland auch die unkritischste Hilfe.



    Ich sehe Selensky nicht als " Führer der westlichen Staaten".



    Wahrscheinlich auf dem Wunsch basierend, dass die Welt in Schwarz und Weiß unterschieden werden kann, wird sämtliche Kritik an Kiew und der Ukraine kleingeredet.



    Selbstzensur ist kein gutes Zeichen für eine lebendige Demokratie. Wenn es wirklich um die Verteidigung unserer Werte geht, so sollte diese zuallererst mit der Feder geführt werden.



    Vergleicht man/ frau die Kritik an unserer gewählten demokratischen Regierung mit der an der ukrainischen Regierung, so scheinen bei Letzterer in erster Linie Wattebäusche zum Einsatz zu kommen.



    Mit allen unseren langjährigen demokratischen Partnerländern wird in den Medien deutlich kritischer umgegangen.



    Warum diese Selbstzensur?



    Warum werden die Völkerrechtsverstöße der Ukraine, die beispielsweise die UN benannte, nicht wenigstens verbal geahndet?



    Es ist zu hören, dass die Ukraine nun die geächtete Streumunition einsetzt.



    Soll das jetzt in Ordnung sein, da Kiew nicht in der Lage ist, die selbstgesetzten militärischen Ziele zu erreichen?