Ukrainische Rapperin Alyona Alyona über den Krieg: „Ich bleibe hier“
„Während du diesen Clip siehst/Song hörst, sterben Ukrainer:innen“: Alyona Alyona harrt in ihrer Heimat aus. Ihre Fans beschreibt sie als postsowjetische Generation.
taz: Alyona Alyona, wo halten Sie sich gerade auf. Sind Sie in Sicherheit?
Alyona Alyona: Ich bin in Baryshivka, das ist in der Nähe des Dorfs, in dem ich aufgewachsen bin, etwa 40 Kilometer von Kiew entfernt. Hier habe ich im Kindergarten gearbeitet, bevor ich als Rapperin bekannt wurde. Das Dorf Peremoha in der Nähe von Baryshivka wird gerade angegriffen. Dort sterben Menschen. Wir hören ständig die Geräusche von Explosionen und versuchen, den Menschen zu helfen. Eine Rakete landete bei uns im Ort, zum Glück wurde niemand verletzt.
Wie sieht Ihr Alltag derzeit aus, sofern man ihn überhaupt so nennen kann?
Ich versuche meine Followerinnen und Follower auf dem Laufenden zu halten. Ich bin sehr viel auf Social Media, deshalb erhalte ich auch viele Anfragen ausländischer Journalist:innen und gebe viele Interviews. In der ersten Woche war ich so etwas wie eine Soldatin an der Internet-Front. In der zweiten Woche habe ich in einer Apotheke mitgeholfen, medizinische Hilfsgüter zu sortieren.
Alyona Alyona, bürgerlich Alyona Savranenko, 30, ist die wohl berühmteste Rapperin der Ukraine. Geboren in einem Dorf nahe Kiew, lebt sie in der ukrainischen Hauptstadt. Nach dem Studium der Psychologie und Erziehungswissenschaften arbeitete sie zunächst in einem Kindergarten. Ende 2018 wurde sie mit dem Song „Голови“ („Köpfe“) als Rapperin berühmt, seither hat sie drei Alben veröffentlicht und trat international auf vielen Bühnen auf.
Sie haben Ihre YouTube-Clips mit einem Hinweis auf den Krieg versehen, der automatisch eingeblendet wird. Gegen Apple Music und Spotify haben Sie öffentlich protestiert, weil die eine „No Politics in Music“-Richtline verfolgen.
Ja. Wir blenden den Hinweis ein: „Während du diesen Clip siehst/Song hörst, sterben Ukrainer:innen infolge des russischen Angriffs. Stoppt den Krieg!“ Bei Spotify kann ich die Message inzwischen teilen, bei Apple Music immer noch nicht, traurig, aber wahr. Wir wollen mit dieser Aktion Russinnen und Russen informieren, denn viele Informationen über die Ukraine werden in Russland geblockt, die westlichen Streaming-Plattformen meines Wissens nicht. Eine weitere Forderung an Apple und Spotify war es, ihre Büros in Russland zu schließen (Spotify hat dies inzwischen getan; d. Red.).
Was ist Ihre Message an die Menschen und Politiker:innen im Westen?
Erst einmal möchte ich mich bedanken, dass es so viel humanitäre Hilfe aus vielen Ländern gibt. Einige spenden auch für die Armee, das hilft, diesen Krieg zu gewinnen. Die meisten von uns erwarten vom Westen, den Luftraum über der Ukraine zu sperren, auch wegen der Gefahr, dass Kernkraftanlagen aus der Luft getroffen werden. Wir haben alle die Erfahrung von Tschernobyl gemacht. Es droht eine ökologische Katastrophe. Es geht nicht nur um die Ukraine, es geht um Europa, um Belarus, um Russland.
Sie rappen heute auf Ukrainisch, nicht auf Russisch. Ist die Wahl der Sprache schon nach der Krim-Annexion 2014 zu einem Statement geworden?
Die ersten zehn Jahre habe ich auf Russisch gerappt, weil es auf der russischen Plattform VKontakte eine große HipHop-Community gab. Nach 2014 ist die ukrainische Rap-Community größer geworden, die Haltung vieler Künstlerinnen und Künstler hat sich geändert. Seither wird mehr über ukrainische Themen gesungen, traditionelle ukrainische Musik wird eingebunden. Ich bin Teil dieser Szene geworden. Auch, weil ich festgestellt habe, dass vielen Menschen Rap in ukrainischer Sprache etwas bedeutet.
Sie haben den Song „Відчиняй“ (2018; etwa: „Öffnet es“) geschrieben, darin singen sie von einer „neuen Generation, die herangewachsen“ ist. Was ist das für eine Generation?
Eine postsowjetische Generation. 1991 wurde die Ukraine unabhängig, aber einige Gesetze aus der Zeit der Sowjetunion blieben zunächst. Die heutige junge Generation hat vollständig damit gebrochen und will frei leben. Wir sind kreativ, wir sind talentiert, wir haben viel mitzuteilen, nicht nur den Menschen in der Ukraine, sondern auch der westlichen Öffentlichkeit. Mit dem Song wollte ich sagen: Öffnet die Türen, damit wir noch mehr Gehör finden.
Ihr erfolgreichster Track ist „Залишаю свій дім“ (2018, „Ich verlasse mein Zuhause“), in dem Sie davon singen, wie Sie Ihrem Heimatdorf den Rücken kehren. Inzwischen haben die Worte „Heimat“ und „Zuhause“ wohl einen ganz anderen Klang in der Ukraine.
Ja. Das verändert sich gerade. Es wird nie wieder sein wie zuvor. Menschen haben ihr Zuhause durch Bomben und Raketen verloren. Ursprünglich hat der Song wohl deshalb so viele angesprochen, weil viele die Ukraine verließen, um in anderen Ländern zu arbeiten, Geld zu verdienen. Jetzt hat sich die Bedeutung des Songs verschoben. Aktuell fragen mich viele: Warum fliehst du nicht? Ich bleibe hier, weil viele Menschen und viele meiner Followerinnen und Follower überhaupt nicht die Möglichkeit haben zu fliehen. Wenn sie mich auf der Straße in der Ukraine sehen, motiviert sie das vielleicht, die Soldaten zu unterstützen und den Frauen, den Kindern, den Tieren zu helfen. Wenn alle weggehen, kann unser Land nicht verteidigt werden. Mein Herz sagt mir, dass ich hierbleiben soll.
Sehen Sie die Popkultur und HipHop in Zeiten des Kriegs in einem anderen Licht?
Es ist mir schon wichtig, dass meine Lieblingskünstlerinnen und -künstler etwas zur Situation in der Ukraine sagen, denn es kostet sie nicht viel. Snoop Dogg hat sich zum Beispiel positioniert, das hat mich gefreut. Wenn ich andere Stars in den sozialen Medien feiern sehe, ohne dass sie ein Wort zur Ukraine verlieren, finde ich das schwer erträglich.
Für den 15. April ist ein Konzert von Alyona Alyona in Hamburg im Knust geplant
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!