Ukrainische Hilfsorganisationen im Krieg: Als Freiwilliger Leben retten

In der Stadt Lwiw nahe der polnischen Grenze helfen Ukrainer anderen, das Land Richtung Westen zu verlassen. Das ist anstrengend. Und oft auch gefährlich.

Detailaufnahme eines platten Autoreifens

Mit Reifenpanne auf dem Weg zur Grenze Foto: Westend61/imago

Ich sollte eine Frau treffen am Lwiwer Bahnhof morgens um zehn. Ein enger Freund hatte mich darum gebeten, der wie ich in der humanitären Hilfsorganisation „Spilna Meta“ (ukr. „Gemeinsame Ziele) ist. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nichts von ihr, außer, dass sie Hilfe brauchte.

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Als Freiwilliger begleite ich Flüchtlinge an die Grenze, ich helfe ausländischen Journalisten, hole Kisten mit Hilfsgütern an der Grenze ab und bringe sie zu Menschen, die bereit sind, in die Hotspots des Krieges zu fahren, um die Sachen dort an Bedürftige weiterzugeben. Das ist jetzt sozusagen mein Job. Der Sitz unserer Freiwilligenorganisation ist in der Wohnung meiner Freundin Sofia, bei der ich seit Kriegsbeginn wohne.

In der Nacht, bevor ich die Frau an die Grenze bringen sollte, war fünf Stunden Luftalarm. Wir versteckten uns wie gewöhnlich im Keller des Hauses, wohin alle Bewohner kamen, sobald sie die Sirene hörten. Es war kalt dort, deshalb konnten wir lange nicht einschlafen. Nachdem ich etwa vier Stunden geschlafen hatte, aß ich ein bisschen Haferflockenbrei und machte mich zum Bahnhof auf, um diese Frau außer Landes zu bringen.

Sie hatte einen Koffer, eine Tasche, eine Matratze und eine kleine Katze dabei. Ich lud alles ins Auto und wir fuhren Richtung polnische Grenze in die Stadt Jagodin, etwa vier Stunden Fahrt von Lwiw. Bevor wir losfuhren, rauchten wir noch eine Zigarette. Dabei merkte ich, wie bei jedem Zug ihre Hände zitterten. Sie kam aus der Ostukraine. Auf der anderen Seite der Grenze sollte sie ihre Tochter treffen.

Sie fragte mich, warum ich so ernst und angespannt sei, und ich dachte an meine Mama, wie sie auch bei Sirenengeheul im Kohlekraftwerk von Slowjansk weiterarbeitete. Ich überlege, wie und wohin sie mit meiner Schwester fahren sollte, weil der Krieg ja wieder meine Heimatstadt erreichen könnte. Ich antwortete: „Ich muss mich auf den Weg konzentrieren.“

Auf dem Rückweg hatte ich eine Reifenpanne und ich musste mitten auf einem Feld anhalten. Ich war allein, niemand war in der Nähe, und von weit entfernt konnte man Explosionsgeräusche hören, als ob irgendwo irgendwas fällt und detoniert. Ich fühlte mich unwohl, begann schnell den Reifen zu wechseln. Die Eile führte zu nichts. Nach einer Stunde halfen mir ein paar Jungs aus einem Bus, der gerade vorbeikam. Dreckig und voller Erde von dem Versuch, selbst einen Reifen zu wechseln, fuhr ich schließlich weiter.

Um neun Uhr abends – die Sperrstunde beginnt um zehn – kam ich müde, aber zufrieden, weil ich vielleicht einem Menschen das Leben gerettet hatte, zurück nach Lwiw. Ich legte mich ins Bett in der Hoffnung, dass ich dieses Mal zum Schlafen käme. Um am nächsten Tag Energie genug zu haben, die Kisten mit humanitärer Hilfe zu sortieren. Und vielleicht ein weiteres Leben zu retten.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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23 Jahre, Chemiker aus Mykolajiwka, Ostukraine. Studium in Kyjiw, lebte mit Kriegsbeginn zwischenzeitlich in Lwiw. Kehrte dann nach Kyjiw zurück. Hilft Jour­na­lis­t*in­nen vor Ort. Und schreibt selbst Berichte.

Eine Illustration. Ein riesiger Stift, der in ein aufgeschlagenes Buch schreibt.

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