Ukrainische Filme über den Krieg: Zwischen Hoffnung und Trauer
Die Dokus „When Lightning Flashes Over the Sea“ und „Time to the Target“ laufen auf der Berlinale. Sie bringen Vorhangfetzen in einem zerbombten Hochhaus zum Tanzen.
Bei Wikipedia wird „Witali Wsewolodowitsch Manski“ als russischer Dokumentarfilmregisseur geführt. Das stimmt insofern, als er – noch zu Sowjetzeiten – am Moskauer Gerassimow-Institut für Kinematographie studierte. Geboren wurde Vitaly Mansky (so schreibt die Forums-Webseite seinen Namen) 1963 aber im westukrainischen Lwiw, einer Stadt, die er an dieser Stelle „meine Heimat und meine Kraftquelle“ nennt.
Dass dort zumindest bis Kriegsbeginn noch ein großer Teil seiner Familie lebte, thematisierte Mansky 2016 in seinem Film „Familienbande“ (Rodnye). Wie viele andere Flüchtlinge aus dem Putin-Russland lebt der altgediente Dokumentarfilmer seit dem Überfall auf die Krim in Riga.
Doch seitdem das Land im „dramatischsten Moment seiner modernen Geschichte […] einem kriminellen, umfassenden Krieg gegen die Existenz der Ukraine und ihres Volkes“ ausgesetzt ist, „ging Mansky auch wegen dieses Angriffs wiederholt in die alte Heimat zurück“. Um die Gefühle zu sortieren. Und für einen Film, der die Stadt in klassischer Manier im Kreislauf eines Jahres zeigt, das hier in sommerlichem Flirren beginnt.
Quirliger Alltag
Lwiw (in Zeiten deutschsprachiger Herrschaft auch Lemberg) ist eine alte Stadt mit erhaltenem historischem Zentrum, die tausend Kilometer entfernt von den Frontlinien liegt. Doch auch wenn die Menschen der Stadt am quirligen Alltag um Straßencafés, Plätze und Straßenbahnen festhalten, ist der Krieg dennoch in jedem Moment präsent.
nochmals zu sehen auf der Berlinale:
„Time to the Target“ 23. 2., 2025, 15.30 Uhr, Cubix 8
„When Lightning Flashes Over the Sea“ 22. 2., 2025, 12.30 Uhr, Arsenal 1
Und die Männer des Militärorchesters, das einen der roten Fäden durch den Film legt, proben zwar noch einmal im Theater pfeffrige Rhythmen. Doch bei ihren Auftritten schreiten sie zu getragenen Trauermärschen und immer auch der mit großem Pathos intonierten Nationalhymne. Oft bei Beerdigungsprozessionen hinter dem Sarg über den Friedhof, zu dem sie in einem ausrangierten Linienbus anreisen.
Dieser Friedhof (der zweite durchgehende Faden) ist zu Beginn des Films nur eine kleine Freifläche mit Bagger, erweitert sich aber durch dessen Zutun – und unter obrigkeitskritisch bissigen Kommentaren der Totengräber – zusehends massiv: Ein anschwellendes Meer an Blumen, patriotischen Flaggen (dabei sind neben den blau-gelben der Ukraine auch häufig die rot-schwarzen der nationalistischen UPA zu sehen) und Grabsteinen, auf die nach orthodoxer Tradition Fotos der Verstorbenen gesetzt sind.
Ausdruckslose Gesichter
Neben diesen Erinnerungsbildern an jene, die als Leichen von der Front zurückkamen, und Auftritten der „Musiksoldaten“ und versehrter Veteranen kommen in Manskys Film die ausdruckslosen Gesichter der jungen Menschen, die vor ihrer Einziehung stehen und von der Kamera von Roman Petrusyak, dem Director of Photography, in unbewegten Einstellungen festgehalten werden.
Nur als einmal auf dem Friedhof ein Flugkörper vernehmlich direkt über dem Drehort hinwegzischt, bewegt sich die Kamera auf der (vergeblichen) Suche nach dem Objekt. Doch auch hier verweigert Manskys Film sich jedem journalistischen Ansinnen.
Angriffe gibt es auch in Odessa am anderen Ende der Ukraine, einer Stadt, die Eva Neymann als ihre Heimat bezeichnet, auch wenn sie 1974 in Saporischschja geboren wurde. Seit Studien in Marburg und Berlin lebt Neymann in Deutschland, ging aber wie Mansky schon mehrfach für Filmprojekte nach Odessa zurück. 2006 hatte sie mit „Wege Gottes“ einen Dokumentarfilm mit Straßenkindern gedreht, der vollkommen auf Mitleidsgesten verzichtet.
Träume als Kapitän
Nun führt wieder ein Kind durch den Film, ein ebenso übermütiger wie zurückhaltender, vielleicht zehn Jahre alter Junge, der ohne Begleitung beim Streunen durch die Hafenstadt von einer Zukunft als Kapitän träumt und im Gespräch mit einigen schwarzhumorigen alten Männern erklärt, wie er ein schwer zerbombtes Auto wieder zum Glanz bringen würde.
Träume sind auch sonst Neymanns Stichwort. Dabei geht es bald zu anderen Menschen oft in fortgeschrittenem Alter wie einem vollbärtigen Mönch, der sehr freigiebig mit seiner kleinen Habe umgeht. Eine alte Dame wechselt ins Jiddische, als sie Gott für die Rettung vor den Nachstellungen der Verfolger dankt.
Eine jüngere erzählt in einer zentralen Totale beim Kochen von der eigenen Flucht und ihrem Sohn, der an der Front kämpft. Und wenn eine Blumenverkäuferin am Straßenrand mit aller Ruhe in ihren Schätzen nach der einen richtigen Blume für den gerade gebastelten Strauß sucht, verstehen wir, was es eigentlich für ein gelingendes Leben braucht.
Ikonen im Keller
Mal ist der Takt des Films und auch die (insgesamt sehr variantenreiche) Musik gewichtig schwer, wenn eine Ikone unter Mönchsgesängen in einer Prozession zur Sicherheit in den Keller getragen wird. Dann sind die Rhythmen verspielt tänzerisch wie ein Katzenballett in dem auch sonst tierreichen Film.
Neymann gelingt die Kunst, selbst Vorhangfetzen in einem zerbombten Hochhaus zum Tanzen zu bringen. Doch wenn eine Wahrsagerin zu Sitarklängen verspricht, im Frühjahr würden Verhandlungen für das Ende des Krieges beginnen, zeigt uns das, wie nahe Hoffnung und bitterer Trugschluss zusammenliegen können.
Das letzte Wort hat der Junge vom Anfang, der auf einer Bank am Meer seinem Vater gerade seinen größten Traum ins Ohr geflüstert hat: „Wenn Nebel und Schnee verschwinden und Blitze über das Meer gehen“ werde dieser auch wahr werden, heißt es dann. Und es fängt wirklich zu Gewittern an in der Stadt.
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