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Ukrainische Autorin über Janukowitsch„Die EU sollte Sanktionen verhängen“

Im Falle einer drohenden Diktatur haben Menschen das Recht auf eine Revolution, sagt die ukrainische Schriftstellerin Larysa Denysenko.

Denysenko würde auf friedlichen Protest setzen, hätte sie das Drehbuch in der Hand. Bild: ap
Interview von Alexander Kratochvil

taz: Frau Denysenko, wie viele Tage geben Sie Präsident Janukowitsch noch?

Larysa Denysenko: Nach Meinung von Psychologen sollte man immer positiv denken. Deshalb gebe ich ihm nicht mehr viele Tage. Andererseits hat Janukowitschs Macht sein Leben verändert. Sie bedeutet für ihn nicht nur die materielle Absicherung seiner eigenen Zukunft, sondern auch der seiner Söhne und Vertrauten. Daher wird er die Macht nicht einfach abgeben. Außerdem sollte man auch die Psyche eines Kriminellen wie Janukowitsch berücksichtigen. Ein Gangster oder Mafioso gibt nicht klein bei.

Immer wieder ist von einer möglichen Auflösung des Parlaments die Rede. Wie stünden die Chancen der Opposition in vorgezogenen Neuwahlen?

Schwer zu sagen. Das ukrainische Wahlgesetz bietet viele Schlupflöcher für Wahlfälschungen. Und auch der typische ukrainische Wähler ist problematisch, da er sich an Schmiergeldzahlungen im Wahlkampf gewöhnt hat. Dieses Verhalten ist insofern verständlich, als die Leute gewohnt sind, selbst Bestechungsgelder an Beamte und Politiker zu zahlen. Im Wahlkampf verhält es sich dann umgekehrt. Die Leute nehmen das Schmiergeld und verdrängen den Gedanken, dass sie in naher Zukunft dann draufzahlen könnten.

Also bleibt die Situation verfahren?

Janukowitschs Rücktritt ist die einzige Chance für die Ukraine, und auch für ihn selbst. Er hat sich so viel zuschulden kommen lassen, dass er schon zehnmal hätte zurücktreten müssen. Nur als Beispiel: die brutale Gewalt gegen friedliche Demonstranten auf dem Maidan in jener Nacht-und-Nebel-Aktion Ende November. Von einem so aggressiven und beschränkten Menschen kann und muss man noch Schlimmeres erwarten.

Welche Verantwortung trägt die Opposition für die Situation?

Die Ukrainer haben zivilgesellschaftlich große Schritte nach vorn gemacht. Darin sind sie ihren Politikern – auch den Oppositionspolitikern – voraus. Der Maidan kann aber keine Politik ohne Politiker machen. Die Oppositionsführer Arsen Jasenjuk, Oleg Tjagnibok und selbst Vitali Klitschko sind mit ihren Führungsqualitäten bisher hinter den Erwartungen der Menschen zurückgeblieben. Sie haben nicht entschieden und verantwortungsbewusst gehandelt. Deshalb bleiben viele Menschen ihnen gegenüber zurückhaltend.

Im Interview: Larysa Denysenko

Jahrgang 1973, lebt und arbeitet in Kiew. Sie war als Juristin für verschiedene ukrainische und internationale Organisationen tätig, darunter die Anti-Korruptions-NGO Transparency International. Denysenko hat zahlreiche Romane und Kinderbücher geschrieben. Für ihre Prosa erhielt sie mehrere Auszeichnungen.

Dem Maidan geht es nicht um die Oppositionsführer. Das Ziel ist der Rücktritt von Wiktor Janukowitsch, die Abschaffung des Mafia- und Oligarchen-Systems, die Herausbildung einer vollwertigen Zivilgesellschaft und die Annäherung an die EU. Der Maidan ist viel mehr als nur eine Großdemonstration. Er ist die Keimzelle für eine neue ukrainische Politik.

In den letzten Tagen wurde erneut von einer möglichen Eskalation der Gewalt gesprochen. Wie real ist diese Gefahr?

Die UN-Menschenrechtserklärung beinhaltet, dass die Menschen im Falle einer drohenden Diktatur und anhaltenden Machtmissbrauchs das Recht auf eine Revolution haben, wenn keine anderen Mittel zur Verfügung stehen. Ich würde zwar lieber friedliche Optionen wählen, aber leider schreibe ich hier nicht das Drehbuch. Wenn eine Regierung systematisch die Menschenrechte und die Verfassung verletzt, kann es zu einem legitimen Volksaufstand kommen.

Fühlt sich der Maidan von Europa ausreichend unterstützt?

Vielen Ukrainern reicht die verbale Verurteilung von Präsident Janukowitsch nicht. Die EU sollte Sanktionen verhängen. Äußerungen, man sei über die Lage in der Ukraine „zutiefst beunruhigt“, und der Versuch, objektiv zu bleiben, sind schön und gut. Aber wenn die Regierung prügelt, tötet und diktatorische Gesetze erlässt, ist es mit der Ausgewogenheit vorbei. Dann muss die Zurückhaltung aufgegeben werden.

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8 Kommentare

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  • F
    Friedbert

    Das letzte, was die Ukraine braucht sind Sanktionen und erst Recht nicht im Winter!!!

     

    Sowohl die DemonstrantInnen

    als auch die GegendemonstrantInnen werden sicherlich bezahlt sein,

    weil sie anders schwerlich überleben können und ihren Job

    riskieren!

    Wer hier zahlt und wie hoch die Abhängigkeit

    der DemonstrantInnen/Gegendemon-

    strantInnen ist, hat bisher niemand richtig aufgezeigt.

    Die Gewalt und die Bürgerkriegsdrohungen

    rechtfertigten Gegengewalt.

    Leider wurde aber auch eine Menge Menschen

    zusammengeprügelt, weil

    eingeschleuste Provokateure

    des Staates mitmischten.

    Die Ukraine hätte von der Revolution in der Türkei lernen sollen, die sich eines besseren besonnen hat und nicht die Gewaltroute bis zum bitteren Ende verfolgte.

    Ein Notstand der Ukraine schadet

    den Demokraten am meisten,

    weil der Kampf um Demokratie mit Elend, Tot und Wirtschaftskrise assoziiert würde!

    Und das Mittel der Gewalt ist für Demokraten ein ungeeignetes Mittel, weil es gegen den Polizei-und Militärapparat nicht ankommt

    ohne selbst maximalen Schaden

    zu beziehen. Die Opposition muss endlich Vertrauen bei allen zurückgewinnen und ihre Mandate mustergültig wahrnehmen

    und arbeiten. Auch wenn das psychisch sehr schwer wird, es ist besser als in einer höllischen Eskalation zu unterliegen oder zu sterben.

    Und bisher ist es der Opposition nicht gelungen mehr als nur Korruption zu unterstellen. Und Korruption ist

    auch in der EU und auch in vielen Ost-EU-Staaten ein großes Problem.

    Da hilft auch keine EU-Osterweiterung.

    Die internationale Beobachterkommission hatte offenbar keine Wahlfälschung festgestellt. Vielleicht ist das eine politische Feststellung oder wirklich die Wahrheit. Im Moment ist es wohl die Wahrheit. Es ist dumm all seine Kraft, Energie und Lebensmut in einer Schlacht zu ruinieren!! Das ist ein Bärendienst all denen gegenüber, die die Ukraine verbessern wollen und ein Bärendienst an sich selbst(also zum eigenen Schaden)!

  • Da wird mal wieder das Wiegelied vom " Wir sind die Guten, aber das Volk ist schwach" intoniert. Ob alles besser würde, wenn weltfremde Schöngeister wie Frau Denysenko ( noch nie von ihr gehört?) das Sagen haben, gilt zu bezweifeln. So wird es kommen, wie es nach deren Kalkül wohl kommen muß: Bürgerkrieg, am Ende Fremdregime durch die "gute Weltgemeinschaft" und ihrer korrupten Institutionen, danach Entlassung in ein seelisch zerrüttes Land, welches dann als Nation schon lange gescheitert ist. Ideale Aufnahmevoraussetzungen für die EU. Falls es dann noch eine EU geben wird ...

    • KJ
      Klaus Jarchow
      @Rüdiger Bäcker:

      Jaja, diese weltfremden 'Schöngeister'. Da ist der Janukowitsch schon ein anderes Kaliber. Von welchen ukrainischen Autoren haben Sie stattdessen denn schon mal was gehört, Herr Bäcker?

  • "drohende diktatur" - selten so gelacht

    die rattenfänger der eu haben anscheindend ganze arbeit geleistet.

  • ein grandioses Interview...sind wir hier im Kinderladen?

    wenn der Interviewte nur Flachheiten von sich gibt...sollte man vielleicht doch mal etwas tiefer nachfragen.

    Zitat:

    " Keimzelle für eine neue ukrainische Politik. "

    Was für Eine? Wie soll die aussehen? Wer soll die tragen? usw.

     

    Zitat:

    "Das Ziel ist der Rücktritt von Wiktor Janukowitsch, die Abschaffung des Mafia- und Oligarchen-Systems, die Herausbildung einer vollwertigen Zivilgesellschaft und die Annäherung an die EU."

    Wie soll das funktionieren?? Wie sind die Machtinteressen der einzelnen Strömungen da auf dem Maidan?? Was ist mit den national-rechten Truppen da?? Was ist mit der russisch-stämmigen Bevölkerung???

     

    Revolution??? Was für eine?? Von wem getragen?? Ohne Führer??

    Sanktionen?? was für welche?? Was ist mit den legitimen russischen Interessen???

     

    Was will die Taz uns hier vorsetzen???

     

    Ist das noch Journalismus???

    • O
      olga
      @rush hour:

      Hauptsache radikal und Hauptsache für "westliche Demokratie" -- so auch das Motto der Ukraineberichterstattung in der "TAZ" - so wie Femen seit Jahren zusammen mit ultranationalistischen und faschistischen Organisationen "schwarzes kommando " etc. auftritt, so ist die mehrheit der demonstrat*innen nationalistisch bis rechtspopulistisch --- meistens mittelschicht bis bourgeoisie mit wunsch auf persönliche verbesserung durch die eu --- selten arbeiter*innen oder kleinere angestellte, die weder von russland noch von eu und iwf irgendwelche hoffnungen haben -- eine ausserparlamentarische linke, die nicht mit den faschisten paktiert, findet sich kaum auf dem platz, einige syndikalisten, die versuchen, einen "3.weg" zu gehen (ohne janukowitsch und ohne eu), sorgen sich jeden tag um ihr leben - ob von der polizei oder von demonstranten, die in den nebenstrassen abrechnungen mit russen, schwulen und anderen betreiben -- hierzulande entweder nicht erwähnenswert oder "propaganda" von oben -- hauptsache radikal -- chic und in auch bei grünen und taz - und jetzt einen capucchino

  • C
    cosmopol

    Liebe Taz, wie wäre es denn mal damit, die Beteiligung von Faschist*innen am Maidan-Protest entsprechend textlich zu würdigen? Oder haben die auch das Recht auf ihre (nationale) Revolution?

    • T
      Tommy
      @cosmopol:

      Sehe ich auch so, was ist mit den Schlägertrupps der Svoboda Nazis an Klitschkos Seite?

      Und: Wozu gibt es Wahlen?

      Wenn die Opppositin Veränderungen will, dann muss sie eben die Wahlen gewinnen.