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Ukrainer verlassen die Krim„Das ist richtiger Terror“

Wer auf der Krim gegen den Beitritt zu Russland ist, wird eingeschüchtert. Viele verlassen die Halbinsel. Fraglich, ob sie je zurückkehren.

Allegegenwärtig: Soldaten in Simferopol. Bild: dpa

SIMFEROPOL dpa | Die Krim ist im Russland-Taumel – doch nicht alle Einwohner der Halbinsel sind glücklich über den international kritisierten Beitritt. Tatsächlich wächst sogar die Angst bei denjenigen, die keine Russen werden wollen. Aktivisten klagen über massiven Druck. Igor Kirjuschtschenko hat belagerte ukrainische Kasernen mit Lebensmitteln versorgt. Plötzlich dringen prorussische Schläger in seine Wohnung ein und drohen: „Hau ab von der Krim oder wir töten dich“, wie Kirjuschtschenko erzählt.

Von ähnlichen Drohungen berichtet die kritische Journalistin Tatjana Richtun. Angreifer verprügeln sie und entreißen ihr die Kamera. Auch andere Reporter klagen über Schikanen und Gewalt. Ibrahim Umerow wird mit Knochenbrüchen in eine Klinik gebracht – Maskierte schlagen ihn zusammen, als Umerow filmt, wie die Gruppe ein Geschäft unter ihre Kontrolle bringt. „Das ist richtiger Terror, wenn Leute verschleppt werden, wenn Bewaffnete die Straßen kontrollieren, wenn Journalisten geschlagen werden“, sagt der Investigativreporter Sergej Mokruschin.

Wer offen die ukrainischen Farben trägt, gilt vielen auf der Krim gleich als Ultranationalist oder "Faschist" aus der Westukraine. Mitten am Tag bedrängen prorussische Kräfte in der Innenstadt der Krim-Hauptstadt Simferopol eine junge Frau, die sich die ukrainische Fahne umgehängt hat, wie ein Video zeigt. Eine Bürgerwehr mit roten Armbinden ist an zentralen Orten postiert, auch aggressiv auftretende Kosaken sind im Einsatz. Als eine der ersten Maßnahmen wurden ukrainischsprachige Schilder abmontiert.

Zwar hatte Kremlchef Wladimir Putin betont, alle Einwohner der Krim hätten dieselben Rechte. Doch tatsächlich verlassen nun immer mehr Menschen ihre Heimat. „Ich erhielt direkte Drohungen, dass mit denen abgerechnet wird, die Ukrainisch sprechen“, erzählt Jewgeni Klimenko. Mit seiner fünfjährigen Tochter hat er sich aufs Festland abgesetzt, nach Dnjepropetrowsk. In einem Hotel sind dort etwa ein Dutzend Menschen untergekommen. Die Rechnung begleichen örtliche Geschäftsleute, Freiwillige bringen Lebensmittelspenden vorbei.

Nun fordert Sicherheitsratschef Andrej Parubij in Kiew die neue Führung auf, einen Notfallplan auszuarbeiten, um alle Krim-Ukrainer, die es wünschen, in Sicherheit zu bringen. Bisher sind nach offiziellen Angaben 1.200 Menschen vor allem in die Westukraine umgezogen. Experten rechnen mit bis zu 50.000 Flüchtlingen – wobei Kommentatoren darauf verweisen, dass sich beide Seiten einen scharfen Propagandakrieg mit stündlich neuen Informationen liefern. Nahe der Halbinsel werden bereits Erholungszentren umgebaut.

Furcht vor Gesetzlosigkeit und Zwangsenteignungen

Auch der junge Unternehmer Dmitri ist fürs Erste nach Kiew umgezogen. Ein paar Wochen will er auf jeden Fall bleiben. „Wir beobachten die Lage von hier aus, aber große Hoffnungen, dass es sich bessert, habe ich nicht“, erzählt der 33-Jährige. Er fürchtet wie viele Ukrainer Gesetzlosigkeit und Zwangsenteignungen. Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass der moskautreue Regierungschef Sergej Aksjonow in den 1990er Jahren Verbindungen zu mafiösen Kreisen gehabt haben soll.

Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) ist besorgt, besonders nach der Ermordung eines Mitglieds der tatarischen Minderheit. „Seit Wochen haben maskierte Bewaffnete die Menschen belästigt und eingeschüchtert“, teilt HRW mit. Die muslimischen Tataren lehnen den Beitritt zu Russland zum Großteil ab. Auch für sie steigt nun der Druck. Viele fürchten eine neue Vertreibung – 70 Jahre, nachdem Sowjetdiktator Josef Stalin das Turkvolk als mutmaßliche Nazi-Kollaborateure deportieren ließ. Dutzende Familien haben sich bereits in die Westukraine abgesetzt.

Dmitri versucht nun, auch andere Familien aus Simferopol herauszubringen ins Kernland. „Vielleicht gibt es schon bald keine Zugverbindungen mehr“, meint er. Schon jetzt würden deutlich weniger Waggons eingesetzt, die Passagiere streng kontrolliert. Flüge zwischen Simferopol und Kiew sind derzeit ausgesetzt.

So gut wie entschieden ist der Abzug Tausender ukrainischer Soldaten von der Krim. Für sie und ihre Angehörigen sollen Wohnungen bereitgestellt werden. Auch der ukrainische Grenzschutz spricht von steigendem Druck prorussischer Kräfte auf Beamte. So seien elf Grenzschützer unter Gewaltandrohung gezwungen worden, mit ihren Familien die Dienstwohnungen zu verlassen.

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16 Kommentare

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  • D
    Die_TAZ_sollte_wieder_Gastkommentare_erlauben!

    Hier gibt es ein unbedingt sehenswertes Kommentar vom Herrn Stadler, der als Wahlbeobachter zu dem Referendum auf der Krim war:

     

    http://www.youtube.com/watch?v=AoouMLNZfxA

     

    Im Übrigen bin ich der Meinung, die TAZ sollte wieder Gastkommentare erlauben.

    • @Die_TAZ_sollte_wieder_Gastkommentare_erlauben!:

      Mir wäre ein Kommentar eines anderen Beobachters lieber.

       

      Auch, wenn Stadler sich sehr vernünftig ausdrückt, muss ich nicht unbedingt die Meinung eines Erzreaktionärs dazu hören, der im Verdacht steht, allein schon deshalb alles zu übersehen, weil er an Putin höchstens Putins lasche Haltung zur Homosexualität kritisiert.

  • Ist klar, dass jetzt die Rechtfertiger der Menschenrechtsverletzungen kommen.

    Wer einmarschiert ist Gewalttäter - immer! Wer sich gegen Menschenrechtsverletzungen wehrt, handelt in Notwehr.

  • Wie naiv sind unsere Politiker? In der Ukraine stehen sich zwei unversöhnliche Gruppen gegenüber und diese werden aufeinander losgehen. Beide Gruppen werden jeweils unterstützt. Dieser Bürgerkrieg wäre vielleicht noch zu bewältigen, wenn Russland und der Westen sich an einen Tisch setzen und beide Seiten massiv (falls nötig auch mit Waffengewalt) auf ihre "Vertretergruppe" in der Ukraine einwirken. Eine politische Kontrolle ist dennoch fragewürdig. Man braucht sich nur den nahen Osten anzusehen: was dort die Politik wollte und was, durch Aktionen der unterschiedlichen Gruppen, daraus geworden ist, das wird uns doch jeden Tag vor Augen geführt.

    Und die Dame aus der Ukraine gestern Abend in der Illner-Runde hat vor allem eines gezeigt: wie groß der Hass in der Ukraine aufeinander ist. Mit Sanktionen und Propaganda, gepaart mit einer gewissen Überheblichkeit seitens des Westens, wird man dieses Problem nicht friedlich lösen können.

    • @Müller Alois:

      Ist aber eine altbekannte Strategie, die schon die Römer angewendet haben und auch bei Macciavelli wird es, soweit ich noch weiß beschrieben: Es werden z.B. zwei Konfliktparteien, oder auch Länder unterstützt, die im Klinsch sind. Mit Waffen und allem drum und dran. Das wird nicht an die große Glocke gehängt, vielleicht sogar im Hintergrund, dass es nicht auffällt. Vielleicht wird beiden Seiten die Neutralität oder Solidarität bekundet. So lässt sich zu schauen, wie sich die Konfliktparteien (Länder) gegenseitig vernichten. Am Ende geht man mit den eigenen Truppen rein und erlangt besitz von beiden Ländern - wenig Gegenwehr garantiert. Es lässt sich sogar als Retter auftreten. Haben wir das nicht schon mal gehört?

      • @Hölmher:

        Ja klar... `altbekannte Strategie´...

        aber? Wir sind nun jedoch im 21ten Jahrhundert... und haben viel Wissen um Konfliktlösung und Deeskalation...

        Meinst Du etwa, dass die involvierten Politiker und Diplomaten mental zurückgeblieben sind in der Römerzeit und bei Machiavelli?

        Sichtbar ist Abwesenheit von Humor und Höflichkeit und anerkennendem Respekt bei den involvierten Politikern und Diplomaten. Das wirkt eskalierend...

  • Wunderbar.

     

    NUN, und zwar ab dem Moment, ab dem klar ist, dass die Minderheitenrechte auf der Krim ebenso verletzt werden wie in der Ukraine selbst, ab diesem Moment ist es Zeit für den Westen zu reagieren.

    Und nicht dann, wenn irgendwelche bürokratischen Formalien verletzt werden, die letztendlich nur den Zweck hatten, die Mehrheit der Bevölkerung auf der Krim zu schützen. Ab dem Moment, an dem sich diese Mehrheit genauso gegenüber Minderheiten verhält wie die Ukraine gegenüber der russischsprachigen Bevölkerung kann der Westen reagieren und auf Putin und seine Vasallen einwirken (z.. B. Gerhard Schröder sämtliche Konten sperren und ihn von Hartz IV leben lassen). Und natürlich der Ukraine alle zugesagten Hilfsmittel sperren, bis in beiden Teilen auch die Minderheiten ihre Rechte erhalten.

     

    Aber ach: Das wäre ja so, als würde innerhalb der EU Ungarn, Tschechien, Rumänien und Kroatien für ihre Behandlung der Roma sanktioniert werden oder Litauen für seine identischen Gesetze wie Rußland bzgl. Homosexualität eine Reaktion erfahren.

     

    Es zeigt, dass die EU auch eine Institution bleibt, der die Menschenrechte der Bevölkerung vollkommen egal sind.

  • Interessante Frage: ist die Situation in Syrien vergleichbar mit der in der Ukraine?

    Ein treffender Beitrag dazu. Es geht um "Rebellen", "Radikale" etc. Folgt daraus, dass wir in den nächsten Jahren einen Flüchtlingsstrom aus der Krim zu erwarten haben, weil die USA dort mit den selben Methoden fuhrwerken, wie in Syrien?

     

    http://www.lewrockwell.com/lrc-blog/why-does-ukraine-seem-so-much-like-syria/

  • Wer in der Ukraine für Russland ist wird scheinbar auch eingeschüchtert.

    http://www.nbcnews.com/storyline/ukraine-crisis/ukraine-prime-minister-issues-warning-pro-russia-separatists-n54041

    Die Unterdrückung der russischen Sprache war eine Einschüchterung. Swoboda und Swastika schüchtern ein:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Allukrainische_Vereinigung_%E2%80%9ESwoboda%E2%80%9C

    McCain Swoboda - Mitte.

    http://www.businessinsider.com/john-mccain-meets-oleh-tyahnybok-in-ukraine-2013-12

    McCain will Waffen liefern.

    “Rush the modest military assistance to the Ukrainian government that its leaders have requested, including some small arms and ammunition, as well as significant non-lethal assistance, such as protective equipment, spare parts, fuel, and sharing of intelligence."

    http://www.sfgate.com/technology/businessinsider/article/JOHN-MCCAIN-Here-Are-11-Things-Obama-Should-Do-5328991.php

    Das ukrainische Militär verweigert scheinbar den Abzug aus der Krim:

    http://www.kyivpost.com/content/ukraine/ukrainian-government-refuses-to-remove-troops-from-crimea-prepares-for-war-339724.html

    Sind das schon Kriegsvorbereitungen?

    http://thehill.com/blogs/blog-briefing-room/news/200913-durbin-mccain-send-weapons-to-ukraine

    Die ukrainische Armee befindet sich in hoher Alarmstufe und profitiert natürlich davon, dass Russland in der Vergangenheit eine Menge Waffen an die Ukraine lieferte.

    http://www.youtube.com/watch?v=ySRlC7Z93UI

    Macht das jemand (Putin), der eigentlich längst im Sinn hat, wie in unseren Medien dargestellt, sich die Ukraine einzuverleiben? Äußerst seltsame These.

  • ll

  • Hmm? Wie objektiv und `propagandafrei´ ist dieser TAZ text??

    Ist ja klar dass auf beiden Seiten Freude als auch Frust herrscht... als auch auf beiden Seiten unvernünftige Hitzköpfe sind!

    Irgendwie erscheint die ganze Szenerie um die Krim `künstlich´ hochgeputscht! Von der EU, von der NATO, von den USA... und von der Putschregierung `rechter Coleur´ in Kiew!

    Mal angenommen die Krimbevölkerung hätte sich nicht per Referendum zu Russland bekannt:

    Antirussische Pogrome- entzündet durch die politisch Nazi/ style rechten

    in der Kiew Putschregierung würden die Krim in Brand setzen!

    ------------

    Die Krim nun, als russisch, mag sich zu einem Hort des Friedens entwickeln... gegenüber der chaotischen Verworrenheit in den Ukraine!

    Die Dialektik zur Identitätsfindung der Ukraine als autonome und friedliche Nation zwischen Russland und der EU ist jedoch kompliziert...

    Aber? Auf Wunsch der NATO und USA und der NAZI´s in Kiew die Kriegstrommeln/ die Apokalypse zu beschwören? Das ist lächerlich und `geht nicht´..

    • C
      cosmopol
      @vergessene Liebe:

      Nö, die ist genausowenig künstlich hochgeputscht wie die in Kiew.

      Auf beiden Seiten passiert gerade einfach nur miese Scheiße.

  • Ja, es ist ein Wunder, dass auf der Krim Leute nicht gern gesehen sind, die sich die Ukrainische Fahne umhängen.

     

    Da gibt es dann unbekannte 'Investigativreporter', 'kritische Journalistinnen' und den 'jungen Unternehmer Dimitrii' als Kronzeugen.

     

    'Sicherheitsratschef Andrej Parubij' ist auch kein Faschist mehr.

     

    Eine Sternstunde des kritischen Journalismus.

    • @h4364r:

      Nicht zu vergessen HRW, juhu.

      Auch immer sehr 'unparteiisch'.

  • Danke, taz!

  • so sieht echte Bedrohung aus. Wo sind all die antifaschistischen Putinisten?