Ukraineflüchtlinge in Not: Zwei Jahre im Ungewissen
Viele Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine mit anderer Staatsbürgerschaft haben bis heute keinen sicheren Aufenthalt. Das macht ihnen zu schaffen.
Collin B.* hat Angst. Zwei Jahre nach seiner Flucht aus der Ukraine hat der Nigerianer kürzlich Asyl beantragt, damit er nicht abgeschoben wird. Bis Kriegsausbruch hat er in Charkiw Software-Engineering studiert – das hätte er in Berlin gerne beendet. Doch das Landesamt für Einwanderung (LEA) hat seinen Antrag auf Schutzstatus abgelehnt, das Verwaltungsgericht die Klage dagegen abgewiesen. B. sagt, er kann nicht zurück. „Sie sind in Nigeria hinter mir her, weil ich homosexuell bin. Mein Vater wurde deshalb ermordet.“ Der Asylantrag ist seine letzte Chance – aber nur 12 Prozent der Anträge aus Nigeria werden anerkannt. „Ich hatte einen Job bei Tesla, habe niemandem auf der Tasche gelegen. Warum soll ich gehen“, fragt er.
Über 1.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine leben in Berlin nach zwei Jahren Krieg mit unsicherem Aufenthaltsstatus. Sie sind sogenannte nicht-ukrainische Drittstaatsangehörige, die als ausländische Studierende oder Arbeitnehmer in der Ukraine lebten und wie die Ukrainer fliehen mussten. Stand Ende Januar haben 1.124 immer noch eine „Fiktionsbescheinigung“ (FB), das heißt, das LEA hat über ihren Antrag auf Bleiberecht noch nicht entschieden.
Noch schlechter steht es um die 111 Menschen, deren Antrag wie bei Collin B. abgelehnt wurde; eine Person wurde bereits abgeschoben, wohl wegen einer Straftat. Die Zahlen stammen aus Antworten der Innenverwaltung auf Anfrage der Linken-Abgeordneten Elif Eralp. Bei einer Anhörung im Innenauschuss zum Thema LEA fragte sie am Montag in Richtung von dessen Direktor Eberhard Mazanke, was nun mit den 111 passieren soll: „Wollen Sie die jetzt ernsthaft abschieben, die vor demselben Krieg (wie die Ukrainer) geflohen sind?“ Eine Antwort blieb Mazanke schuldig.
Weniger Rechte als Ukrainer
Seit Kriegsbeginn gibt es eine rechtliche Ungleichbehandlung von Ukrainern und Drittstaatsangehörigen: Erstere bekommen automatisch einen Schutzstatus als Kriegsflüchtlinge nach Paragraf 24 Aufenthaltsgesetz und damit verbunden Arbeitserlaubnis beziehungsweise Anspruch auf Bürgergeld, die Erlaubnis zur Wiedereinreise nach Deutschland und ein Schengenvisum. Drittstaatsangehörige haben dieses Privileg nur unter bestimmten Bedingungen, etwa als Ehepartner oder Elternteil eines ukrainischen Staatsbürgers oder wenn sie in dem Land eine unbefristetete Aufenthaltserlaubnis hatten. Für Berlin waren dies laut der Anfrage bis Ende Januar 1.767 Personen.
Alle anderen müssen individuell darlegen, warum eine „sichere und/oder dauerhafte“ Rückkehr in ihr Heimatland nicht möglich ist. Bis das entschieden ist, bekommen sie die FB. Eine weitere Möglichkeit für sie ist, ein Studierenden- oder Arbeitsvisum zu beantragen. Wie viele das geschafft haben, weiß niemand, diese Zahl wird vom LEA nicht erfasst.
Fest steht: Der prekäre Aufenthaltsstatus nur mit einer Fiktionsbescheinigung macht den Menschen das Leben schwer. Ronel D., Mitbegründerin von BIPOC-Ukraine & Friends in Germany, einer Gruppe, die Drittstaatsangehörige berät und und mit ihnen zusammen politische Lobbyarbeit für sie macht, erklärt: Jedes Mal, wenn die FB ausläuft, sei es ungewiss, ob und wann sie verlängert wird. „Dadurch haben einige auch schon Jobs verloren.“ Manche Jobcenter stellten auch die Zahlung von Bürgergeld ein, wenn die FB ausläuft, berichtet sie – obwohl die Ämter eigentlich wüssten, dass die Terminvergabe beim LEA Monate braucht. „Eine Frau wartet seit über einem Jahr auf ihren Termin, die Fiktionsbescheinigung ist lange ausgelaufen.“ Auch die Wohnungssuche gestalte sich unter diesen Bedingungen noch schwieriger als ohnehin in Berlin. „Dazu kommt die häufige Diskriminierung von nicht-weißen Personen“.
Vicky Germain von der Initiative „Communities Support for BiPoC Refugees Ukraine“ (CUSBU), die Drittstaatsangehörige berät, weiß von denselben Problemen mit dem LEA zu berichten. Dabei habe sich das Amt anfangs eher großzügig verhalten. Doch inzwischen habe sie den Eindruck, das LEA würde es Angehörigen dieser Gruppe gezielt schwer machen. So würde – anders als bei Ukrainern – bei Drittstaatlern, die zwischenzeitlich in einem anderen Land waren, die Schutzwürdigkeit grundsätzlich verneint. „Und das sogar, wenn sie in einem anderen EU-Land den Schutzstatus erhalten haben“, empört sich die Beraterin.
Keine Wiedereinreise
Noch unverständlicher scheint, dass Drittstaatsangehörige mit einem in der Ukraine geborenen Kind keine Chance bekommen Identitätsunterlagen der Kinder, die das LEA selbst verlangt, zu besorgen. Diese Kinder haben ein Anrecht auf die ukrainische Staatsangehörigkeit, welche wiederum den Schutzstatus der Eltern festigen würde. „Aber die Papiere dafür bekommt man nur in der Ukraine, das hat uns die Botschaft bestätigt“, sagt Germain. Dennoch gebe das LEA den Eltern keine Schengen-Visa um die Papiere zu holen. Das Amt erklärt in der erwähnten Anfrage zu diesem Thema: „Eine Rückkehr in die Ukraine ist dafür nicht unbedingt oder zwingend erforderlich.“
Doch auch Rechtsanwalt Karsten Reibold kennt solche Fälle. Er hat mehrere Klienten, die bereits Ablehnungsbescheide vom LEA bekommen haben. Wenn jemand in seinem Heimatland war oder in der Ukraine, um ein Dokument zu besorgen, dass das LEA selbst verlange, verneine das Amt hinterher die Schutzbedürftigkeit – der oder die Betreffende sei ja schließlich woanders gewesen. „Man will sie auf Teufel komm raus loswerden, das passt ja auch in den politischen Zeitgeist“, so Reibold.
Auch Elif Eralp hat den Eindruck, dass die Zeiten, in denen Berlin versuchte, die Drittstaatler rechtlich mit Ukrainern möglichst gleichzustellen, vorbei sind. „Der Schutz von Drittstaatsangehörigen hat für Schwarz-Rot keine Bedeutung mehr“, sagt sie. Das zeige auch die Tatsache, dass statistisch gar nicht mehr erfasst werde, wie viele Drittstaatsangehörige welche Titel erhalten.
Zudem sei die Senatsarbeitsgruppe, die die aufenthaltsrechtliche Situation der Drittstaatler beobachten und notfalls nach Lösungen im Sinne der Kriegsflüchtlinge suchen sollte, inzwischen aufgelöst. Eralp: „Der Senat hat die Verantwortung dafür ans LEA abgegeben! Dass alle Geflüchteten aus der Ukraine unabhängig vom Pass gleich behandelt werden sollten, scheint keine Prämisse mehr zu sein.“
Viele Jobs bei Tesla
Dabei müsste Berlin angesichts des Arbeitskräfte- und Facharbeitermangels eigentlich ein Interesse daran haben, dass diese Menschen bleiben, von denen viele ein (fast) abgeschlossenes Studium in naturwissenschaftlichen und technischen Bereichen haben. Tatsächlich haben viele trotz ihrer prekären Lage Arbeit gefunden, berichten die Beraterinnen – vor allem bei Tesla oder auch in der IT-Branche.
Auch Anwalt Reibold weist auf diesen Punkt hin. „Diese Menschen haben schon einmal bewiesen, in der Ukraine, dass sie sich integrieren können. Warum also gibt man ihnen nicht die Sicherheit, damit sie hier Fuß fassen können?“
*Name geändert
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