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Überwachung in HannoverAnti-Nazi-Kundgebung heimlich gefilmt

Die Polizei hat eine Demonstration mit Videokameras und Drohnen teils verdeckt dokumentiert. Der AK Vorratsdatenspeicherung hält das für rechtswidrig.

Videokamera am Mann: Polizeikette bei der Anti-Neonazi-Kundgebung in Hannover. Bild: dapd

HANNOVER taz | Massive und zum Teil heimliche Überwachung der Anti-Nazi-Proteste am Sonnabend in Hannover durch die Polizei prangert der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) an.

„Ohne triftigen Grund“ seien Gegendemonstrierende, die sich hinter Hannovers Hauptbahnhof wegen einer geplanten Neonazi-Kundgebung versammelt hatten, gefilmt und fotografiert worden, heißt es in einem offenen Brief des AK Vorrat an die Polizeidirektion. Mit einem 20-Fragen-Katalog, den sie am Dienstag in Hannover vorgelegt hat, fordert die Bürgerrechtsinitiative Aufklärung über den Einsatz.

Einen „insgesamt ruhigen Verlauf“ attestierte selbst Hannovers Vize-Polizeipräsident und Einsatzleiter Thomas Rochell der Anti-Nazi-Demo. Mehrere hundert Demonstrierende waren am Samstagabend zum Zentralen Omnibusbahnhof gekommen, wo Neonazis ursprünglich im Anschluss an ihren Trauermarsch in Bad Nenndorf eine Kundgebung samt Fackelaufmarsch angekündigt hatten. Ihre Aktion in Hannover sagten die Rechten kurzfristig ab – weil die Gegenproteste in der 35 Kilometer entfernten Kurstadt ihren Zeitplan erfolgreich gesprengt hatten (taz berichtete).

Überwachung

Von der Polizei in Sachsen und Niedersachsen sowie der Bundespolizei werden Drohnen eingesetzt.

Erster großer Praxistest in Niedersachsen war der Castortransport 2010.

Neben Polizei und Militär lassen zunehmend private Firmen Drohnen fliegen, etwa für Luftbilder, zur Überwachung von Baustellen oder Industrieanlagen.

500 Anträge für Drohneneinsätze wurden laut Bundesverkehrsministerium in den letzten beiden Jahren deutschlandweit von Firmen, Unis oder Privatpersonen gestellt, die meisten davon auch genehmigt.

Die Demonstrierenden in Hannover behielt die Polizei dennoch fest im Blick: Mit mindestens drei fest installierten und vielen Handkameras, zum Teil mit Teleobjektiven, seien Protestierende wie Schaulustige durchgängig überwacht worden, führt der AK Vorrat an. Aus zivilen Fahrzeugen und von 90 Meter hohen Hochhäusern sei quasi verdeckt gefilmt und fotografiert worden.

AK-Sprecher Michael Ebeling sieht darin einen „klaren Tabubruch“: Das heimliche Aufzeichnen oder Überwachen von Versammlungen sei rechtswidrig. „Wenn die Polizei filmt und fotografiert“, sagt er, „dann darf sie das nur in engen rechtlichen Grenzen und auch über die kann man streiten.“

„Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“

Denn eben die Regelung der Videoüberwachung im niedersächsischen Versammlungsgesetz ist einer der zentralen Punkte einer Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht, die ein Bündnis verschiedener Bürgerrechtsorganisationen bereits im Januar eingereicht hat. Sie halten das Demonstrationsrecht nach den jüngsten Änderungen durch die schwarz-gelbe Landesregierung vom Frühjahr 2011 für „bürokratisch und abschreckend“ – nicht zuletzt, weil Versammlungen seitdem zunehmend videoüberwacht würden.

Die derzeitige Rechtslage nennt Anwalt Johannes Hentschel einen „wahren Gummiparagraphen“. Er vertritt das Bündnis bei seiner Verfassungsbeschwerde, zu dem neben dem AK Vorrat oder der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg auch Gewerkschaftsvertreter zählen.

Nicht nur bei „Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ darf die Polizei Versammlungen filmen. Laut Gesetz reicht es, wenn eine Versammlung aus ihrer Sicht unübersichtlich ist. Hentschel sieht darin ein „Instrument, bei dem zu schnell gesagt wird, wir zeichnen auf“. Ein „Mechanismus, wir schalten vorsorglich die Kameras an“, sei aber nicht vorgesehen.

Hentschel teilt die Kritik des AK Vorrat an der Überwachung des Anti-Nazi-Protests am Samstagabend in Hannover. Besondere Bedenken hat er allerdings wegen des Einsatzes einer Polizeidrohne in Bad Nenndorf selbst: Der Einsatz eines sogenannten Dreiflüglers sei „in jedem Fall rechtswidrig“, sagt er. Für die Teilnehmer sei nicht mehr erkennbar, ob die Drohne Übersichtsbilder macht oder einzelne Personen zu identifizieren sind. Ähnlich sehen das die Landtagsgrünen, die bereits angekündigt haben, den Vorfall im Landtag zum Thema zu machen.

Die für den Einsatz in Bad Nenndorf zuständige Polizeiinspektion Schaumburg/ Nienburg wiegelt hingegen ab: Zwar sei die Drohne vergangenen Samstag siebenmal in der Luft gewesen, erklärt ein Sprecher, allerdings nur zur „Dokumentation des Einsatzraums zur Auswertung der polizeilichen Maßnahmen“. Personen oder Autokennzeichen seien nicht zu erkennen, beteuert er.

Für die Grünen-Innenpolitikerin Meta Janssen-Kucz sind derlei Zusagen lediglich „Beruhigungspillen“: Der Einsatz von Drohnen sei „wie ein Blankoscheck zur Ermittlung von persönlichen Daten von Kundgebungsteilnehmern“.

Die Polizeidirektion Hannover bestätigte am Dienstag den Eingang des Offenen Briefs der Datenschützer vom AK Vorrat. Die eigenen Überwachungsmaßnahmen zu kommentieren, sah sie sich aber nicht in der Lage.

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21 Kommentare

 / 
  • PS
    Paul S.

    @Johann (vom 1. Kommentar)

    Resignation ist sicher nicht die richtige Reaktion auf solche Verhältnisse. Besser fände ich dann schon, wenn JEDER sich verdächtig macht. Sollen sie doch in ihren Daten ersaufen.

    Denn:

    Nicht das Land, WIR sind es, die im Zweifel vor die Hunde gehen.

  • M
    micha

    ein paar details des taz-berichtes sind nicht korrekt, bitte lest (bei interesse) den originaltext des ak vorrat hannover, der hier verlinkt ist:

     

    http://blog.vorratsdatenspeicherung.de/2012/08/07/kritik-an-polizeilicher-uberwachung-von-demonstrationen/

     

    und ach ja: das ganze ist eben von der hannoverschen ortsgruppe des ak vorrat ausgegangen und nicht vom "bundes-ak". der "große" ak vorrat kümmert sich thematisch stringent "nur" um vorratsdatenspeicherungen. die ortsgruppen sind dagegen aber autonom in dem, worum sie sich (vor ort) kümmern wollen.

     

    der brief ging an die polizei, weil jemand von der pd hannover ganz konkret beim verdeckten fotografieren bemerkt wurde. im vergleich zu fragen und briefen an das nds. innenministerium gibt es von dort immerhin auch noch antworten. darin zollen wir der pd hannover anerkennung denn wir haben schon mit vielen briefen und fragen genervt.

     

    und ja:

    der ak vorrat hannover positioniert sich eindeutig für die versammlungsrechte aller. und nicht nur, weil sich am beispiel des versammlungsgesetz sachsens frühere befürchtungen bestätigt haben, wonach ein gegen rechte oder rechtsextreme menschen geschriebenes "lex specialis" auf dauer auch auf andere menschen ausgedehnt wird.

     

    -micha. (vom ak vorrat hannover)

  • A
    AFU

    jaja wieder mal eine gelegenheit auf menschen mit antifaschistischer gesinnung durch eher einfach strukturierte kommentare rumzuhacken.

    ich lege solchen kommentatoren wie zb der antikommunist mal die lektüre von Biedermann und die Brandstifter nahe, könnte evtl den intellektuellen horizont erweitern.aber bei so einem kommtentar stellt eher der verdacht, dass zu hause der stürmer und mein kampf gelesen wird, dann ist ein m.frisch eh außerhalb des niveaus dieses menschen.

    aber streut den nazis ruhig weiter rosen auf den weg und schenkt ihnen leckerlis... denn wer gegen nazis demonstriert ist in den köpfen vieler guter doitscher ein chaot und gewalttäter,denn die nazis verhalten sich ordentlich und ermorden eh nur menschen, die in unserer gesellschaft sowieso außen vorstehen

    AFU

  • D
    Demonstrant

    Bei dieser Demo waren kaum bis gar nicht Leute der Antifa und die Gegendemonstranten sind auch nicht Links! Nicht dabei gewesen sein, aber hier die klugen Sprüche von sich lassen. Das verstehe ich immer nicht. Es ist auch nicht die Antifa, die hier Beschwerde eingelegt hat und Kritik äußert, aber nicht mal das wird verstanden.

  • R
    rubinski

    Aha ... man merke Versammlungen gegen den rechten Pöbel=antidemokratisch

    ergo dann nicht "links"= Saudumme Nazischweine.

    Diesel äusserst simplen Terminus entnehme ich hier aus

    manchen Posts-ergo Demokraten sind eigentlich unbelehrbar und

    natürlich "links"

  • O
    Olaf

    Ach guck mal an, da bekommen die "Antifa-Kämpfer" auf einmal richtig Muffensausen, wenn sie jetzt bei ihren Straftaten gefilmt werden sollen. Bei den Neonazis sich aufregen, wenn die gegen Recht und Gesetz verstoßen, aber selber nicht besser.

     

    Die Überwachung ist genau richtig, so gibt es weder von rechts noch von links Straftaten bei Demos. So muss es sein, friedlich und gewaltfrei, das ist gelebte Demokratie.

  • R
    rocker

    @antikommunist: ich würde sie gerne überwachen

  • BO
    best of

    Frage:

     

    würde sich der „Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung“ auch so aus dem Fenster lehnen,

     

    wenn Neonazis „Ohne triftigen Grund“ gefilmt würden?

     

    Z.B. weil die sich hinter Hannovers Hauptbahnhof wegen einer geplanten Neonazi-Kundgebung versammelt haben?

     

    Oh, pardon, hier muß es ja politisch korrekt heißen „wegen eines geplanten Aufmarsches“...

  • F
    Fassadendemokratie

    Eine Bundestagsmeldung die Hoffnung und vielleicht Selbsterkenntniss bringt:

    "Historiker sprechen sich für Erforschung von NS-Kontinuitäten aus."

    http://www.bundestag.de/presse/hib/2012_03/2012_103/01.html

     

    Und das ist extrem wichtig, die Unterschiede damals und heute werden immer geringer.

    Erst wurde das Geld nach oben verschoben, fusioniert und dann ging es los.

    Allerdings ist man heute besser und aufgeklärter, deswegen müssen seitens "Revolution von oben" neue Feindbilder her.

    Und diese neuen Feinde sind Menschen, namens Bevölkerung.

    Fassadendemokratie

  • D
    Denken

    Mir scheint bei der Lage aber doch nicht die Polizei sowndern das Justiz- oder Innenministerium die richtige Adresse für diesen offenen Brief zu sein. Es geht ja doch letztlich um ein bschlossenens Gesetz und die Polizei niommt dieses natürlich gerne in Anspruch. Also ich denke, gute Sache aber falscher Adressat.

  • T
    Tom

    Och Gottchen...

    wer ständig negativ auffällt, muss sich über diese sicherheitsmaßnahmen nicht wundern!

  • ZE
    Zitat Elsässer

    @lowandorder

     

    Es gibt jetzt Hinweise, dass Beate Zschäpe beim Thüringischen Verfassungsschutz tätig war.

    Offenbar ist das der Grund, warum Akten vernichtet wurden, und die NSU-Sache vom VS mitgetragen wurde.

  • W
    Wüstenratte

    Ist doch auch einfacher, da kommt kein Saalschutz und haut unliebsame Schnüffilisten weg. Die b

    Bullerei knipste früher meist im Halbformat 18x24, da gingen bis zu 74 Aufnahmen auf´n 36er, und für Teleobjektive war die Knete früher da und ist sie heute da. Ich sage ja: alle V-Leute in U-Haft für 3 Monate und die Npd löst sich wegen Mitgliedermangel auf!

  • L
    lowandorder

    Wie cool ist das denn!?

    Fortschritt allüberall - Drohnen!

    Auf der Hofgartenwiese mußte die Bullerei noch warten, bis die Sonne richtig stand.

    Und der ewige Filmwechsel(36er) im Schloß - grauenhaft!

    Da war der grüne ex-Polizeibstaillon 'Posen' - Pappi aber abends so was von fertig.

    Alles wg die Chaoten und ' Benda, ha,ha, ha.

     

    Und heute - lassen sie NSU laufen.

    So geht das.

  • W
    wetterleuchten

    Es fällt auf, dass CDU/CSU und FDP-Leute bei Demonstrationen gegen Nazi-Aufmärsche nur ganz selten in Erscheinung treten. Und wo diese "Demokraten" regieren, verschärfen sie die Überwachung der Linken gegen Rechte-Versammlungen. Wenn das kein vorbildliches Demokratie-Verständnis ist. Nur gut, dass ausländische Medien dieses Gezerre voll im Fokus haben. Nicht umsonst spüren wir schon wieder Vorurteile und Abwehrhaltungen gegen uns und unsere Politik. Fr. Merkel macht Politik für das rechte Bürgertum, und das kommt gar nicht gut an. Der Euro ist rechtslastig geworden! wir müssen aufpassen, die Zeiten haben sich geändert.

  • A
    Andeas

    1984 - wir kommen!

  • UM
    Ulli Müller

    Sollte das irgendwen wundern?

    Wer man stets vor Augen geführt bekommt auf wessen Seite sich die Behörden in diesem Land schlagen.

    Man nehme den Verfassungsschutz, ohne ihn gäbe es vielleicht die NSU gar nicht,

    die V-Leute in der NPD, machen die 50 oder mehr Prozent der Partei aus?

    Oder wie hörte man letztens aus Bayern,

    die Polizei ließ ein Faschokonzert gewähren,

    weil, man (die Ordnungshüter) verstand die Texte nicht!

    Und unser Innenminister gar sieht eine Gefahr von den bösen Linken, haben wohl mal wieder einen Stromkasten besprüht!

  • A
    Anne

    1. @Johann: Klasse Rechtfertigung für deine eigene Apathie. Zumal es nicht darum geht, ob ein Land vor die Hunde geht, sondern darum, wie es den Menschen ergeht; sowas von egal, innerhalb welcher Grenzkonstruktionen sie sich befinden.

     

    2. @Taz: Ich wuerde behaupten, die Kamera "am Mann" hält wohl eher eine Frau. Letztlich kann ich dazu zwar kein Urteil fällen ,da es darum geht, wie sich die Person selbst definiert; doch so oder so: Wie wärs, wenn ihr einfach auf so altbackene, teilweise ausschließende Formulierungen verzichtet?

  • HL
    Herbert Lingmann

    Keine Panik!

     

    Selbst wenn ich bei einer Demonstration gefilmt werde, und sogar wenn ich heimlich gefilmt werde, kann mir nichts passieren, solange ich mich an die Gesetze halte. Und das versuche ich zu tun, sogar wenn keine Kameras laufen.

     

    Und ist es nicht ein Beitrag zu Demokratie und Gerechtigkeit, dass bei den Rechten auch gefilmt wird?

     

    Bleibt nur zu hoffen, dass das Land nicht vor die Hunde geht, wenn Johann nicht mehr demonstriert.

  • A
    antikommunist

    Verständlich, dass die Antifa-Demonstranten nicht gefilmt werden wollen, wenn sie Gewalt- und Straftaten gegen Polizei, Demonstranten und Sachgut begehen. Kein Krimineller will bei Straftaten gefilmt und später zur Verantwortung gezogen werden.

     

    Um so wichtiger ist die Überwachung bei sehr wahrscheinlichen Straftaten, wie linken Gegendemonstrationen.

    Rechtsstaat bleibt wehhaft, deine Feinde sind zahlreich!

  • J
    Johann

    Und genaus deswegen nehme ich seit geraumer Zeit an keiner Demo - gegen oder für was auch immer - teil. Soll das Land doch vor die Hunde gehen!