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„Überlandschreiberinnen“Unsortiert im Hinterland

Drei Schriftstellerinnen dokumentieren Ihre Reisen durch Ostdeutschland vor den Wahlen. Manja Präkels beobachtet Rheinsberg in Brandenburg.

Der erste CSD in Rheinsberg im Juni 2024 Foto: Manja Präkels

Rheinsberg taz | Frühsommer in der Mark. Kleinstadt. Ein Schloss am See. Mit Park. Mit Kammer­oper, Musikakademie und Schiffsanleger. Die Gegend lockt mit Rad- und Wasserwegen durch wildwuchssatte Landschaften. Der Verkehr mit Fremden ist hier eingeübt. Und ausgeübt wird er mitunter von fremdenfeindlichen Gestalten. Sagt man. Aber das ist ja nichts Neues.

Die Stadt war immer mal wieder in den Schlagzeilen: Überfall auf den Museumsleiter. Hakenkreuze am Uferweg. Prügeleien im Neubauviertel. Normal. Ein Ort wie andere. Rheinsberg ist nur schöner.

Hauptsaison. Die Lokale der Innenstadt sind ausgebucht. Kellnerinnen am Limit. Köche im Hitzeschock. Einheimische und kundige Touristinnen ohne Reservierung weichen nun in die Rhin-Passage aus, wo ein griechisches Restaurant als Überlaufbecken fungiert. Sein voller Außenbereich trotzt der Trostlosigkeit der verwaisten Einkaufsmeile.

Die Überlandschreiberinnen

Dieser Text ist Teil der Serie „Überlandschreiberinnen“. Die drei Schriftstellerinnen Manja Präkels, Tina Pruschmann und Barbara Thériault dokumentieren unter diesem Namen ihre Reisen durch Ostdeutschland im Sommer 2024. Das Projekt wird koordiniert von der Uni Leipzig und finanziert von der VW Stiftung. Die taz veröffentlicht die Texte im Rahmen der Berichterstattung zu den Wahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen.

Urlaubsverwahrloste Wasserwanderer schaukeln aufreizend mit ihren Badeschlappen. Akkurat gekleidete Kleinfamilien aus der Nachbarschaft werfen Todesblicke. Doch Ignoranz schlägt Streitlust. Das ist auch ein Verdienst der Betreiberfamilie. Mit Augenmaß und nicht ohne Humor werden Ouzos hier taktisch verteilt. Eine Frau am Nachbartisch beginnt jeden ihrer Wortbeiträge mit „wie gesagt“.

Gefährdet: Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum

Was trotzdem dringend noch gesagt werden muss, darüber sind sich die Leute auf dem Rheinsberger Kirchplatz wenige Tage später einig. Vertreterinnen eines Bündnisses aus SPD, CDU, Grünen, Linken und Piraten wollen mit einer Veranstaltung auf das abenteuerliche Agieren des Bürgermeisters aufmerksam machen, das akut und ohne Not die Existenz des renommierten Kurt-Tucholsky-Literaturmuseums gefährdet.

Frank-Rudi Schwochow (BVB/Freie Wähler) verweigere sich der Anerkennung von Mehrheitsbeschlüssen, heißt es in mehreren Reden. Der Bezichtigte hört sich das aus der sicheren Entfernung einer Parkbank an. Schweigend. Er redet lieber allein.

Zum Beispiel auf seinem Youtube-Kanal – Motto: „Anständig bleiben“. Dort spricht er Wählerinnen und Wähler regelmäßig direkt aus der Amtsstube an und bedient sich altbekannter Muster: Die da oben. Wir hier unten. Ich für euch. Die Rhetorik eines friedliebenden Volkstribuns lässt keinen Platz für Zweifel, Widersprüche, Ambivalenzen. Es gibt kein Lächeln auf diesem Kanal. Die Welt ist klar sortiert.

Am Folgetag ist was los in der Stadt, etwas gänzlich Neues. Unsortiertes. Die Straße färbt sich bunt. Regenbogenfahnen an Besenstielen, auf Taschen, in Gesichtern bieten den üblichen Pastelltönen brandenburgischer Innenstadtzüge Paroli. Neu sind auch Plakate an Bäumen und Masten, die den späteren Krieger­könig Friedrich II. auf rosafarbenem Grund mit dem ersten Rheinsberger CSD verbinden. Als „junger Fritz“ hatte der hier in heimlich schwuler Beziehung mit seinem Freund Katte gelebt.

CSD und Leere am Straßenrand

Heute aber soll es keine Heimlichkeiten geben. Fast 400 Menschen sind gekommen. Es riecht nach Sonnencreme und Bratwurst. Bunt bemalte, mittelschrille und ganz stille Menschen halten Schilder, auf denen steht: „Sei ein Mensch“. Oder: „Sozial statt brutal“. Immer wieder skandieren einige das Festmotto: „Aufstehen, Hand in Hand. Es gibt ein queeres Hinterland!“

Ihre fröhlich fordernde Präsenz steht einer unübersehbaren Leere am Straßenrand entgegen. Wo ist bloß die schöne Schaulust hin? Die Neugierde? Leere Fenster. Kaum Gardinen zum Dahinterstehen.

Hinter einem dieser Fenster hatte ich Mitte der Neunziger meine erste Begegnung mit Rotwein trinkenden Menschen vor Bücherregalen gehabt. Eine Art Post-Ost-Boheme-Treffen. Eine der Gastgeberinnen war meine Kollegin in der Lokalredaktion der Märkischen Allgemeinen Zeitung.

Ihre Lebensgefährtin arbeitete im Tucholsky-Museum. Staunend hockte ich damals dabei. Menschen gleichen Geschlechts küssten und berührten sich nicht nur in Gedanken. Zehn Jahre später betrieb die Kollegin eine Galerie Zitronengrau in der Altstadt und bot mir Schreibasyl in ihrer queeren Wohngemeinschaft. Als auffällig empfand ich bei beiden Besuchen die Diskrepanz zwischen drinnen und draußen. Auf der Straße gingen alle auf Distanz zueinander. Aus Gründen.

Reden über früher

Die Sittenwächter von damals sind in die Jahre gekommen und erinnern sich beim Griechen: Das sei alles so krass gewesen. „Weeßte noch!“, hauen sie sich klatschend auf die nackten Oberarme. „Warste da ooch beijewesen?“ Geschichten von Suff, Kloppe, Nutten, Koks und Randale. Die im Neubaugebiet zum Beispiel, die mit den Tschetschenen, die damals durch die Presse ging. Massenschlägerei mit sieben Verletzten. Klärung von Verhältnissen. Wir und ihr. Leider kann man die vollverschleierten Frauen im Supermarkt nicht nach ihrer Sicht der Dinge fragen. Die Bärte ihrer Männer sind lang und Gesetz.

Die deutschen Veteranen am Restauranttisch tragen keine Bärte und auch sonst wenig Haar. Sie überlegen laut, sich für den CSD „die Glatzen frisch zu scheren“. Ihre Frauen drängen zum Aufbruch, streichen die Tischdecken glatt. Stühle rücken. Unterhaken. Erst an der Kreuzung trennen sich die Wege in die verschiedenen Eigen­heimviertel der Stadt.

Am Tag des CSD sind sie dann doch nicht zu sehen. Nur Bürgermeister Schwochow hockt wieder stumm in sicherer Entfernung. Direkt vor der Kommunalwahl landet seine Antwort auf die Vorwürfe gegen ihn als Wurfsendung der Fraktion BVB/Freie Wähler in den Rheinsberger Briefkästen. Fett gedruckt wird darin vor einem „Einheitsbündnis“ gewarnt: „Wer am 09.06. SPD, CDU oder Die Linke wählt, bekommt am Ende Die Grünen.“

Und das Tucholsky-Museum? Als der Bote des Kreistags mit dem Vertrag zur Sicherung des Museums vor der Rathauspforte stand, ließ ihn niemand ein. Das Dokument, ein Ergebnis ausgiebiger Verhandlungs- und Abstimmungsprozesse, verfiel am Folgetag. Frist verstrichen.

Der Bürgermeister

Ginge es nach Schwochows Willen, würde das dem Antifaschisten Tucholsky gewidmete Museum bald unter der Abteilung für Tourismus subsumiert. Dass dort ein einschlägig bekannter Rechtsextremist arbeitet, geschenkt. Das Ausflugsziel kann bleiben, Wissenschaft und Zeitkritik ade.

Die Wahl ist vorüber, der Streit ist es nicht. Schwochows von 44,6 Prozent der Rheinsberger gewählte Fraktion hatte die konstituierende Sitzung des Rheinsberger Stadtparlaments am vergangenen Montag wegen mehrerer Wahlbeschwerden der anderen Parteien platzen lassen. Ein Eklat. Für die Urlauber scheint das nicht von Belang. Die Kulisse bezaubert weiter. Verliebte rudern übern See. Ausflugsschiffe legen an. Wie schrieb Tucholsky: „Die Grausamkeit der meisten Menschen ist Phantasielosigkeit und ihre Brutalität Ignoranz.“

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3 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Rheinsberg steht ja nicht nur für Friedrich II sondern auch für seinen gesichert schwulen Bruder Prinz Heinrich. Der planzte ja bekanntlich Üyramiden für die geschassten Generäle in Rheinsberg...

  • Ich interessiere mich wirklich für die Stimmungslage und die Befindlichkeiten im ostdeutschen Raum so kurz vor den Wahlen. Mich interessiert, was die Menschen antreibt, umtreibt und zwar aus allen möglichen Sichten.



    Mit diesem Artikel von Ihnen kann ich aber leider gar nichts anfangen. Ihr Stil erinnert mich ein bißchen an Christa Wolf, die ich sehr mag.



    Passt hier aber irgendwie alles nicht zusammen.

    • @Ninotschki:

      Geht mir ähnlich.

      Ich finde den Schreibstil ziemlich prätentiös.