Übergriffiger Coach im deutschen Handball: Lizenz zum Ekligsein
Der deutsche Handball trägt Verantwortung für den übergriffigen Trainer André Fuhr. Das Betroffenheitsgequatsche ist scheinheilig.
S chwer erträglich ist es diese Woche gewesen, die Berichte über den Handballtrainer André Fuhr zu lesen. Zahlreiche Spielerinnen berichteten, wie sie über viele Jahre von ihm erniedrigt, gedemütigt und psychisch gebrochen wurden. Sexuelle Übergriffe soll es zudem gegeben haben. Über 30 Spielerinnen meldeten sich bei der erst kürzlich geschaffenen unabhängigen Beratungsstelle für Spitzensportler:innen „Anlauf gegen Gewalt“.
Schwer erträglich ist es aber auch gewesen, in diesen Tagen die Betroffenheitsprosa des Deutschen Handballbundes und der Vereine, bei denen Fuhr arbeitete, zu lesen. Die für die Missstände Mitverantwortlichen taten so, als hätten sie nichts mitbekommen. „Es macht uns betroffen, die geschilderten Vorgänge…“ nicht gesehen zu haben, teilte die HSG Blomberg mit. Andreas Heiermann, der gerade zurückgetretene Geschäftsführer von Borussia Dortmund erklärte, „die jüngsten Vorkommnisse“ hätten auch ihn stark beschäftigt.
Und der Deutsche Handballbund kündigte in Person von Präsident Andreas Michelmann angesichts des „erschütternden Bildes“ an, „Prozesse ernsthaft, gewissenhaft und detailliert“ zu überprüfen und gegebenenfalls Strukturen zu verbessern. Man werde sich trotz des öffentlichen Drucks die notwendige Zeit dafür nehmen.
Betroffenheit zeigen und unbestimmte Ankündigungen machen, das scheint ein rituelles Verhaltensmuster des organisierten Sports zu werden, wenn Vorwürfe psychischer, physischer und sexualisierter Gewalt aufkommen. Der Deutsche Schwimmverband hat nach der ARD-Doku, die unter anderem über schwersten sexuellen Missbrauch am Wassspringer Jan Hempel berichtet, externe und unabhängige Aufklärung versprochen. Viel geschehen ist allerdings seither nicht, wie die ARD auf Nachfrage kürzlich erfuhr.
Kollektives Versagen der Verantwortlichen
Im Fall der gedemütigten Handballspielerinnen hat es noch nicht einmal zu einer Entschuldigung der Vereine und Verbände gereicht. Dabei weist vieles auf ein kollektives Versagen der dort Verantwortlichen hin. Allein der Umstand, dass sich ehemalige Spielerinnen von Fuhr bei ihrem neuen Verein Klauseln in ihre Verträge verankern ließen, nach denen sie den Klub verlassen dürfen, falls Fuhr dort als Trainer engagiert würde, spricht Bände. Obgleich in der Handball-Bundesliga viele Bescheid wussten, sahen sich die Spielerinnen in der Not, selbst für ihren Schutz sorgen zu müssen. Auch der DHB, der, wie der Spiegel berichtet, über die üblen Methoden von Fuhr informiert wurde, vertraute diesem bis zuletzt die Juniorinnenauswahl an.
Ekel wie Fuhr wird es im Sport immer geben, ihre Macht aber können sie erst entfalten, wenn man ihnen das Gefühl der Unangreifbarkeit, die Lizenz zum Ekligsein gibt. Scheinheilig wirkt deshalb das Betroffenheitsgequatsche im deutschen Handball.
DHB-Präsident Michelmann hat für diesen Freitag angekündigt, eine unabhängige Kommission einzusetzen, die in erster Linie aufklären solle, welche Verhältnisse und Strukturen zu sexualisierter und psychischer Gewalt führen können. Dieses Wissen ist aber schon längst zugänglich. Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt hat dazu gerade erst eine eindrückliche Studie im Kontext des Sports vorgestellt.
Weit dringlicher ist es nun, transparent, mit einem klaren Zeitplan und messbaren Zielen, die unabhängige Aufarbeitung des Falls André Fuhrs voranzutreiben. Und wichtig wäre es jetzt obendrein, dass der Verband all diejenigen, die ähnliches erlebt haben, ermutigt, ihre Geschichten zu erzählen. Dass das Problem nicht nur den Handball betrifft, darf kein Vorwand für Zögerlichkeit sein.
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