Übergriffe in Notfallambulanzen: Draußen bleiben
Immer mehr Patient:innen kommen mit Bagatellen in die Notaufnahme. Einige werden übergriffig, um ihre vermeintlichen Rechte einzufordern.
G egenüber dem Klinikpersonal werden immer mehr Patient:innen handgreiflich – das teilen Krankenhäuser in Niedersachsen, Bremen und Hamburg mit. Es gibt eine gute und eine schlechte Botschaft. Die gute: Die überwältigende Mehrheit der Patient:innen schlägt niemanden. Die schlechte: Die Zahlen steigen, vor allem in den Notaufnahmen.
Dort beißt sich die Katze in den Schwanz: Sie sind immer voller mit Patient:innen, die vom Hausarzt abgewiesen werden und dann mit Bagatellen in die Notaufnahmen kommen, die nicht dafür gedacht sind. Folglich warten sie lange – und einige reagieren aggressiv, wenn es schlecht läuft, auch mit körperlicher Gewalt. Die Krankenhäuser behelfen sich mit Sicherheitsdiensten, Fortbildungen fürs Personal; einzelne bieten auch Kurse in Selbstverteidigung an – man zuckt zusammen, wenn man es liest. So weit sollte es nicht kommen.
Was zu tun ist? Die Krankenhäuser verweisen zu Recht auf ihre Überlastung, glauben aber selbst nicht, dass sich daran kurzfristig etwas ändern wird. Deshalb setzen sie auf ein strikteres Leitungssystem für die Patient:innen, damit nicht so viele Bagatellfälle in der Notaufnahme sitzen. Das ist klug, denn natürlich sind die Strukturen die Stellschrauben, an denen sich drehen lässt.
Aber zugleich lohnt sich der Blick auf eine andere Struktur, nämlich die Erwartungshaltung der Patient:innen. Der Sprecher der Hamburger Asklepios-Kliniken sagt, dass die Bagatellpatienten in der Notfallambulanz manchmal länger warten müssten, weil ernste Fälle vorgezogen würden. Diese Patienten könnten dann „extrem unzufrieden“ sein. Die Bremer Krankenhausgesellschaft formuliert es etwas abstrakter: Hintergrund der Gewalt seien erhöhte Ansprüche der Patienten. Die Wünsche der Menschen kollidierten mit einer Unterversorgung der Kliniken.
Körper als Maschinen mit Garantien
Es ist eine große Errungenschaft, dass die meisten Menschen heute für ihre Rechte eintreten, statt demütig zu warten, ob sich jemand ihrer gebrochenen Knochen annimmt. Keine Frage. Statt Schmerz als Strafe Gottes zu sehen, begreifen wir ihn als medizinisches Problem und auch das ist ein Fortschritt.
Man kann etwas gegen den Schmerz tun, sagte eine Krankenschwester im Krankenhaus zu mir und gab mir mehrere Schmerztabletten, für die ich außerordentlich dankbar war. Und doch scheint mir, dass wir in unserem Umgang mit unseren schmerzenden Körpern manchmal bereits einen Schritt weiter sind. Als seien es Maschinen mit Garantien, die man einklagen kann. Drückt auf diesen Knopf, verdammt, und tut es sofort, ist dann die Ansage in der Notfallambulanz, dann läuft es wieder.
Zeitgleich mit den Meldungen über die Aggressionen gegenüber dem Klinikpersonal laufen diejenigen über die Angriffe auf Feuerwehrleute und Rettungspersonal ein. Auf den ersten Blick haben sie nichts miteinander zu tun, auf den zweiten schon: Es sind Menschen, die in bestimmten Situationen Anweisungen geben oder Leute wegschicken.
Das kollidiert mit einer anderen Maxime unserer Zeit, schauerlich verkörpert in Breitbeinern wie Trump, Orban, Erdoğan et al.: Verschaffe dir dein Recht, und wenn es kein Recht ist, dann eben das, was du haben willst. Wer es nicht tut, ist selbst schuld. Und wer sich etwas sagen lässt sowieso.
Die Notfallambulanzen sind nicht in den Händen der Trumps. Vielleicht hilft ein Steuerungssystem für die Patient:innen, wobei nicht ausgeschlossen scheint, dass sich die Wut dann dort entlädt. Von daher schadet es nicht, genau hinzusehen, welche Grenzen hinnehmbar sind und welche nicht.
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