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Überfälle in Guatemalas NahverkehrTodesursache ungeklärt

Taxifahrer ist ein gefährlicher Beruf in Guatemala. Vor zwei Jahren starb Walfred Monterosa. Wer ihn erschossen hat, will seine Frau Nancy lieber nicht genau wissen.

In öffentlichen Verkehrsmitteln lebt man gefährlich in Guatemala. Bild: reuters

GUATEMALA-STADT taz | Die meisten Taxifahrer winken ab, wenn man in die Colonia Limón chauffiert werden will. Nicht einmal ein deutlich überhöhtes Preisangebot kann sie überzeugen, schon gar nicht nach Einbruch der Dunkelheit. Limón gilt als gefährliches Pflaster, besonders für Taxifahrer.

Gewalt in Guatemala

Hohe Kriminalität: Mit 55 Morden pro 100.000 Einwohner im Jahr ist Guatemala nach El Salvador das gefährlichste Land Lateinamerikas. Es sterben heute mehr Menschen eines gewaltsamen Todes als zu Zeiten des Bürgerkriegs.

Politische Verbrechen: Auch gut 12 Jahre nach Ende des Krieges sind politische Verbrechen weiter an der Tagesordnung. Ende März wurde die Frau des staatlichen Menschenrechtsbeauftragten entführt und gefoltert, vor zwei Wochen der prominente Anwalt Rodrigo Rosenberg erschossen.

Der Fall Rosenberg: In einer vor seinem gewaltsamen Tod aufgezeichneten Videobotschaft macht Rosenberg Präsident Álvaro Colom für den Mord verantwortlich. Ob Colom diesen tatsächlich verantwortet, ist jedoch unklar. Rosenberg war als Wirtschaftsanwalt auch von zweilichtigen Leuten umgeben. Eine UNO-Kommission soll nun die Umstände seines Todes klären.

Es ist eines der ältesten Armenviertel von Guatemala-Stadt, weit weg vom Zentrum, an der Ausfallstraße zum Atlantik. Schon vor dreißig Jahren entstanden dort die ersten Hütten. Oben am Berg donnert der Schwerlastverkehr auf der Fernstraße, tief unten in der Schlucht klebt ein Häuschen am anderen. Die meisten sind aus Stein gebaut, ein oder zwei Zimmerchen mit einem Dach aus Wellblech darüber. Dazwischen enge Gässchen, in denen gerade einmal zwei Menschen nebeneinanderher gehen können. Nachts wird das Viertel von wenigen gelben Laternen erhellt.

Von der Fernstraße führt eine kleine Stichstraße hinunter an den Rand von Limón. An der Einmündung warten auf einem staubigen Platz die örtlichen Taxis auf Kundschaft, genauso wie unten am Rand der Siedlung, vor dem kleinen Park mit den verrosteten Schaukeln, auf denen nie ein Kind zu sehen ist. Sie fahren die Bewohner von Limón morgens hinauf zur Bushaltestelle und abends zurück ins Viertel. Der Weg ist nicht nur beschwerlich, sondern auch gefährlich. Es gibt viele Überfälle.

Heute ist alles ruhig am Taxistand nahe der Fernstraße. Am Abend des 18. Juli 2007 wurde hier der damals 27-jährige Walfred Monterosa erschossen. Er war der erste Taxifahrer, der dort sterben musste - seither sind noch drei weitere Kollegen ermordet worden. Vier von über 6.000 Morden, die Jahr für Jahr in Guatemala begangen werden.

Wie 98 Prozent aller Tötungsdelikte sind auch diese Verbrechen ungeklärt. Und doch ist der Mord an Walfred Monterosa ein besonderer. Mit ihm begann eine Reihe spektakulärer Morde an Bus- und Taxifahrern, die höchstwahrscheinlich politische Hintergründe hat.

"Ein Junge aus der Nachbarschaft kam völlig außer Atem angerannt", erinnert sich Nancy Flores an den Abend des Todes ihres Mannes. "Er war so aufgeregt, dass er erst kein Wort herausbrachte. Dann schrie er mich an: Sie haben Walfred mit Blei gefüllt."

Nancy ist klein und schmal und hat dunkle Ringe unter den Augen. Als sie 19 war, kam ihre Tochter Alejandra zur Welt. Seither war sie mit Walfred verheiratet. Alejandra ist heute sechs Jahre alt, Maria Fernanda, die kleine Schwester, drei. Seit Walfreds Tod kann sich die arbeitslose Nancy das kleine Mietshäuschen, in dem die junge Familie wohnte, nicht mehr leisten. Die drei sind ins Haus ihrer Mutter zurückgezogen und leben dort mit fünf von Nancys Geschwistern und der fast blinden Großmutter zusammen.

Neben der Tür, die vom Wohnzimmer zur Küche im Hinterhof führt, hängt das einzige Bild von Walfred in einem Rahmen. Er war groß und bullig und hat auf dem unscharfen Foto eine weite Jeans und ein zu großes T-Shirt an. Die Basketballmütze trägt er mit dem Schild nach hinten. Er grinst. Nicht einmal ein Jahr hat er als Taxifahrer gearbeitet, im Auto eines Bekannten. "Nach allem, was er abgeben musste, brachte er fast 400 Quetzales nach Hause", sagt Nancy. Das sind rund 35 Euro, kein schlechtes Einkommen in Guatemala.

Walfred fiel keinem Raubüberfall zum Opfer. Geld interessierte seine Mörder nicht. Zwei Jungs aus einer Jugendbande waren die Täter. Sie gingen einfach auf das erstbeste Taxi zu, zogen die Pistolen und leerten die Magazine. Fast zwanzig Schuss aus nächster Nähe, vor den Augen der anderen Taxifahrer und der Wartenden an der Bushaltestelle.

Und so schnell, wie sie gekommen waren, sind sie wieder gegangen. "Walfred lag zurückgelehnt auf dem Fahrersitz und schützte das Gesicht mit einem Arm", erzählt Nancy und weint. "Ich dachte, er atmet noch, aber ein Feuerwehrmann sagte mir, er sei tot."

Maras heißen die Jugendbanden in Zentralamerika. Zehntausende junger Männer und Frauen sind in ihnen organisiert: Sie erpressen Schutzgeld, handeln mit Drogen und verdingen sich als Auftragskiller.

Auch die Taxifahrer von Limón bezahlen Schutzgeld, jeder 15 Quetzales am Tag. Man weiß, dass Mareros Bus- und Taxifahrer oder Ladenbesitzer erschießen, wenn diese die Zahlung verweigern. Doch das reicht nicht als Erklärung für die Reihe von Morden an Bus- und Taxifahrern. Allein im vergangenen Jahr wurden 129 Busfahrer, 42 ihrer Helfer sowie 52 Taxifahrer ermordet.

Die Serie begann im Wahlkampf 2007. Damals warf man dem später knapp unterlegenen rechten Kandidaten und Exgeneral Otto Pérez Molina vor, er gebe Morde an Busfahrern in Auftrag, um mit seiner Sicherheitspolitik der harten Hand punkten zu können.

Seit Pérez die Wahl knapp verloren hat, nimmt die Zahl von Morden an Bus- und Taxifahrern stetig zu. "Sie sollen Angst und Schrecken verbreiten und letztlich das Land unregierbar machen", sagt Carmen Aida Ibarra von der Stiftung Myrna Mack.

Das Büro der Menschenrechtsorganisation in einem Hochhaus im Geschäftsviertel der Hauptstadt liegt hinter einer Sicherheitsschleuse aus zwei Stahltüren. Davor sitzt ein mit Revolver bewaffneter Wachmann und notiert sich die Namen aller Besucher. "Es gibt drei Typen von organisierter Kriminalität in Guatemala", erklärt Ibarra: Militärs und ehemalige Militärs, die im Bürgerkrieg schwere Kriegsverbrechen begangen haben; die aus Mexiko ins Land drängenden Drogenmafias und die Maras, die den beiden anderen Gruppen als Vollstrecker dienen. "Alle drei haben ein gemeinsames Interesse", sagt Ibarra. "Der Staat muss schwach sein, damit sie auch in Zukunft straffrei bleiben."

Die meisten Chauffeure sterben in den Außenvierteln der Hauptstadt, entlang den großen Ausfallstraßen zu den Häfen am Antlantik oder Pazifik oder ins benachbarte El Salvador. "Solche Morde sind immer spektakulär", erklärt Carmen Aida Ibarra. "Sie haben politische und soziale Auswirkungen." Wenn ein Fahrer ermordet wird, streiken seine Kollegen und blockieren mit ihren Fahrzeugen die Straße.

Nach dem Tod von Walfred Monterosa wurden sogar Ermittlungen eingeleitet. "Staatsanwälte haben mich besucht und gefragt, was passiert ist", erzählt Nancy. Was sollte sie ihnen sagen? Sie hatte ja nichts gesehen. Und dass Limón allgemein eine unsichere Gegend ist, das wussten die Ermittler schon. "Wir sind daran gewöhnt, Schießereien zu hören und danach die Sirenen der Krankenwagen." Nancys Kinder dürfen nie allein auf die Straße. Nicht am Tag und schon gar nicht nach Einbruch der Dunkelheit.

Früher gab es drei Maras in Limón, eine oben am Berg, eine in der Mitte, eine ganz unten in der Schlucht. Nach einem blutigen Bandenkrieg ist nur noch eine übrig geblieben. Die Mitglieder der anderen sind tot oder geflohen. "Die Polizei unternimmt nichts", klagt Nancy. Walfred habe mit den Maras nie etwas zu tun gehabt. "Er hatte mit niemandem Streit." Und es gab auch keine Drohungen vor seinem Tod. "Das hätte ich gewusst."

Ein paar Tage nach dem Mord kam die Staatsanwaltschaft mit Fotos von Verdächtigen zu Nancy. "Ich kannte keinen von ihnen. Und selbst wenn ich einen erkannt hätte, hätte ich nichts gesagt." Sie fürchtet um ihr Leben und um das ihrer Kinder. "Viele, die jemanden angezeigt haben, sind danach gestorben." Nancy ist es fast lieber, dass der Mord an ihrem Mann einer der vielen ist, die nie aufgeklärt werden. "Walfred wird nicht zurückkommen, und mir ist mein Leben mehr wert."

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