Überblick zur Coronasituation: 5.853 Neuinfektionen im Schnitt
In Deutschland steigen die Coronazahlen weiter, auch der 7-Tage-Schnitt liegt erstmals höher als im April. Die Lage auf den Intensivstationen ist bisher noch entspannt.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldet derweil für Deutschland 4.325 Neuinfektionen. Damit steigt die Gesamtzahl der Menschen, die sich mit dem Virus hierzulande angesteckt haben, auf 366.299. Weitere 12 Menschen sind binnen 24 Stunden an oder mit dem Virus gestorben. Der 7-Tage-Schnitt liegt am Montag bei 5.853 und damit erstmals höher als auf dem Höhepunkt der ersten Welle (5.595 am 4. April) – wobei die Werte wegen der deutlich gestiegenen Testzahl nicht direkt vergleichbar sind.
Ab diesem Montag können – vorerst befristet bis zum Jahresende – Patienten mit leichten Atemwegserkrankungen telefonisch bis zu sieben Kalendertage krankgeschrieben werden. Die niedergelassenen Ärzte müssen sich dabei persönlich vom Zustand der Patienten durch eine eingehende telefonische Befragung überzeugen. Eine einmalige Verlängerung der Krankschreibung kann telefonisch für weitere sieben Tage erfolgen.
Derweil richten sich wieder vermehrt Blicke auf Deutschlands Krankenhäuser und insbesondere deren Intensivstationen. Die werden wieder wichtig, wenn mehr Menschen schwer an Covid-19 erkranken. Es gehe darum, „unser Gesundheitssystem nicht zu überlasten“, sagte jüngst Bundeskanzlerin Angela Merkel. Doch wann ist dieses System „überlastet“?
Eine „weltweit einmalige Versorgungssituation“
Hinsichtlich der Kapazitäten an Intensivbetten sei Deutschland in einer weltweit einmaligen Versorgungssituation, sagt Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Von mehr als 30.000 Intensivbetten sind laut Deutscher Interdisziplinärer Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) derzeit etwa 9.000 (Stand Sonntag) frei. Zudem gibt es weitere 12.000 Betten, die im Notfall aktiviert werden können. „Zusätzlich haben wir gezeigt, dass wir circa 150.000 bis 200.000 normale Betten frei machen können“, erklärt Baum.
Ihm bereitet eher die ausreichende Versorgung mit geschultem Personal Sorge. Eine entsprechende Auslastung der Betten „würde maximale innerbetriebliche Personalumsetzungen und Konzentrationen in die vordringlich zu versorgenden Bereiche erforderlich machen.“
Noch ist es auf den Intensivstationen vergleichsweise ruhig. Rund 770 Corona-Patient:innen wurden zuletzt (Stand Sonntag) laut DIVI dort behandelt. Zum Vergleich: Mitte April waren es zeitweise mehr als 2.500. Doch die Werte steigen. „Wir haben deutlich zunehmende Zahlen von Covid-19-Patienten im Krankenhaus“, sagt Baum. Vor zwei Wochen wurden nur rund 420 Covid-19-Patient:innen intensivmedizinisch betreut.
Ein wichtiger Faktor ist auch, ob die Gesundheitsämter Ausbrüche zurückverfolgen und potenziell Infizierte warnen können. Das kann einer weiteren Ausbreitung vorbeugen. Das System ist allerdings fragil, wie das Beispiel des Berliner Bezirks Neukölln zeigt, der mit besonders vielen Neuinfektionen kämpft. „Wir haben nicht mehr einen Brandherd, sondern multiple Glutnester – nicht Dutzende, sondern Hunderte“, sagte Neuköllns Amtsarzt, Nicolai Savaskan, dem Tagesspiegel vergangene Woche. Bei 70 Prozent der Fälle sei der Infektionsherd nicht mehr zu finden.
Und die Grippe?
Das Bundesgesundheitsministerium kann nicht abschätzen, wie viele Neuinfektionen unser Gesundheitssystem aushält. „Die Anzahl der schweren Verläufe hängt zwar davon ab, wie hoch die Fallzahlen insgesamt sind, aber andere Faktoren spielen hier auch eine große Rolle, zum Beispiel wie viele Menschen aus Risikogruppen betroffen sind“, teilte ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Zuletzt gab es laut Robert-Koch-Institut wieder vermehrt Corona-Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen. Ältere und Vorerkrankte sind besonders anfällig für einen schweren Verlauf.
Der bislang vergleichsweise milde Verlauf der Pandemie dürfte nicht dazu verleiten, die Gefahren zu unterschätzen, sagt Uwe Janssens, Präsident der DIVI. Die Belegung der Intensivbetten hänge im kommenden Winter von vielen Faktoren ab, die im vergangenen Frühjahr kaum eine Rolle spielten. Dazu gehört die kommende Grippewelle – und wie stark sie angesichts der Coronamaßnahmen einschlagen werde. Untersuchungen des Robert-Koch-Instituts legen nahe, dass Hygienemaßnahmen, das Abstandhalten und das Tragen von Masken auch die Verbreitung der Grippe eindämmen.
Für 2020 sei das schnelle Abklingen der Influenzaaktivität und eine um mindestens zwei Wochen kürzere Dauer der Grippewelle auffällig gewesen, hieß es in der RKI-Studie. Derzeit könne man noch nicht abschätzen, wie stark die Grippewelle in der kommenden kalten Jahreszeit wüten werde, hieß es dazu jüngst in einem RKI-Bericht. Eine starke Grippewelle würde die Zahl der belegten Intensivbetten nach oben treiben.
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