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Über den Frühling in HamburgWenn einen was wirklich glücklich macht

Es sind die kleinen Dinge, die im Alltag für Freude sorgen. Unserer Kolumnistin reicht ein schönes Erlebnis pro Tag. Doch das Leben bietet mehr.

Könnte so ein Glücksmoment sein, hier an der Außenalster in Hamburg, wo die Sonne durch die Blüten einer Zierkirsche strahlt Foto: Christian Charisius/dpa

F rühling. Sonne. Im Wohlers Park steht ein Mädchen auf dem neuen Gras, das Mädchen ist drei Jahre alt oder vier, und ich denke, das ist das Schönste, was du heute siehst. Und ich denke gleich hinterher, wie kannst du das wissen? Ich will kurz das Mädchen beschreiben: Sie ist also sehr klein, ihr Haar ist kurzrasiert, bis auf ein geflochtenes Zöpfchen, das wie eine kleine Antenne auf ihrem Kopf steht, sie trägt eine kleine, rote Brille und ein rosa Tüllkleid.

Ich denke also, das ist das Schönste, was du heute siehst, und dann denke ich, wer kann das wissen, der Tag ist ja noch nicht um. Aber im Grunde ist es ja so, wenn man etwas geschenkt bekommt, das einen wirklich glücklich macht, dann will man nicht, dass dieses Schöne, Glücklichmachende, durch ein anderes Schönes, Glücklichmachendes noch übertrumpft wird und das Erste, das man schon liebgewonnen, quasi auslöscht.

Ich möchte nur eine schönste Sache des Tages haben und dann ist gut

Ich weiß nicht, ob das allen Menschen so geht, aber ich bin so, ich möchte nur eine schönste Sache des Tages haben und dann ist gut.

Natürlich gibt es dann doch noch etwas anderes, sehr Schönes an diesem Tag, und es lässt sich gar nicht vergleichen, es ist alles immer für sich schön, man kann es nicht nebeneinanderlegen und sagen, okay, das hier ist schöner als das andere, sortiere das mal dahinter ein. Manchmal geht das vielleicht, aber sehr selten, fast schon nie.

Sie fasst sich ein Herz

Ich fahre mit der S-Bahn, da setzt sich eine ältere Frau mir gegenüber und lächelt mich an. Weil ich gerade in einem Zustand bin, der mich selbst sehr viel lächeln lässt, gar nicht aufhören kann ich damit, als existierten nicht Krieg, Klimakrise, Wohnungsnot und tödlicher Straßenverkehr, lächele ich entschlossen zurück. Unsere Lächeln treffen sich, sie fasst sich ein Herz und hält mir ein Bild vors Gesicht, eines von dreien, die sie so lose in der linken Hand mit sich führt. „Wie finden Sie das?“

Eine Malerei auf einem Blatt Papier in DIN A4. Ich fühle, es ist wichtig, dass ich ehrlich bin. Deshalb sage ich nicht, wie toll oder etwas Ähnliches, ich sage, „da fehlt eine Hand? Ist das ein Rücken?“

Sie sagt, „Das erkennt man, nicht wahr?“ Ich nicke. Sie sagt, „Ich male jetzt.“ „Aha.“ Sie sagt, „Ich habe kein Talent“, und freut sich dabei sehr. „Das macht ja nichts“, sage ich.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

In vielen Zusammenhängen, in meinen eigenen, schiene mir das eine Katastrophe zu sein, aber ist es das?

Was kann da noch kommen?

„So schlecht sieht es gar nicht aus“, sage ich. Es ist durchaus Schlechteres denkbar. „Wir sind zu dritt“, sagt die Frau. Sie sagt, „die anderen beiden sind wirklich gut, ich nicht.“ Selten sah ich einen Menschen so glücklich über die eigene Unfähigkeit. Es war keine Koketterie dabei, oder doch? Sie sagt, „Sie könnten ihre Bilder verkaufen, wenn sie wollten, aber sie wollen nicht. Wir machen das nur für uns.“ „Richtig so!“, sage ich und steige aus.

Was kann noch kommen, denke ich, jetzt ist doch wirklich sehr viel Schönes passiert. Und ich denke, ich beneide diese Frau, ich würde auch gerne sagen können, ich habe kein ­Talent und die anderen sind besser. Ich könnte es vielleicht sagen, aber ich würde es nicht ­glauben. Und darauf kommt es nun mal an.

Wenn ich es glauben könnte, dann wäre ich frei. Ein Bild malen und es fremden Leuten in der S-Bahn zeigen. Drei Jahre alt sein und im rosa Tüllkleid im Park spielen. Ich kann mit dem Lächeln einfach nicht aufhören.

Auf der Edmund-Siemers-Allee fahren die Autos in den blauen Abend hinein. Frühling in Hamburg.

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