Über das Elternwerden: Auf einmal im Paralleluniversum

Auf vieles ist man als Eltern nicht vorbereitet. Dazu gehören auch Werbung für Schmuck aus Muttermilch und Globuli aus Plazenta.

Ein Milchzahn in einer Kinderhand

Auch schon eher speziell: den ersten Milchzahn aufbewahren Foto: Charles Gullung/Getty Images

Als ich Mutter wurde, hatte ich das Gefühl, einem Geheimbund beigetreten zu sein. Einem Geheimbund aus Leuten, die sich auf der Straße anerkennend zunicken. Oder mitleidig, das ist oft nicht so klar. Dass Eltern sich gegenseitig anders behandeln als den Rest der Welt, fiel vor einiger Zeit auch der Patentante unseres Kleinsten auf. Sie kam von einem Spaziergang mit dem Vater und den Kindern und bemerkte, dass fremde Eltern sie plötzlich anlächelten. Vermutlich, weil sie sie für die Mutter hielten.

Elternwerden ist wie eines Tages in einem Paralleluniversum aufzuwachen. Ich weiß noch, dass ein sich wiederholender Gedanke in den ersten Monaten war: „Krass! Das tut ihr also die ganze Zeit?! Wieso hat mir das keiner erzählt?“ Ich weiß bis heute nicht, ob mir vorher wirklich niemand erzählt hat, wie anstrengend, undankbar, zermürbend und ungerecht es sein kann, Kinder zu haben. Oder ob ich einfach nicht richtig zugehört habe.

Eine andere Sache, auf die ich wirklich nicht vorbereitet war, ist, dass einem Onlineanzeigen eingeblendet werden für Amulette aus Muttermilch und Kinderhaaren. Die Muttermilchschmuck-Community – ein Paralleluniversum im Paralleluniversum. Ich habe lange überlegt, woran es liegt, dass ich das so abstoßend finde. Und ich weiß es nicht so recht. Meine Oma hatte früher eine kleine Holzdose, in der sie den ersten Zahn, der mir ausgefallen war, aufbewahrte. Das war üblich. Irgendwie ist aber auch das schon – sagen wir – speziell, oder? Aber ist Muttermilch-Kinderhaar-Schmuck wirklich so abstoßend? Oder anders: Ist das abstoßender, als sich Echthaarextensions an den Kopf zu clippen?

Nach meiner Fehlgeburt hat mich meine Hebamme gefragt, ob ich den Embryo im Garten vergraben möchte. Ich habe damals irritiert abgelehnt. „Wieso nicht?“, fragte sie. Wir wohnen am Stadtrand. Ich sagte, dass für mich der Akt des Vergrabens nicht unbedingt nach einer schmerzlösenden Beschäftigung klingt und ich die Vorstellung nicht ertrage, dass nachts ein Fuchs, ein Waschbär oder ein Wildschwein die Überreste des Embryos ausbuddelt, frisst oder bei den Nachbarn auf den penibel gepflegten Rasen drapiert.

Es gibt durchaus Eltern, die nach der Geburt die Plazenta vergraben, zu Globuli verarbeiten lassen oder sogar essen. Denn ihr werden in anthroposophischen Kreisen Heilkräfte zugesagt. Auch For­sche­r*in­nen sind fasziniert von dem Organ. Doch bei dem Gedanken, eine Plazenta zu essen, schüttelt es mich. Auch viele Ex­per­t*in­nen raten ab. Denn rund 40 Schwangerschaftswochen lang fungiert die Plazenta in der Regel auch als Schadstofffilter, sie besteht aus mütterlichem und kindlichem Gewebe. Klingt nicht nach einem akzeptablen Snack. Dann lieber vergraben. Vielleicht ist es nur menschlich, durch so eine Prozedur ein Gefühl konservieren zu wollen. Ein Gefühl aus einem Paralleluniversum. Es geht aber auch ohne.

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Schreibt über Gesellschaft, Politik, Medien und manchmal über Österreich. Kolumne "Kinderspiel". War 2013 Volontärin der taz panter-Stiftung, dann taz-Redakteurin. Von 2019 bis 2022 Ressortleiterin des Gesellschafts- und Medienressorts taz zwei. Lebt und arbeitet in Wien.

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