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USA heben Sanktionen gegen Damaskus aufEine Chance für Syrien

Karim El-Gawhary
Kommentar von Karim El-Gawhary

Trump gewährt Interimspräsident al-Scharaa einen Vertrauensvorschuss. Das Ende der Sanktionen ist ein wichtiger Schritt zur Stabilisierung Syriens.

Die Aufhebung der Sanktionen könnte den Menschen in Syrien Hoffnung machen Foto: Simon Newman/reuters

S ie hingen Syrien wie ein schwerer Mühlstein am Hals. Jetzt hat US-Präsident Donald Trump endlich die meisten Sanktionen aufgehoben, die einst gegen den inzwischen gestürzten Diktator Baschar al-Assad verhängt worden waren. Es ist ein Vertrauensvotum in Präsident Ahmed al-Scharaa. Dass es sechs Monate gedauert hat, liegt wohl darin, dass es mit dem Vertrauen zunächst nicht so weit her war.

Al-Scharaa und seine Leute, die die wichtigen Positionen in Regierung und Sicherheitsapparat besetzen, kommen allesamt aus der Al-Nusra-Front, die einst al-Qaida nahestand, von der sich al-Scharaa wiederum später distanzierte. Er verfolge stattdessen eine nationalistische Befreiungsagenda für Syrien, die am Ende von Erfolg gekrönt war. Jetzt verwaltet er ein Syrien voller Hoffnungen, aber auch großer Sorge. Massaker an der alawitischen Bevölkerung, denen die Assads angehören, machen Angst.

Außergerichtlich wurden da alte Rechnungen beglichen. Hoffnung macht, dass al-Scharaa gebetsmühlenartig wiederholt, alle Syrier und Syrierinnen mit an Bord nehmen zu wollen, in einem offenen Land, das er nicht strengen islamistischen Vorstellungen unterwerfen will. Er steckt in einem Dilemma. Nach außen muss er beweisen, dass er es mit seinem „All-inclusive-Syrien“ ernst meint, gleichzeitig muss er aber seine eigene islamistische Klientel bedienen, die ihn an die Macht brachte.

Die Syrer selbst sind aller gewaltsamen Auseinandersetzungen müde. Viele, die aus dem Land geflüchtet sind, wollen zurück. Die Aufhebung der Sanktionen ist Voraussetzung für den Wiederaufbau der Infrastruktur und einen besseren Lebensstandard. 90 Prozent der Menschen lebten zu Assads Zeiten unter der Armutsgrenze. Wer in einem neuen Syrien besser lebt, möchte dieses Projekt nicht gefährden.

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Die Aufhebung der US-Sanktionen ist ein Vorschuss. Jetzt muss man sehen, ob sich Syrien damit tatsächlich stabilisieren lässt. Den über Jahrzehnte geschundenen Menschen wäre das mehr als zu wünschen.

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Karim El-Gawhary
Auslandskorrespondent Ägypten
Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)
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2 Kommentare

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  • Btr. Zitat:

    "Er verfolge stattdessen eine nationalistische Befreiungsagenda für Syrien, die am Ende von Erfolg gekrönt war. Jetzt verwaltet er ein Syrien voller Hoffnungen, aber auch großer Sorge. Massaker an der alawitischen Bevölkerung, denen die Assads angehören, machen Angst."

    Reuters meldet gerade:

    Die Massaker an den Alawieten mit mindestens 1500 Totenen, tausenden Vermissten (mutmaßlich auch tot) und 10-tausenden die in die Libanon geflüchtet sind.

    Diese Massarker wurde nach Reuters Rechersche direkt von der neuen HTS-Regierung angeordnet und von HTS-Milizen begangen.

    Zitat Deutschland auf Basis der Reuters-Recherschen:

    "Die Befehlskette der Täter führe direkt zu Kommandeuren, die heute im Dienst der neuen syrischen Regierung stünden. "

    Das war im Prinzip von anfang an klar.

    Das sehr sicher die HTS (vormals Al-Quida in Syrien) die Massaker begangen hatte -- das hatte ich bereits Anfang März mit Verweis auf die "Al-Quida-Ideologie" extremer religiöser Intolleranz geschrieben.

    Auch wenn ich mich widerhohle:

    Ich finde es "verrückt" Al-Quida - Islamisten mehr oder minder als "Hoffung" für die syrischen Zivilgesellschaft dar-zu-stellen.

    • @Jörg Heinrich:

      Allerdings! Das ist alles derart fadenscheinig, geht aber auch immer wieder durch, siehe die ganzen anderen Stories von Saddams Chemiewaffen 2003 („innerhalb von 90 Minuten einsatzfähig“), eigentlich brauchen die sich gar nichts mehr auszudenken, wenn sie ihr Ding auch so durchziehen. Die Sanktionen haben natürlich zu 99% der ganz normalen Bevölkerung extrem geschadet, aber das war halt die Strafe des reichen Nordens dafür, dass die Syrer Assad nicht verjagt hatten… Dass auf den jetzigen Obermotz des Islamistenregimes (oder ist das jetzt eine „Regierung“? Demokratisch gar?) praktisch bis zuletzt sogar ein ordentliches Kopfgeld ausgesetzt war, wird auch eher nach dem Orwell‘schen „Ozeanien war schon immer mit Eurasien im Krieg gewesen“ abgetan. Doppelplusungut, alles retuschieren, obwohl auch das gar nicht nötig wäre (s.o.).