US-Schießkurs für Frauen: Die Wumme fürs Handtäschchen
Unsere Autorin durfte offiziell nicht an einem Schießkurs für Frauen teilnehmen. Mitmachen wollte sie trotzdem. Undercover mit einer Glock 19.
FAIRFAX taz | „Fotografieren verboten“, steht an der Türe. Im Inneren tragen die Empfangsdamen Pistolen am Holster. Der langgestreckte verglaste Raum hinter ihnen sieht aus wie eine Bowlingbahn, aber statt der Kegel gibt es Papierbögen, auf denen Konturen von menschlichen Oberkörpern gezeichnet sind. Am Schwarzen Brett werden gebrauchte „Bushmaster“ und „Sig Sauer“ angeboten – die Schnellfeuerwaffen von den Herstellern, die auch die Mörder im Kino von Aurora, in dem Tempel von Oak Creek und in der Grundschule von Newtown benutzt haben.
Der Schießkurs, an dem ich teilnehmen werde, ist „Ladies Only“. Theorie am ersten Abend. Schießen am zweiten. 11 Teilnehmerinnen sind gekommen. Die Jüngste von uns darf mit 19 Jahren noch nicht legal Bier trinken. Die Älteste ist seit mehr als einem Jahrzehnt in Rente.
Treffpunkt ist die Schießanlage der National Rifle Association (NRA) in Fairfax. Sie ist neben der Tiefgarage untergebracht. Aus den darüberliegenden Etagen des rundum schwarz verglasten Büroblocks am Highway 66 organisiert die NRA ihr Lobbying, mit dem sie den Kongress der USA erfolgreich vor sich hertreibt. An den Wänden unseres Seminarraums hängen ausgestopfte Bären- und Hirschköpfe.
Geld: Ende 2012 befanden sich in den USA zwischen 270 und 310 Millionen Schusswaffen in privater Hand. Das Land hat 314 Millionen EinwohnerInnen. Im Jahr 2011 wurden 5,5 Millionen Schusswaffen in den USA hergestellt und 3,2 Millionen Schusswaffen importiert. Erstes Herkunftsland ist Brasilien. Deutschland ist die Nummer vier. Die Industrie macht mit Schusswaffen und Munition in den USA jährlich Geschäfte im Wert von rund 6 Milliarden Dollar.
Tod: Bei dem letzten großen Massaker am 14. Dezember 2012 sind in der Sandy-Hook-Grundschule in Newtown, Connecticut, zwanzig sechs- und siebenjährige SchülerInnen und sechs Frauen, die an der Schule arbeiteten, ermordet worden. In den ersten 113 Tagen nach dem Schulmassaker sind in den USA nach Angaben von Vizepräsident Joe Biden weitere 3.300 Menschen aufgrund von Schusswaffengewalt gestorben.
NRA: Die Mitgliederzahl der National Rifle Association ist seit dem Massaker von Sandy Hook auf 5 Millionen gestiegen.
Aber für das Jagen interessieren sich die Teilnehmerinnen nicht. Sie sind um ihre private Sicherheit besorgt. Die meisten haben Kinder. Leben in Einfamilienhäusern im Grünen. Eine hat einen Mann mit einem Safe voller Schusswaffen. „Er ist ein Sammler“, sagt sie, „hat mir auch schon mehrere Pistolen geschenkt.“ Eine andere ist als Kind von ihrem Polizisten-Vater an Waffen herangeführt worden.
"Weigere dich, ein Opfer zu sein!"
Mehrere Teilnehmerinnen sind mit schmalen Hartschalenköfferchen gekommen. Darin liegen Pistolen in Schaumstoff gebettet. Wir anderen, die keine eigene Waffe haben, werden eine ausleihen. Vor Kursbeginn untersuchen Empfangsdamen die Köfferchen. Außerhalb des Schießraumes dürfen Waffen nicht geladen sein. „Ist das leer?“, werde ich gefragt und soll von hinten durch einen zum Boden gerichteten Pistolenlauf schauen. Ich sehe nichts.
„Weigere dich, ein Opfer zu sein“, lautet ein an Frauen gerichteter Werbeslogan der NRA. Die USA sind das am stärksten bewaffnete Land der Welt. Sie haben fast genauso viele Schusswaffen in privater Hand wie Einwohner. Aber bislang besitzen nur 15 Prozent der Frauen in den USA Schusswaffen. Das macht den weiblichen Teil der Bevölkerung zu der Hoffnung für die Branche. Der „Ladies Only“-Kursus ist Teil einer Charmeoffensive. In Zeiten nach tödlichen Schießereien ist der Zulauf zu diesen Kursen immer besonders groß.
„Schießen ist so einfach wie Autofahren“, sagt unsere Ausbilderin, „am Anfang verspannen sich ein wenig die Schultern. Aber das geht schnell vorbei.“ Wir stehen mit hüftweit aufgestellten Beinen, leicht angewinkelten Knien, ganz leicht vorgebeugtem Oberkörper und nach vorne ausgestreckten Armen in einer Reihe vor der Wand. Mein rechter Zeigefinger liegt ausgestreckt am Lauf einer Pistole, darunter greifen die anderen drei rechten Finger von vorne um den Pistolengriff. Die vier Finger meiner linken Hand wickeln sich von links über die rechten Finger und den Griff. Meine beiden Daumen liegen übereinander auf der linken Seite der Pistole. Dann schiebe ich mit dem vordersten Glied meines rechten Zeigefingers den Auslöser bis zum Widerstand. „Gute Position“, lobt die Ausbilderin eine Teilnehmerin.
Die Anatomie von Frauen ist wie für das Schießen geschaffen, erklärt sie. Der Grund: Wir haben mehr Gewicht in der unteren Körperhälfte. Das gibt Stabilität. Unsere Ausbilderin ist ein paar Minuten zu spät gekommen. Und entschuldigt sich mit den beiden Bomben, die am Nachmittag in der Zielgeraden des Boston Marathons explodiert sind.
Unter der Jacke kommt ein Lederholster zum Vorschein
Sie ist eine drahtige, kleine Frau. Bei der Ankunft in unserem Seminarraum zieht sie zuerst ihre Jacke aus. Darunter kommt eine Pistole in einem Lederholster zum Vorschein, die an einem Gürtel befestigt ist und sich an ihre Taille schmiegt. Damit sind wir bereits mitten im Thema. Mit dem Fachvokabular sind die meisten Kursteilnehmerinnen längst vertraut. Aber unsere Ausbilderin geht über den Jargon hinaus. Sie sagt „Ammo“ für Munition und nennt ihre Pistole: „meine Semiauto“.
Im Prinzip gilt die Regel, dass „eine Schusswaffe, die zu Hause liegt, nicht hilft, wenn du sie brauchst“, sagt unsere Ausbilderin. Sie selbst besitzt offenbar ein ganzes Arsenal. Und sie scheint sicher zu sein, dass wir ihr bald auf diesem Weg folgen werden. Denn verschiedene Orte – zu Hause, im Coffeeshop, im nachts geöffneten Supermarkt – verlangten nach verschiedenen Waffen.
Eine Frage muss jede von uns mit sich selbst klären: „Kann ich töten?“ Wir sollen sorgfältig in uns hineinhorchen. Falls wir die Frage mit „ja“ beantworten, wird sich der Rest fast von selbst ergeben. Wir werden einen Antrag auf verdecktes Waffentragen stellen. Wir werden eine Waffe kaufen. Und wir werden entscheiden, wie wir sie tragen wollen. Unsere Ausbilderin ist kein Fan von Pistolenholstern, die am BH, direkt auf dem Bauchband, am Oberschenkel oder am Fußgelenk befestigt sind: „weil der Zugriff umständlich ist“. Aber sie führt sie uns alle vor. Holster, die im Hoseninneren getragen werden, hält sie für eher männertauglich: „weil sie auftragen“.
Der richtige Fummel
Und falls wir eine Handtasche mit einem Mittelfach für eine Pistole anschaffen wollen, sollen wir darauf achten, dass es eine harte Schale hat, damit wir uns beim Griff nach der Waffe nicht verheddern. Schließlich muss es schnell gehen, wenn wir sie brauchen. Vermutlich werden wir auch unsere Kleidung dem neuen Lebensstil anpassen. Möglicherweise kaufen wir unsere Kleider künftig eine Nummer größer und entscheiden uns für festeren Stoff, weil sich Pistolen darunter nicht abzeichnen. Lediglich ein Outfit hält unsere Ausbilderin für schwer vereinbar mit der Pistole: Das hautenge, kleine Schwarze. „Wenn bei einer Party Schusswaffen nötig sind, würde ich erwägen, nicht hinzugehen“, sagt sie.
Wir sitzen im Halbkreis auf Stühlen vor ihr, während sie vor uns am Boden kniet und ihre „Semiauto“ in Windeseile in vier Einzelteile zerlegt. Uns zeigt, wie wir sie mit Watte, Bürsten und Q-Tipps reinigen können. Und uns versichert, dass wir alle anderen Wartungsarbeiten ohne Gesichtsverlust den Fachleuten überlassen können: „dafür sind die da“. Mehrere Teilnehmerinnen klatschen, als sie sehen, wie einfach das Zerlegen ist.
Die Stimmung ist wie bei einem Tupperware-Treffen. Ich erfahre die Namen von besonders guten Accessoires-Herstellern. Und die Adressen der besten Waffenhändler in Virginia. Es sind Geschäfte, die Frauen genauso wie Männer behandeln. Anderswo würde unsere Ausbilderin niemals einkaufen.
Schusswaffe möglichst hörbar laden
Wenige Tage vor dem Kurs hat ein vierjähriger Junge beim Spiel im Elternhaus einen Sechsjährigen erschossen. Das in den USA nicht seltene Drama hat Schlagzeilen gemacht. Aber in unserem Kurs kommt es nicht vor. Wir befassen uns nicht mit Politik oder Moral. Wir lernen schießen. Techniken.
Zum Thema Gefahren sagt die Ausbilderin einen Satz aus dem NRA-Repertoire. Der ist so bekannt, dass mehrere Teilnehmerinnen ihn laut mitsprechen: „Schusswaffen töten nicht – Menschen töten“. Kinder und Schusswaffen sind für sie kein Problem. Immer vorausgesetzt, die Eltern machen die Erziehung richtig. Vor allem müssen sie Kindern beibringen, dass sie sich von Waffen fernhalten. Möglichst schon im Krippenalter. Zusätzlich können sie ihre Kleinen ab drei in „sichere Schusswaffen“-Kurse der NRA schicken.
Etwas länger als mit Kindern halten wir uns mit der Frage auf: Was tun, wenn der Ernstfall kommt? Unsere Ausbilderin empfiehlt die Aufbewahrung von Schusswaffen in einem Safe im Schlafzimmer. Wenn wir „den Kriminellen“ hören, sollen wir drei Dinge tun: „911“ wählen und die Polizei verständigen. Die Schusswaffe aus dem Safe holen und laden – und zwar möglichst laut hörbar. Anschließend rufen wir dem Kriminellen zu, dass wir bewaffnet sind und schießen. „Das ist auch eine rechtliche Absicherung“, rät unsere Ausbilderin. Eine Teilnehmerin fügt hinzu, dass eine solche Vorwarnung in Texas unnötig ist, wenn jemand unerlaubt Privatbesitz betritt.
Ich kriege eine Glock 19
Das Waffenrecht in den USA ist eine komplizierte Sache. Jeder Bundesstaat hat unterschiedliche Gesetze. Und überall versucht die NRA, die Grenzen zu ihren Gunsten zu verschieben.
Tags drauf händigt mir eine der bewaffneten Damen am Empfang Ohrschützer, eine Schutzbrille und eine halbautomatische Pistole aus. Ich bekomme eine Glock 19. Die Dame rät mir zum Kauf einer Großpackung Patronen: „Das ist günstiger.“ Aber ich bleibe bei 50 Stück. Für diesen praktischen Teil des Kurses wird jede von uns von einer Lehrerin in die Schießbox begleitet. Ich drücke Patronen ins Magazin. Meine Lehrerin schickt die Zielscheibe per Knopfdruck auf die Bahn vor mir. Ich gebe meine ersten Schüsse im Sitzen ab.
Die Pistole wird durch einen Aufsetzer auf dem Tisch vor mir gestützt. Ich richte Kimme und Korn aus. Ziele. Treffe. Meine Lehrerin nimmt den Tisch weg. Ich stehe an der roten Linie und schieße. Anfangs bin ich benommen von jedem Knall. Und ich bin schockiert darüber, wie einfach es ist. Dann ballere ich eine kleine Serie. Wieder gehen alle Schüsse in die beiden innersten Kreise.
Zum Schluss bekomme ich ein Zertifikat, mit dem ich eine Genehmigung für verstecktes Pistolentragen in Virginia beantragen kann. Und die Frage, ob ich NRA-Mitglied werden möchte. Meine Lehrerin umrandet meine Einschüsse mit einem breiten roten Filzer. „Sehr gut“, sagt sie und überreicht mir die durchlöcherte menschliche Zielscheibe als Souvenir: „Du solltest wieder kommen.“
Als Journalistin an einem Schießkurs teilzunehmen, gestaltete sich als äußerst schwierig. Die NRA reagierte gar nicht erst auf die Anfrage der taz. Deswegen meldet sich unsere Reporterin als gewöhnliche Teilnehmerin an. Weil sie dort inkognito war, kann sie nicht namentlich zitieren.
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