US-Präsident in Warschau: Breite Bewunderung für Biden
Nach der Rede des US-Präsidenten tummeln sich Schaulustige in der polnischen Hauptstadt. Derweil sorgt der PiS-Chef für etwas Aufregung.
Die Sicherheitsvorkehrungen sind enorm. Bekannt ist nur, dass Biden sich wie schon vor einem Jahr mit den so genannten Bukarest Neun (B9) treffen wird, dem Bündnis von neun Nato-Ostflanken-Staaten, die sich 2015, ein Jahr nach dem Überfall Russlands auf die Ostukraine und der illegalen Annexion der Krim, zusammengeschlossen haben. Sie fürchten, dass sie nach einem möglichen Sieg Putins in der Ukraine das nächste Opfer seiner Aggression werden könnten – trotz Nato-Mitgliedschaft.
Auch unter Polen geht diese Furcht um. Umso größer ist ihre Bewunderung für Joe Biden, der sich nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 nun schon zum zweiten Mal auf die weite Reise in das Land gemacht hat – und dieses Mal auch noch unter absoluter Geheimhaltung zehn Stunden mit dem Zug direkt ins Kriegsgebiet gefahren ist. „Die USA sind unser wichtigster Verbündeter“, sagt Maciek (19) und versucht, das große Eingangstor des Warschauer Königsschlosses aufzudrücken. Dann erst sieht er das Schild „Geschlossen“.
Seine Freundin Maria, ebenfalls 19, fragt direkt ein paar Passanten: „Wir wollen zum Schlossgarten“. Ein älterer Mann lacht: „Da sind Sie für den Biden-Besuch aber zu spät dran. Sie müssen runter zur Weichsel gehen, rechts oder links am Schloss vorbei.“ Die beiden nicken, nehmen den Weg durch die Kanoniker-Gasse und erzählen: „Wir haben die Rede Bidens gestern nur im Fernsehen gesehen. Jetzt wollen wir uns den Ort anschauen. Hier wurde ja Geschichte geschrieben.“
Am Gartentor zücken sie ihre Handys: „Das große Lichtspektakel mit den Farben der ukrainischen und polnischen Flagge war toll. Perfekt gemacht! Da wäre ich gerne dabei gewesen“, sagt Maciek. „Viel Neues hat Biden ja nicht gesagt“, wirft Maria ein. „Ich hatte Konkretes erwartet, also mehr Waffen für die Ukraine und feste amerikanische Militärbasen für uns.“
„Er hat nichts gesagt“
Maciek deutet auf eine Stelle weit vorne nahe der Rednerbühne: „Da muss Kaczynski gesessen haben und all die anderen Politiker.“ Der Chef der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hatte die Rede Bidens aus den Zuschauerreihen kommentiert und dabei nicht bedacht, dass einige Zuhörer die Rede Bidens aufnahmen und deshalb auch Kaczyńskis Aussage mitschnitten: „Er hat nichts gesagt“, meinte der PiS-Führer zu der Rede Bidens.
Auf Facebook und Twitter löste das einen Shitstorm aus. „Na ja“, winkt Maria ab, „wahrscheinlich hat er nichts verstanden. Die Rede war ja auf Englisch“. Maciek nickt: „Ich wundere mich nur, dass Biden uns Polen dafür dankte, wie wir die Flüchtenden aus der Ukraine aufgenommen haben. Dabei müsste man doch den Ukrainern dafür danken, dass sie die Russen in der Ukraine aufhalten. Sonst stünden die doch längst vor Warschau.“
Der US-Präsident hatte bei seiner Rede am Dienstagabend die große Bereitschaft Polens zur Aufnahme von Kriegsflüchtlingen hervorgehoben. Außerdem hatte Biden die Einheit der Nato beschworen: „Wir stehen zur Nato und zum Artikel 5.“ Und: „Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle.“ Die Hervorhebung des Beistandsparagrafen dürfte vor allem bei den baltischen Staaten gut angekommen sein, stieß aber auch in Polen auf Widerhall.
Maria und Maciek verabschieden sich. Sie wollen noch ein bisschen an der Weichsel entlangspazieren und in einem windgeschützten Strandkorb einen heißen Tee trinken und die aktuellen Zeitungen mit den Kommentaren zur Rede Bidens vor dem Königsschloss in Warschau lesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene