US-Politologin Bennis über US-Außenpolitik: "Israel braucht unseren Schutz nicht"
Die USA müssen sich für ihre Politik gegenüber Ägypten entschuldigen, sagt die Politologin Phyllis Bennis. Und akzeptieren, wenn bei freien Wahlen islamische Kräfte siegen.
taz: Frau Bennis, in den vergangenen Jahren haben Sie oft die Politik der USA im Nahen Osten kritisiert. Wie bewerten Sie das, wie die US-Führung in den vergangenen Tagen auf die Entwicklungen reagiert hat?
Phyllis Bennis: Bislang hat sich die Politik nicht geändert. Aber die Sprache ist anders. Wir hören ein Nachdenken über die Politik, wie wir es nie zuvor gehört haben. Das ist sehr wichtig.
Was ist so anders?
PHYLLIS BENNIS, 60, ist politische Beraterin und leitet das New Internationalism Project an dem Institute for Policy Studies in Washington. Sie beschäftigt sich mit der US-Politik im Nahen Osten und hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, zuletzt über den Afghanistankrieg.
Nie zuvor hat jemand aus der Regierung gesagt, dass er über die Hilfe an Ägypten nachdenkt. Noch vor wenigen Monaten hat Verteidigungsminister Robert Gates erklärt: "Die Hilfe für Ägypten ist sakrosankt." Das ist heute anders. Und wir haben Präsident Barack Obama, der sagt: "Der Übergang muss sinnvoll und er muss friedlich sein, und er muss jetzt beginnen." Auch das haben wir nie zuvor gehört. Aber nach den Worten müssen Taten folgen.
Welche Taten?
Wir müssen sagen: Ab heute gibt es keine finanziellen Hilfen für das Regime von Mubarak.
Das ist alles?
Wir hören jetzt zwar eine andere Sprache von der Obama-Regierung, aber Obama muss den Rücktritt Mubaraks verlangen. Und zwar einen sofortigen. Bislang hat er nur eine Veränderung verlangt. Aber Mubarak scheint als Veränderung zu verstehen, dass er einen Vizepräsidenten benennt und bereit ist, in acht Monaten nicht wieder zu kandidieren. Das reicht nicht.
Wäre das glaubwürdig?
Wenn die USA eine wirkliche Veränderung in ihrer Politik in der ganzen Region wollen, könnten sie sagen: Wir haben Unrecht begangen. Es war falsch, unsere eigene Stabilität darüber zu definieren, dass wir Diktatoren unterstützen. Und: Wir werden das nicht mehr tun.
Obama, der erst vor zwei Jahren gewählt worden ist, soll sich für die US-Politik im Nahen Osten entschuldigen?
Er ist der Präsident eines Landes mit einer bestimmten Geschichte. Er muss keine persönliche Entschuldigung machen. Er könnte den Ägyptern sagen, dass er sich im Namen seines Landes dafür entschuldigt, dass das Steuergeld seines Volkes dafür benutzt wurde, einen Diktator zu finanzieren, der sein Volk unterdrückt hat. Eine solche Geste wäre enorm. Das wäre mehr als alles andere, um die Wahrnehmung der USA zu ändern.
Woher kommt die Angst vor dem, was in Ägypten passiert?
Das ist Islamophobie.
Sonst nichts?
Es gibt auch Progressive, die Angst vor Ländern haben, die von theokratischen Elementen gelenkt werden. Ich mag solche Elemente auch nicht. Aber es ist nicht an uns, die Regierungen anderer Völker zu bestimmen.
Die USA haben nicht nur eigene Interessen in der Region, sondern sie verteidigen auch die Sicherheit Israels. Die Militärhilfe an Ägypten ist direktes Ergebnis des Friedensvertrags von Camp David.
Die historischen Interessen der USA in der Region sind Öl, Israel und - im Sinne der USA - Stabilität. Das ist nicht in Ordnung. Es leugnet die Rechte der Menschen, über ihr eigenes Land zu bestimmen. Es gibt israelische Amtsträger, etwa Vizeministerpräsident Silvan Schalom, der sagt, mit Demokratie in Ägypten hätten wir Camp David nie bekommen. Israel fühlt sich durch Demokratie in der Region bedroht. So etwas kann keine Rechtfertigung sein, um einen Diktator zu unterstützen.
Gilt das für jeden Diktator in der Region?
Ja.
Auch den jemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Saleh?
Ja. Aber die USA unterstützen Jemen nicht auf dieselbe Art. Eines der berühmtesten Kapitel der amerikanisch-jemenitischen Geschichte spielte sich im Jahr 1990 im Weltsicherheitsrat ab, als die USA ihren Krieg gegen den Irak vorbereiteten. Die USA haben damals versucht, eine einstimmige Entscheidung für den Krieg zu bekommen. Jemen war das einzige arabische Land im Sicherheitsrat. Es konnte nicht der US-Invasion eines anderen arabischen Landes zustimmen. Nur zwei Länder stimmten dagegen: Jemen und Kuba. China hat sich enthalten. Saleh hatte kaum seine Hand gesenkt, als ein US-Botschafter an seiner Seite war und ihm sagte: Das wird die teuerste Nein-Stimme sein, die Sie je abgegeben haben. Drei Tage später haben die USA ihren kompletten Hilfsetat für Jemen gestrichen.
Die Zeiten haben sich geändert.
Stimmt. Aber die USA unterstützen den Jemen nicht, weil sie sich für den Jemen interessieren, sondern weil sie sich um ihre eigenen Interessen kümmern, den Krieg gegen den Terror. Und unterstützen damit ein diktatorisches Regime, das nicht die Unterstützung seines Volkes hat.
Wenn die USA jetzt keine Finanzhilfen mehr für Ägypten geben und das Geld somit für politische Zwecke nutzen.
Ich würde es anders sagen: Ich würde aufhören, das Geld für politische Zwecke zu nutzen. Ich würde aufhören, dem Militär Geld zu schicken.
Was würden Sie tun, wenn ein neues Regime, das aus dieser Bewegung und aus Wahlen hervorgeht, dieses Geld wiederhaben will?
Wenn es für demokratische Zwecke ist und zum Aufbau der Wirtschaft …
… nein, ich meinte für militärische Zwecke.
Fast alle Militärhilfe ist negativ. Die USA sind verantwortlich für fast 50 Prozent der Waffengeschäfte in der Welt. Das ist keine gute Sache. Das bringt uns keine Sicherheit, und das bringt niemandem sonst eine Sicherheit.
Und Sie würden Israel nicht mehr schützen?
Israel ist der fünftgrößte Militärausrüster weltweit. Es braucht unseren Schutz nicht. Es hat die einzige nukleare Bewaffnung in der Region.
Seit dem Ende des Kalten Krieges waren die USA die dominante Macht in der Region. Ändert sich das jetzt?
Ich glaube, die Rolle der USA in der Region wird nie wieder dieselbe sein. Dies ist das Ende von 50 Jahren Unterstützung von Diktatoren und Außenposten des Imperiums.
Alles wird gut?
Natürlich wird es Chaos geben, wenn die Diktaturen zusammenbrechen. Natürlich wird es schwierig werden. Aber es wird auf der Grundlage dessen sein, was die Leute in Ägypten wollen. Es wird riesige Auseinandersetzungen geben: über Frauenrechte, über Minderheitenrechte. Es wird Bürgerrechtskämpfe geben. Sehen Sie sich mein eigenes Land an: Das basierte auf Sklaverei und auf Genozid, um mächtig zu werden. Aber von Anfang an hatten wir soziale Bewegungen, die das angefochten haben. Auch wenn sie nicht immer gewonnen haben.
Und wenn die Muslimbrüder an die Macht kommen?
Die Regierung der USA sollte eine Regierung anerkennen, wenn sie vom ägyptischen Volk gewollt wird. Falls sie von außen aufgezwungen ist, wäre das etwas anderes. Die Muslimbruderschaft ist ein akzeptierter Teil der ägyptischen politischen Szene. Aber ihre Kandidaten haben nie mehr als rund 20 Prozent der Stimmen bekommen. Ihre Chance, die Macht zu übernehmen, geht gegen null.
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