US-Open-Sieger Jannik Sinner: Der unbeirrbare rote Baron
Der Italiener Jannik Sinner fällt nach positiven Dopingtests nun wieder mit gutem Tennis auf. Das Finale der US Open gewinnt er souverän.
Als die US Open noch gar nicht begonnen hatten, ereignete sich der wahrscheinlich wichtigste Moment für den späteren Champion Jannik Sinner. Es war in der Pressekonferenz vor den New Yorker Turnier, als ein übereifriger Moderator die Nachfragen zu Sinners unklarer Dopingaffäre und seinen umstrittenen Freispruch abzuwürgen versuchte. Doch Sinner bremste den Aufpasser – und anschließend redete der Südtiroler über alles, was in den letzten Monaten passiert war. „Es tat gut, endlich darüber sprechen zu können“, sagte Sinner, „ich habe ein reines Gewissen. Es war wie eine Befreiung.“
Gut zwei Wochen später hatte Sinner dann eine noch viel größere Antwort gegeben, die Antwort auf die Frage, wie er mit allen Zweifeln und Selbstzweifeln rund um diese Offenen Amerikanischen Meisterschaften umgehen würde. Der Erste der Tennisweltrangliste der Männer war nach einem extrem souveränen 6:3, 6:4, 7:5-Sieg über den Amerikaner Taylor Fritz auch die Nummer eins des schillernden Major-Spektakels im Big Apple, der kühle Partschreck für das versammelte Promiaufgebot um Megastar Taylor Swift, Dustin Hoffmann, Matthew McConaughey oder Tesla-Besitzer Elon Musk.
Es war allerdings für den 23-jährigen Triumphator kein Jubel-, Trubel- und Heiterkeitsmoment. Nicht nur wegen der Dopingangelegenheit, über die Sinner sagte: „Das ist nicht verschwunden, es ist immer noch in meinem Kopf.“ Sondern auch wegen der Sorgen um seine schwer erkrankte Tante, die sich immer wieder um ihn gekümmert hatte, wenn seine Eltern arbeiten mussten. Tennis sei nicht das „wahre Leben“, sagte Sinner fast ein wenig bedrückt, „ich würde lieber mehr Zeit mit Menschen verbringen, die mir wirklich etwas bedeuten.“
Wie sich Sinner in einer herausfordernden Lebenslage dennoch auf den Centre Courts in diesem Sommer behauptete, war erstaunlich. Schon jetzt ist klar, dass der erste italienische US-Open-Sieger ein gewichtiges Wörtchen in der Ära nach den großen Drei spielen wird. Auch wenn Alexander Zverev aktuell auf Platz 2 der Weltrangliste rückte, sind Sinner und der Spanier Carlos Alcaraz doch die prägenden Profis im Hier und Jetzt und wohl auch der Zukunft. Sinner hatte das erste und letzte Wort in diesem Grand-Slam-Jahr 2024, als Sieger in Australien, nun in New York. Alcaraz gewann zwischendrin die Turniere in Paris und Wimbledon. Für die alten Machthaber wie Đjoković oder Nadal blieb nichts mehr, aber auch nicht für ehemals als Kronprinzen gehandelte Spieler wie Zverev, Medwedew oder Tsitsipas.
In nur 139 Minuten
Sinner krönte seine überzeugende Spielserie nun vorerst mit dem New York-Coup, bei dem er seine Power und Präzision gegen den überforderten Lokalmatador Fritz einsetzte. Sinners „unerschütterlicher Glaube“ sei der Erfolgsfaktor gewesen, sagte TV-Experte Boris Becker, „ich kann nur staunen über seine mentale Stärke.“ Nur einmal, bei einem 3:5-Rückstand im dritten Satz, geriet der Südtiroler kurz in Schwierigkeiten, holte sich aber in einem furiosen Schlussspurt die letzten vier Spiele und die Siegertrophäe nach nur 139 Minuten. Mitreißende Atmosphäre war in der vollen Arena so nie aufgekommen, Stimmungskiller Sinner hatte sein Werk planvoll zu Ende gebracht.
„Wir haben den König“ titelte die Gazetta dello Sport zu Sinners US-Open-Sieg und nannte ihn, sicher keineswegs übertrieben, „Italiens beliebtesten Sportler“: „Er ist ein einfacher Junge wie der Freund von nebenan.“ Nur auf dem Centre Court gibt es keine Nettigkeiten vom Mann, der von seinen Fans auch der „rote Baron“ genannt wird, seiner Haarfarbe wegen. 55:5-Siege lautet die Gewinn-/Verlustrechnung für Sinner mit Stichtag US-Open-Finale, sechs Titel hat er gewonnen, genau wie Alcaraz.
In der Weltrangliste aber steht er einsam an der Spitze, mit 11.180 Punkten hat er mehr als viertausend Zähler Vorsprung vor Zverev (7.075). Sein New Yorker Finalgegner Fritz, der auf Platz 7 vorrückte, ist mit 4.060 Punkten schon eine ganze Welt entfernt. So wie auch gerade im Endspielduell.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation