US-Militärdrohnen in Pakistan: Einsatzende am Horizont
Bei einem Überraschungsbesuch in Pakistan stellt US-Außenminister Kerry ein Ende der Drohnenangriffe in Aussicht. Einen Termin nennt er aber nicht.
BANGKOK taz | US-Außenminister John Kerry hat am letzten Tag seines Pakistan-Besuchs ein Ende der US-Drohnenangriffe auf vermutete Militante im Nordwesten des Landes in Aussicht gestellt. Nach einem Treffen mit Pakistans Premierminister Nawaz Sharif sagte Kerry in einem Fernsehinterview am Donnerstagabend, er hoffe, dass die Drohnenangriffe bald enden würden. „Ich glaube, dass das Programm bald zu Ende gehen wird, da wir den Großteil der Bedrohung beseitigt haben und weiter dabei sind, sie zu beseitigen.”
Kerry war, für die Außenwelt überraschend, am Mittwochabend in Pakistan aufgetaucht. Der Besuch war zuvor nicht angekündigt worden, um Anschläge zu vermeiden. In Islamabad traf Kerry neben Premier Sharif unter anderem den außenpolitischen Berater des Premierministers Sartaj Aziz und Armeechef Ashfaq Parvez Kayani.
Nach seinem Treffen mit Sharif erklärte Kerry, beide Seiten hätten sich darauf verständigt, die „volle Partnerschaft“ wiederherzustellen. Die Beziehungen zwischen Washington und Islamabad hatten sich in den vergangenen Jahren spürbar abgekühlt. Die Kommandooperation im Mai 2011, bei der Mitglieder einer US-Sondereinheit Al Qaida-Chef Osama bin Laden in Pakistan getötet haben, hatte die Eiszeit besiegelt.
Als im November desselben Jahres Nato-Truppen bei einem Angriff auf zwei Kontrollposten 24 pakistanische Soldaten töteten, nutzte Islamabad den Vorfall als Vorwand, um die Nachschübe für die ausländischen Truppen in Afghanistan, die größtenteils durch Pakistan verlaufen, vorübergehend zu stoppen.
Die Drohnenangriffe sind in Pakistan ein Reizthema. Die meisten Pakistaner lehnen sie rundweg ab. Kerrys Äußerung dürfte daher vor allem als Entgegenkommen gegenüber Sharif zu verstehen sein, der seit Juni zum dritten Mal im Amt ist und sich seit Jahren gegen die Angriffe ausspricht.
Doppeltes Spiel in der Drohnenpolitik
Auch die vorherige Regierung und das Militär haben sich häufig über die Angriffe beklagt. Dabei hat Pakistans Sicherheitsapparat auch in Sachen Drohnenangriffe lange Zeit eine Doppelrolle gespielt. Nach außen hin hat das Militär die Angriffe regelmäßig als Eingriff in die Souveränität des Landes verurteilt. Doch zumindest anfangs haben Pakistans Generäle die Drohnenangriffe sogar unterstützt. Vermutlich bereits 2001 hat Pakistans Militär den USA den Luftwaffenstützpunkt in Shamsi im Westen des Landes zur Verfügung gestellt. 2009 tauchten Satellitenbilder auf, auf denen auf dem Gelände des Stützpunkts drei Predator-Drohnen klar zu erkennen waren.
Die pakistanische Regierung dementierte zunächst, dass die USA den Luftwaffenstützpunkt nutzen, räumte dies jedoch später ein. Nach der Verschlechterung der Beziehungen 2011 zwang Pakistan die USA dazu, Shamsi zu verlassen. Seitdem starten die Dohnen vermutlich alle von Nato-Basen in Afghanistan.
Nach dem genauen Zeitraum gefragt, in dem das Drohnenprogramm enden solle, äußerte sich Kerry in seinem Fernsehinterview jedoch vage. Er sagte, US-Präsident Obama habe einen reellen Zeitplan. „Wir hoffen, dass es sehr, sehr bald ist.” Das US-Außenministerium in Washington relativierte Kerrys Äußerungen jedoch kurze Zeit später. In einer Erklärung hieß es, man könne “keinen genauen Zeitraum” nennen.
Diese Erklärung ist näher an dem Inhalt einer Rede zur Drohnenpolitik, die der US-Präsident im Mai gehalten hat. Damals hatte Obama erklärt, dass die Verringerung der US-Truppenzahl in Afghanistan und Fortschritte beim Kampf gegen Al Qaida die Notwendigkeit für Drohnenangriffe verringert hätten. Von einem bevorstehenden Ende des Drohnenangriffe, wie Kerry es angekündigt hat, sprach Obama nicht.
Über 3.000 Drohnenopfer seit 2004
Schon seit Jahren nimmt die Zahl der Drohnenangriffe ab. Laut der New America Foundation, einem unabhängigen Think-tank in Washington, lag die Zahl der Angriffe 2010 bei 122. Im darauffolgenden Jahr hat die CIA in 73 Fällen versucht, vermutete Militante zu töten. 2012 gab es nur noch 48 Drohneneinsätze. Umstritten ist die Zahl der zivilen Todesopfer, die es dabei hat. Geschätzt 3.400 Menschen sind bei Angriffen mit unbemannten Drohnen seit 2004 getötet worden.
Die US-Regierung beharrt darauf, dass in diesem Zeitraum nur sehr wenige Zivilisten getötet worden seien. Das liegt jedoch vor allem an der Art und Weise, wie Washington zwischen Zivilisten und Kämpfern unterscheidet. Offiziell wertet die US-Regierung jeden Mann im wehrfähigen Alter – also ab etwa 16 Jahren –, der bei einem Drohnenangriff getötet worden ist, als getöteten Kämpfer. Gemäß dieser Rechnung hat es seit 2004 etwa 50 bis 60 getötete Zivilisten gegeben.
Pakistans Regierung kommt jedoch zu einem deutlich anderen Schluss. Das Bureau of Investigative Journalism, eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz in London, hat im vergangenen Monat einen pakistanischen Geheimbericht veröffentlicht, der sich mit 75 Drohnenangriffen befasst, die zwischen 2006 und 2009 erfolgt sind. Dabei hat es sich laut dem Bericht bei 147 der 746 getöteten Personen um Zivilisten gehandelt. 94 der Getöteten sollen Kinder gewesen sein.
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