US-Künstlerin Carolee Schneemann: Inmitten der Kunsthengste
In Salzburg ist eine große Carolee-Schneemann-Retrospektive zu sehen: Performances und Fotografien zu den Themen Sex und Körperlichkeit.
Auf eine Reise in die Vergangenheit, in die Zeit der zweiten Feminismuswelle, führt das Salzburger Museum der Moderne mit einer Retrospektive der amerikanischen Künstlerin Carolee Schneemann (bis 28. Februar). Das ist ein erfrischendes, naturgemäß auch nostalgisch grundiertes Panorama der Pionierleistungen, mit denen Schneemann in den frühen 1960er und 1970er Jahren tradierte Muster überwand.
Nach einer akademischen Ausbildung kam Schneemann, 1939 geboren, zu einer Zeit nach New York, als die Stadt Paris als wegweisende Kunstmetropole triumphal abgelöst hatte. Abstract Expressionism war längst etabliert, die New York School und ihre durchweg männlichen Protagonisten wurden weltweit beachtet.
Frauen jedoch waren nach wie vor Musen oder so was. Machten sie Kunst, wurde das, wenn nicht ignoriert, gerade mal einigermaßen wohlwollend vermerkt. Mehr nicht.
Die junge Künstlerin traf sie alle, die „Kunsthengste“, wie sie sie später einmal nannte. John Cage, Steve Reich, die Musik- und Theateravantgarde lernte sie durch ihren Mann kennen, den Komponisten und Musiktheoretiker James Tenney.
Sie trat in ihren Theaterstücken und Performances auf, choreografierte für sie und malte dicht ineinander verschränkte Abstraktionen mit rhythmischem Pinselstrich. Damit eröffnet die chronologisch arrangierte Werkschau. Farbpalette und Formenrepertoire erinnern mal an Robert Rauschenberg, mal an Willem de Kooning, erkennbar behielt sie das Vorbild Cézanne stets fest im Blick.
Vereinen von Zeit, Raum und Person
Das beste Beispiel ihrer frühen, reflektierten Arbeiten ist die von einem stark stilisierten, manieristisch überlängten männlichen Rückenakt dominierte Komposition „Three Figures after Pontormo“; an einzelnen Stellen ist die Farbe herausgeschabt, grobe Kratzer irritieren.
Dieser Versuch, über den bloßen virtuosen Farbauftrag hinauszugehen, konnte sie jedoch nur bedingt befriedigen. Die meisten Bilder jener Jahre zerstörte sie. Es war ihr nicht gelungen, das Ereignishafte des künstlerischen Schaffensprozesses auf die Leinwand zu übertragen.
Assemblagen sollten sie weiterführen. In der Ausstellung ist eine große Auswahl ihrer Controlled Burning Boxes zu sehen: inwendig bemalte Holzkisten, bestückt mit Glas- und/oder Spiegelscherben, mit Federbüscheln, Stofffetzen, Papier, die sie in Brand setzte. Das Ergebnis ist ein Objekt des Zufalls, Schatzkiste, Bühne für ein kryptisches Theaterstück – und eine Steilvorlage für den inneren Monolog des Betrachters.
Fast alle Exponate werden von Carolee Schneemanns Kommentaren begleitet. Das hilft und passt sehr gut zu ihrer Vorstellung, dass der Künstler nicht nur als Schöpfer, sondern de facto in seinem Kunstwerk präsent sein soll. Am sinnfälligsten manifestiert sich diese Vorstellung in der Performance, einem Zeit, Raum und Person vereinenden Kunstwerk, das dann freilich ephemer ist.
Exhibitionismus- und Pornografievorwürfe
Das scheint Schneemann nicht ganz zu behagen, und so werden ihre performativen Auftritte Vorlagen für Fotografien und Filme. Sie übernimmt dabei die Rolle der Darstellenden und der Dargestellten, wozu sie ihren Körper bemalt, mit Spiegeln und assoziativen Objekten umgibt und sich in eine von ihr gestaltete Installation einfügt. Sie ist nun nicht mehr Gegenstand, sondern materieller Teil einer Darstellung. Und sie ist immer nackt. Damit verlässt sie die Rolle des weiblichen Akts als Motiv, als ewiges vom Künstler abgebildetes und interpretiertes Objekt der Begierde.
Sie geht noch weiter. Anfang der sechziger Jahre filmt sie sich und ihren Mann James Tenney beim Liebesakt. Nur die Kamera und die auch ansonsten stets präsente Katze Kitch schauen zu. Das Filmmaterial bearbeitet, zerkratzt, beschichtet und bemalt sie. Das war natürlich explizit – und ein Spiel mit dem Feuer. Schneemann bewegte sich mit „Fuses“ damals auf einem sehr schmalen Grad.
Dem erwartbaren Vorwurf des Exhibitionismus, der Pornografie begegnet sie mit dem Einwand, dass sie weibliche Lust, Begehren, den Genuss des Begehrtwerdens nur dann künstlerisch darstellen könne, wenn sie weder als Objekt noch als inszenierender Dokumentar des schöpferischen Akts fungiere, sondern beide Positionen einnehme. Die Zeiten waren allerdings bei weitem nicht so körperfeindlich wie heute, wo die Ausweitung des Begriffs der Pornografie, dekoriert von hyperkorrekten Gendermahnungen, für Ordnung sorgt.
Carolee Schneemanns Position war jedoch alles andere als gefestigt. Dazu bedurfte es noch einer ekstatischen Gruppenperformance wie „Meat Joy“, in der fröhliche Männer und wunderbare Frauen sich den unterschiedlichsten Variationen der Fleischeslust hingeben unter Beteiligung von Fischen, Würsten, Farbe und gerupften Hühnern, begleitet von einer ironisierenden Songcollage.
Nackt auf einem Tisch
Das Video dieser orgiastischen Veranstaltung ist, wie die meisten ähnlich provokanten Events jener Jahre, nicht gut gealtert, man staunt und findet’s eher komisch. Leider. Als frühes Manifest avantgardistischen Umgangs mit den Möglichkeiten neuer Medien, als „Kinetisches Theater“ taugt es allemal und ist schon deshalb einzigartig und unverzichtbar. Zudem ist Schneemanns Ansatz mit vielen Skizzen, Scripts und Fotos dokumentiert.
Ein großes Publikum fand Schneemann nie, sie ist stets ein artist’s artist für mehr oder weniger feministisch arbeitende Künstlerinnen geblieben. Vorbildlich und unerschrocken. Körperbewusst und frei. Wie sonst hätte sie ihre berühmte, hoch umstrittene Performance „Interior Scroll“ so gut verteidigen können?
Nackt steht sie auf einem Tisch, stellt die lächerlichen Posen eines akademischen Aktmodells nach, um schließlich einen säuberlich gefalteten Papierstreifen aus ihrer Vagina zu ziehen und vorzulesen: „Sei darauf vorbereitet, dass man deine Ideen klaut, dass man die Ideen missversteht, dass man dich schlecht behandelt, egal ob dein Erfolg zu- oder abnimmt, dass Herabsetzung und Bewunderung im Gleichschritt miteinander gehen . . .“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands