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US-HandelspolitikMehr Unabhängigkeit

Kai Schöneberg
Kommentar von Kai Schöneberg

Donald Trumps Vulgärkapitalismus hat auch etwas Gutes: Er produziert eine Koalition der Gekniffenen.

Europa muss isch neue Handelspartner suchen Foto: Kent Nishimura/reuters

D ie Globalisierung hat in den vergangenen Jahrzehnten hunderte Millionen Menschen aus Armut und Hunger geholt. Große Teile vor allem Asiens wurden industrialisiert, viele sich entwickelnde Staaten in globale Lieferketten eingebunden, die westliche Hemisphäre steinreich. Das hat auch zu sklavenähnlichen Arbeitsprozessen, mehr Stress, zur Vertiefung sozialer Ungleichheiten, versiegelter und verseuchter Umwelt und zur Klimakatastrophe geführt. Diese Liste der Schattenseiten ist noch weitaus länger.

Deutschland darf sich nicht von Trumps Wrestler-Methoden einschüchtern lassen

Das aktuelle Welthandelsregime ist also keineswegs perfekt. Das heißt aber nicht, dass es durch Chaos und Unsicherheit ersetzt werden sollte. Und genau das will US-Präsident Donald Trump mit seinem stümperhaften Zollhammer, der selbst Inseln bedroht, auf denen nur Pingui­ne leben. Auch wenn der Präsident dabei rituell auf die US-amerikanische Opferrolle im Außenhandel pocht: Sein Land ist von den zum Teil seit Jahrzehnten geltenden Regeln des Welthandels keineswegs prinzipiell benachteiligt. Die Handelspartner der USA sind trotz des hohen Bilanzdefizits keine „Aasgeier“, jene in Europa auch keine „Schmarotzer“, die sich auf Kosten Amerikas bereichern.

Das Gegenteil stimmt: Die USA sind spätestens seit 1945 die globale politische und ökonomische Führungsnation – und der weltweit größte Nutznießer der Globalisierung. Diese ist mit immer mehr autoritären Staatslenkern von Trump über Xi Jinping und der Gruppe der Brics-Staaten unter anderem mit Wladimir Putin (Russland) und Narendra Modi (Indien) sowie dem rechtslibertären Präsidenten Argentiniens Javier Milei viel komplexer geworden. Anstatt von immer mehr ökonomischer Verflechtung durch immer mehr Handel sprechen ExpertInnen mittlerweile von Fragmentierung: dem Zerfall der Welt in politisch spinnefeinde Handelsblöcke.

Die neue Geoökonomie ist fragil. Handels­nationen wie Deutschland dürfen sich dennoch nicht von Trumps Wrestler-Methoden einschüchtern lassen. Auch wenn Fachleute aus allen politischen Lagern über den aktuellen ökonomischen Sachverstand im Weißen Haus die Nase rümpfen: Wir müssen mit Trumps Vulgärkapitalismus leben. Das heißt: den Dealmaker und uns selbst analysieren – und unabhängiger werden. Zum Beispiel bei Satelliten, bei der Cloud-Infrastruktur, bei künstlicher Intelligenz.

Wir müssen zudem Trumps Schwachstellen identifizieren, darunter die US-Techkonzerne, die in Europa wie im Steuerparadies absahnen und vor Trump buckeln. Das heißt auch: neue Handelspartner suchen. Die Koalitionen der Gekniffenen bergen Chancen. Mexiko leidet bereits unter Trump – und könnte mehr Agrarprodukte in Europa verkaufen. Erst im Januar wurde der europäisch-mexikanische Handelspakt renoviert – und viele Zölle gesenkt. Oder Vietnam, das eben erst seine Zölle für US-Produkte stutzte, nun aber von Trump mit Einfuhrabgaben in Höhe von 46 Prozent knallhart getroffen wurde. Für die EU gelten „nur“ 20 Prozent. Was soll’s?

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Kai Schöneberg
Ressortleiter Wirtschaft und Umwelt
Hat in Bonn und Berlin Wirtschaftsgeschichte, Spanisch und Politik studiert. Ausbildung bei der Burda Journalistenschule. Von 2001 bis 2009 Redakteur in Bremen und Niedersachsen-Korrespondent der taz. Dann Financial Times Deutschland, unter anderem als Redakteur der Seite 1. Seit 2012 wieder bei der taz als Leiter des Ressorts Wirtschaft + Umwelt, seit August 2024 im Sabbatical.
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3 Kommentare

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  • China erwähnt der Autor nicht - umgeht er es bewusst? Das De-Risking scheint doch keine so gute Idee gewesen zu sein, jedenfalls nicht gegenüber dem Reich der Mitte. Jetzt stehen sie da, die überzeugten ‚Atlantiker‘ (eigentlich nicht einzusehen, dass sich hier ganze geografische Bereiche besetzt wurden).

  • Ist halt die Frage, ob die EU hier opportunistisch und flexibel vorgehen kann um Chancen zu nutzen oder sich mit Moralismus und Nationalismus selbst ins Knie schießt.

  • Zitat: - "Das Gegenteil stimmt: Die USA sind spätestens seit 1945 die globale politische und ökonomische Führungsnation – und der weltweit größte Nutznießer der Globalisierung."

    Wie heißt es doch? Im Durchschnitt war der Graben einen halben Meter tief, die Kuh ist trotzdem ersoffen. Nutznießer waren in den USA eben nicht alle, sondern v.a. die sogenannten Eliten. Die amerikanischen Industriearbeiter waren auf dem Höhepunkt des fordistischen Zeitalters im internationalen Vergleich gewiss besser gestellt als heute. Es gibt heute dort Trailerparks von Wanderarbeitern, die von der Hand in den Mund leben. Die Einsperrungsrate ist über die Jahrzehnte beharrlich gewachsen und heute die höchste der Welt. Die Gefängnisindustrie ersetzt den Sozialstaat. Und erinnert sich noch jemand an den massenhaften Ausfall von Hypothekenkrediten und die Foreclosures nach 2008, wodurch viele ihr Heim verloren haben? - Die amerikanische Arbeiterklasse hat durch die kapitalistische Globalisierung wohl nichts gewonnen, ebensowenig wie die deutsche Arbeiterklasse (mit einigen Ausnahmen) vom deutschen Handelsbilanzüberschuss profitiert hat.