US-Handelspolitik: Mehr Unabhängigkeit
Donald Trumps Vulgärkapitalismus hat auch etwas Gutes: Er produziert eine Koalition der Gekniffenen.
D ie Globalisierung hat in den vergangenen Jahrzehnten hunderte Millionen Menschen aus Armut und Hunger geholt. Große Teile vor allem Asiens wurden industrialisiert, viele sich entwickelnde Staaten in globale Lieferketten eingebunden, die westliche Hemisphäre steinreich. Das hat auch zu sklavenähnlichen Arbeitsprozessen, mehr Stress, zur Vertiefung sozialer Ungleichheiten, versiegelter und verseuchter Umwelt und zur Klimakatastrophe geführt. Diese Liste der Schattenseiten ist noch weitaus länger.
Das aktuelle Welthandelsregime ist also keineswegs perfekt. Das heißt aber nicht, dass es durch Chaos und Unsicherheit ersetzt werden sollte. Und genau das will US-Präsident Donald Trump mit seinem stümperhaften Zollhammer, der selbst Inseln bedroht, auf denen nur Pinguine leben. Auch wenn der Präsident dabei rituell auf die US-amerikanische Opferrolle im Außenhandel pocht: Sein Land ist von den zum Teil seit Jahrzehnten geltenden Regeln des Welthandels keineswegs prinzipiell benachteiligt. Die Handelspartner der USA sind trotz des hohen Bilanzdefizits keine „Aasgeier“, jene in Europa auch keine „Schmarotzer“, die sich auf Kosten Amerikas bereichern.
Das Gegenteil stimmt: Die USA sind spätestens seit 1945 die globale politische und ökonomische Führungsnation – und der weltweit größte Nutznießer der Globalisierung. Diese ist mit immer mehr autoritären Staatslenkern von Trump über Xi Jinping und der Gruppe der Brics-Staaten unter anderem mit Wladimir Putin (Russland) und Narendra Modi (Indien) sowie dem rechtslibertären Präsidenten Argentiniens Javier Milei viel komplexer geworden. Anstatt von immer mehr ökonomischer Verflechtung durch immer mehr Handel sprechen ExpertInnen mittlerweile von Fragmentierung: dem Zerfall der Welt in politisch spinnefeinde Handelsblöcke.
Die neue Geoökonomie ist fragil. Handelsnationen wie Deutschland dürfen sich dennoch nicht von Trumps Wrestler-Methoden einschüchtern lassen. Auch wenn Fachleute aus allen politischen Lagern über den aktuellen ökonomischen Sachverstand im Weißen Haus die Nase rümpfen: Wir müssen mit Trumps Vulgärkapitalismus leben. Das heißt: den Dealmaker und uns selbst analysieren – und unabhängiger werden. Zum Beispiel bei Satelliten, bei der Cloud-Infrastruktur, bei künstlicher Intelligenz.
Wir müssen zudem Trumps Schwachstellen identifizieren, darunter die US-Techkonzerne, die in Europa wie im Steuerparadies absahnen und vor Trump buckeln. Das heißt auch: neue Handelspartner suchen. Die Koalitionen der Gekniffenen bergen Chancen. Mexiko leidet bereits unter Trump – und könnte mehr Agrarprodukte in Europa verkaufen. Erst im Januar wurde der europäisch-mexikanische Handelspakt renoviert – und viele Zölle gesenkt. Oder Vietnam, das eben erst seine Zölle für US-Produkte stutzte, nun aber von Trump mit Einfuhrabgaben in Höhe von 46 Prozent knallhart getroffen wurde. Für die EU gelten „nur“ 20 Prozent. Was soll’s?
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