US-Demokraten im Vorwahlkampf: Ungewöhnlich sozial engagiert
Auf einmal streiten sich Demokraten darüber, wer am weitesten links ist. Sanders und Warren sind in Form, Biden scheint ausgedient zu haben.
Es ist die zweite Runde im Vorwahlkampf der Demokraten, der weiterhin ein Gedrängel von mehr als 20 KandidatInnen ist. Themen und Ton sind für US-amerikanische Verhältnisse ungewöhnlich sozial engagiert. Nicht nur von Seiten der ZwischenruferInnen. Der „demokratische Sozialist“ Bernie Sanders, der 2016 noch allein gegen die Milliardäre und gegen die Wall Street wetterte, hat jede Menge NachahmerInnen gefunden. Dieses Mal wetteifern sämtliche 20 demokratischen KandidatInnen darum, so weit links wie möglich zu sein. Doch nur zwei haben umfassende Programme vorgelegt: Sanders und Elizabeth Warren.
Der Senator aus Vermont und die Senatorin aus Massachusetts arbeiten in Washington seit Jahren erfolgreich zusammen. Aber nun konkurrieren sie gegeneinander um die Nominierung. In den Umfragen sind sie gleichstark positioniert – direkt hinter Joe Biden, dem Vize-Präsidenten von Barack Obama. Die Umfragen bescheinigen allen dreien, dass sie eine Wahl gegen Donald Trump gewinnen könnten. Doch während Warrens Popularität steigt und die von Sanders stagniert, schrumpft die von Biden seit seinem lust- und ideenlosen ersten Debattenauftritt.
Am Dienstag bringt der Zufall des Losentscheids der Demokratischen Partei Sanders und Warren gemeinsam auf die Bühne in Detroit. Viele haben einen Zusammenstoß erwartet. Stattdessen spielen sich Sanders und Warren die Bälle zu. Begründen die Notwendigkeit einer staatlichen Krankenversicherung für alle, der Abschaffung von Studiengebühren und der Streichung von privaten Universitätsschulden. Und sie schaffen es, respektvoll miteinander umzugehen.
Die beiden sind die Stars des Abends. Alle anderen arbeiten sich an ihnen ab. Nennen ihre Vorschläge „unrealistisch“ und warnen vor zu weitgehenden Schritten. „Ich bin es leid, Demokraten zu hören, die Angst vor großen Ideen haben“, entgegnet Sanders seinen demokratischen KonkurrentInnen. Warren witzelt: „Ich verstehe nicht, warum jemand die Mühe eines Präsidentschaftswahlkampfes auf sich nimmt, wenn er nur sagen will, was Demokraten nicht tun können“. Ihr Bonmot ist ein Höhepunkt des Abends.
Profilierung durch Kritik an Joe Biden
24 Stunden danach, als die zweite Runde der 20 KandidatInnen in Detroit antritt, duellieren sich Joe Biden und Senatorin Kamala Harris auf der Bühne. Sie waren bereits im Juni aneinander geraten. Damals führte die Senatorin ihren Konkurrenten Biden als einen vor, der bei der Abschaffung der Schulsegregation gebremst hat. Biden reagierte langsam und ohne Überzeugung. Dieses Mal begrüßt der 77-Jährige die Konkurrentin Harris mit den Worten „Go easy on me, kid“.
Dieses Mal schafft es keiner der beiden, sich in der Debatte zu profilieren. Stattdessen hauen sie sich gegenseitig ihre politische Vergangenheit um die Ohren, ohne je neue Ideen in die Debatte zu werfen. Stattdessen können sich die kleineren KandidatInnen ihnen gegenüber profilieren.
Der Texaner Julian Castro, ehemaliger Wohnungsbauminister unter Barack Obama, erneuert seinen Vorschlag, die Grenzüberquerungen ohne Dokumente zu entkriminalisieren, um Familientrennungen, wie Trump sie praktiziert, in Zukunft unmöglich zu machen. „Im Gegensatz zu Dir habe ich aus der Vergangenheit gelernt“, sagt er zu Biden. Der ehemalige Bürgermeister von Newark und Senator Cory Booker konfrontiert Biden mit einem anderen Kapitel seiner Vergangenheit: der Strafjustizreform aus den 90er Jahren, die zahlreiche Leute wegen teilweise gewaltsamer Drogendelikten auf Jahre ins Gefängnis gebracht hat.
Dann fährt die 38-jährige Abgeordnete Tulsi Gabbard aus Hawaii scharfe Kritik an Harris' als Staatsanwältin und Justizministerin in Kalifornien auf. „Sie hat über 1.500 Leute wegen Marihuana-Verstößen hinter Gitter gebracht“, sagt Gabbard, „und sie hat entlastendes Material über einen Mann zurückgehalten, der im Todestrakt saß.“
Letzte Chance
Nach den TV-Debatten in Detroit machen die demokratischen KandidatInnen in den nächsten Wochen Sommerpause und Wahlkampf an der Basis. Der Demokratische Vorwahlkampf wird letztlich erst mit dem Nominierungsparteitag im nächsten Sommer zu Ende gehen. Aber nach dieser Woche wird sich das KandidatInnenfeld lichten. Für mehrere kleine KandidatInnen war Detroit die letzte Gelegenheit, sich zu beweisen. Diejenigen, die das nicht geschafft haben, werden nun ihre GeldgeberInnen verlieren.
Auch das Schicksal von Biden ist offen. Noch ist er der Hoffnungsträger des Demokratischen Parteipparates, der ihn für den besten Kandidaten hält, um WählerInnen aus der politischen Mitte zu gewinnen. Doch je häufiger Biden die Antworten auf Kritik an seiner politischen Vergangenheit schuldig bleibt, desto unsicherer wird seine Zukunft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen