UNTERNEHMER LASSEN PRIVATUNIVERSITÄT WITTEN/HERDECKE HÄNGEN: Der Fehler der Industrie
Eine gemeinnützige Stiftung übernimmt die Alternativuniversität Witten/Herdecke. Was sich wie eine Traumhochzeit anhört, ist in Wahrheit der Abschied vom Wittener Gründungsmythos. Zur Freiheit ermutigen, soziale Verantwortung fördern, nach Wahrheit streben – so heißen die Ziele, mit denen die Universität vor 25 Jahren begann, die deutsche Hochschullandschaft zu bereichern. Auch wenn Witten immer wieder von Gegnern privater Bildungseinrichtungen und von Linken angefeindet wurde: Ihr oberstes Prinzip war nie Profit. Das Geld war nur Mittel zum höheren Zweck.
Bei dem Reha-Konzern, der die Privatuni jetzt zunächst sponsert und bald einsacken wird, ist das anders. Dort ist die Wirtschaftlichkeit das unverrückbare Grundprinzip – für ein Wirtschaftsunternehmen selbstredend essenziell. Nur, die Waren des Heidelberger Unternehmens sind nicht materielle Dinge wie Waschmittel, sondern Gesundheit und Bildung. Das ist komplexer, als es die Profit-Rehabilitierer wahrhaben wollen. Der Zweck „Mensch steht im Vordergrund“ heißt bei ihnen etwa: „innere Bereitschaft zum Dienst am Kunden“.
Aber es wäre falsch, einer Stiftung, die gute Geschäfte machen will, die Verantwortung der Wittener Misere zuzuschieben. Die ist anders begründet, und zwar nicht darin, dass Witten etwa eine schlechte Medizin hätte. Manche sollten das ja nach dem Fallbeilurteil des Wissenschaftsrats vor rund einem Jahr glauben.
Nein, schuld ist die Industrie. Die großen Unternehmer sind es, die die Uni Witten/Herdecke haben hängen lassen. Alle Beteiligten haben das ihre beigesteuert, damit die Uni ihrer Wahrheitssuche unbeeinflusst von Macht, Geld oder Ideologie nachgehen kann: Der Staat hat als Land Nordrhein-Westfalen Geld zugeschossen – gut so. Die Studis geben ihre Gebühren mit hinein – traurig, aber unvermeidbar. Nur die Industriellen machen nicht mit. Sie haben das verweigert, was Witten dringend gebraucht hätte – uneigennütziges Stiftungskapital. Die Spitzen der deutschen Wirtschaft lästern zwar gern über bürokratische staatliche Hochschulen, aber sie helfen nicht dabei mit, dass gute private Universitäten entstehen. Witten ist dabei nur ihr prominentestes Opfer. CHRISTIAN FÜLLER
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