UNION UND FDP WOLLEN, DASS FRAUEN WENIGER VERDIENEN ALS MÄNNER: Zurück in die 50er
Frauen verdienen schlechter als Männer. Gut, das kennt frau. Die offizielle Statistik von gestern konnte niemanden erstaunen: Arbeiterinnen erhalten durchschnittlich 26 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen, bei Angestellten sind es 30 Prozent. Bei gleicher Qualifikation, natürlich. Das ist ungerecht, aber es ist eine Ungerechtigkeit, die nicht mehr aufregt. Schließlich war es im letzten Jahr so und im vorletzten auch. Und außerdem: Gab es in den letzten Jahrzehnten nicht eine leichte Verbesserung? Denn 1957 verdienten die Frauen sogar 45 Prozent weniger als die Männer.
Nichts ist bequemer, als einfach auf den Fortschritt zu vertrauen. Doch das kann für die Frauen nach hinten losgehen. Im Wortsinne: Es ist durchaus denkbar, dass wir uns den Ungerechtigkeiten der Fünfzigerjahre wieder nähern. Zumindest tendenziell. Dies hat mit einem Vorschlag von Union und FDP zu tun, der die Frauenfrage zunächst gar nicht zu berühren scheint: Die beiden Parteien wollen die Bindung der Flächentarifverträge schwächen (Union) oder aufheben (FDP). Chefs und Mitarbeiter sollen in den einzelnen Betrieben ganz autonom die Gehälter aushandeln können.
Das ist ein Gedanke, der nur von Männern stammen kann. Denn die meisten Frauen verhandeln oft schlechter, lassen sich allzu leicht mit Niedriglöhnen abspeisen. Und so ist es gut, dass sie den Kampf um die Löhne an die Gewerkschaften delegieren dürfen.
Dann sollen die Frauen eben dazulernen!, wird sich mancher Mann denken. Warum sind die Frauen auch so weich, so nachgiebig, so wenig strategisch und machtbewusst! Doch diese Anklage beschreibt das Problem nicht richtig: Die Frauen sind durchaus machtbewusst – aber sie sind in einer schlechteren Verhandlungsposition. Nur ein Beispiel: Von einem Mann wird erwartet, dass er um sein Gehalt feilscht; wer es nicht tut, gilt als Schlappschwanz. Fordert eine Frau hingegen hohen Lohn, dann denken sich Chefs und Kollegen: Die überschätzt sich aber. Und solange Frauen nicht frei verhandeln dürfen – solange sollten sie gegen jeden Vorschlag sein, der die Gewerkschaften schwächt. Sonst sind die Frauen bald wieder im letzten Jahrhundert. ULRIKE HERRMANN
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