UN-Sondertribunal zum Hariri-Mord: Als sei nichts gewesen
Das Urteil zum Mord am libanesischen Ex-Regierungschef Hariri wird für die Täter und Strippenzieher dahinter folgenlos bleiben – leider.
E s hat fast etwas Ironisches: Die monströse Explosion im Hafen der libanesischen Hauptstadt Beirut hat aller Welt vor Augen geführt, dass das haarsträubende System von Straflosigkeit, das im Libanon wie in so vielen korruptionsgeplagten Staaten herrscht, ein Ende haben muss. Um ähnliche Katastrophen in Zukunft zu vermeiden, müssen die Verantwortlichen ermittelt, vor Gericht gestellt und der geltenden Rechtslage gemäß bestraft werden.
Doch just am Dienstag, als die Toten gerade erst begraben und die Trümmer noch nicht einmal beseitigt waren, kam ein seit Jahren erwartetes Urteil, das ebenjene Straflosigkeit nicht wirklich beendet, sondern fast noch anfeuert: Zwar wurde einer von vier Angeklagten in dem Prozess um den Mord an dem ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri vor einem UN-Sondertribunal in den Niederlanden schuldig gesprochen. Doch ebenso wie die anderen Angeklagten war er nicht anwesend. Alle vier sind seit Jahren flüchtig.
Folgen wird das Urteil für ihn damit ebenso wenig haben wie für die mutmaßlichen Strippenzieher, die viele in den Reihen der Hisbollah und des mit ihr verbündeten syrischen Regimes sehen. Die Hisbollah erklärte schon am Freitag, bevor das Urteil überhaupt verlesen war, dass sie es nicht anerkennen werde. „Für uns wird es so sein, als wäre es niemals gefällt worden“, brachte Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah es ganz richtig auf den Punkt.
Zwar haben die Ermittlungen Licht ins Dunkel gebracht, wie der Mord geplant und ausgeführt wurde. Am System der Straflosigkeit aber hat das aufwendige und kostspielige UN-Sondertribunal kaum gekratzt. Im Zweifelsfall wird das Urteil in Zukunft niemanden davon abhalten, PolitikerInnen zu ermorden, um politische Ziele durchzusetzen.
Man kann nur hoffen, dass Libanons Protestbewegung den Druck aufrechterhält und tatsächlich einen grundlegenden Wandel einleitet, der auch die Unabhängigkeit des libanesischen Justizsystems sichert. Im Falle der Hafenkatastrophe glaubt derzeit kaum jemand daran, dass sie vollends aufgeklärt wird. Das Hariri-Tribunal ermutigt leider nicht dazu, auch in diesem Fall nach einer internationalen Untersuchung zu rufen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs