UN-Mission in Mali: Vor dem Aus
Im UN-Sicherheitsrat streiten Mali und Frankreich über die UN-Mission MInusma. Die UNO nennt deren Lage „unhaltbar“.
Ein empörter de Rivière erwiderte, dass Frankreich 2013 auf Wunsch von Malis Regierung eingegriffen habe, um eine Machtergreifung durch islamistische Terrorgruppen abzuwenden, und dass 50 französische Soldaten für Mali ihr Leben gelassen hätten. Die Nerven lagen blank.
Eigentlich ging es bei der UNO in New York am Mittwoch um die Zukunft der Minusma, die 2013 auf Initiative Frankreichs entstanden war, um im Windschatten des französischen Kampfeinsatzes die Gebiete zu sichern, aus denen Frankreich Terrorgruppen verjagt hatte und in die Malis Staat noch nicht zurückgekehrt war. Auch Deutschland schickte Soldaten.
Zehn Jahre und fast 200 tote UN-Soldaten später steht die Mission mit aktuell 12.237 Militärangehörigen vor dem Aus, weil Malis Militärregierung sie nicht mehr in der bisherigen Form will – und die UNO auch nicht.
„Immense Herausforderungen“
Minusma, heißt es im am Mittwoch vorgelegten jüngsten Vierteljahresbericht der UNO, erfülle ihr Mandat unter „immensen Herausforderungen“, nämlich „unzureichende Stärke und begrenzte Kapazitäten im Vergleich zum Ausmaß der Bedürfnisse“, sowie „Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit“. Immer wieder verweigerten Malis Behörden der UN-Mission Truppen- und Flugbewegungen. „In diesem Punkt ist die volle Kooperation der malischen Behörden von kritischer Bedeutung.“
Allein in den ersten zwei Monaten des Jahres 2023 seien 297 von 1.231 beantragten Fluggenehmigungen der Minusma verweigert worden, 238 davon für Drohnen und Überwachung und fast alle im Osten des Landes, wo islamistische Terrorgruppen am stärksten sind. Sechsmal hätten UN-Bodentruppen nicht ausrücken dürfen.
Die Grundprobleme allerdings gehen tiefer. Zum einen wurde das Minusma-Mandat im Jahr 2019 ausgeweitet: sie ist nicht mehr nur im Norden des Landes aktiv, den Frankreich 2013 zurückerobert hatte, sondern soll auch im instabilen Zentrum Malis mit seinen ethnisch konfigurierten Landkonflikten Frieden schaffen. Aber das erfolgte „innerhalb bestehender Ressourcen“, so die UNO. Die Mission sei nun „überdehnt“.
Dann verlor die Minusma ihren wichtigsten Schutz: Frankreichs Kampftruppen und Kampfhubschrauber. Weil die Zusammenarbeit mit Malis russlandfreundlicher Militärregierung sich als unmöglich erwies, zog sich Frankreich 2022 zurück. Ohne den französischen Schutzschirm ist Minusma quasi nackt.
Seitdem kehrt ein UN-Kontingent nach dem anderen Mali den Rücken – Deutschland ist nur ein Abzugskandidat von vielen. Von vier Kompanien der in Gao stationierten „Mobile Task Force“ (MTF) der Minusma – eine Spezialeinheit, die anders als Blauhelme aktiv Angreifer bekämpfen soll – sind nach dem Rückzug von Schweden, Großbritannien und zuletzt Jordanien drei „nicht mehr einsatzfähig“, führt der neueste Minusma-Bericht aus.
Am 30. Juni endet das aktuelle Mandat
„Die aktuelle Lage ist nicht haltbar“, bilanzierte im Januar UN-Generalsekretär Antonio Guterres in einem Evaluierungsbericht. „Kein Business as Usual“, wiederholten UN-Diplomaten im Sicherheitsrat am Mittwoch. Das aktuelle Minusma-Mandat läuft noch bis 30. Juni 2023. Eine Verlängerung ohne Veränderung ist unmöglich. Aber was kann sich ändern?
Die Evaluierung vom Januar präsentierte mehrere Optionen. Entweder Minusma reagiert auf den Wegfall Frankreichs und auf die Vergrößerung ihrer Aufgaben, indem sie selbst stärker und kampffähiger wird – mit 3.680 Soldaten mehr, darunter schnellen Eingreiftruppen, oder wenigstens 2.000. Oder sie konsolidiert sich und übergibt einige Basen an Malis Armee.
Die dritte und kontroverseste Idee: Der militärische Teil von Minusma wird eingestellt, es bleibt eine rein politische Mission, die sich auf die Wahlen 2024 konzentriert.
Verbal lehnen alle, auch Mali, diese letzte Option ab. Aber real geht die Tendenz in diese Richtung. Was das bedeutet, ist aber auch klar: eine Verschärfung der inneren Konflikte Malis.
Bereits jetzt ist immer unklarer, ob wirklich im März 2024 Wahlen stattfinden. Ein für 19. März geplantes Referendum über eine neue Verfassung, die dem nächsten Präsidenten sehr weitreichende Vollmachten geben würde – Militärherrscher Assimi Goita soll mit einer Kandidatur liebäugeln – wurde Anfang März auf unbestimmte Zeit verschoben, ein Warnsignal.
Derweil ist im Nordosten Malis, in der Provinz Menaka östlich von Gao, der „Islamische Staat in der Großen Sahara“ (ISGS) auf dem Vormarsch; er soll fast die gesamte Provinz außerhalb der Stadt Menaka kontrollieren. Andere Islamisten erwägen Berichten zufolge nun eine erneute Zusammenarbeit mit ehemaligen Tuareg-Rebellen im Norden des Landes.
Malis Regierung in der Hauptstadt Bamako weit im Süden könnte die Kontrolle über einen Großteil ihres Staatsgebietes bald verlieren. Dann würden sich Debatten über die Zukunft der UN-Mission ohnehin erübrigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht