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UN-Entwicklungskonferenz in SevillaDer Markt soll’s richten

Die Staaten einigen sich auf Zusammenarbeit, um die Entwicklungsziele zu finanzieren. Der Fokus liegt auf der Mobilisierung von privatem Kapital.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron war bei der Konferenz anwesend – Bundeskanzler Friedrich Merz ließ sich nicht blicken Foto: Francisco J. Olmo/EUROPA PRESS/dpa

Sevilla taz | Zu den Entwicklungszielen der UN bekennen sich die Staaten routinemäßig. In Sevilla findet diese Woche nach zehn Jahren wieder eine Konferenz statt, die das „wie“ behandeln soll: die vierte UN-Konferenz für Entwicklungsfinanzierung. Kurz: Es geht um Geld.

Wie kann die Staatengemeinschaft und wie können vor allem ärmere Länder die 17 Entwicklungsziele erreichen, allen voran extreme Armut und Hunger beenden und allen Menschen Zugang zu Gesundheit und Bildung ermöglichen?

Die Weichenstellung dafür haben die Staaten am Montag im Abschlussdokument „Verpflichtungen von Sevilla“ verabschiedet. Darin geht es darum, wie Steuern generiert werden sollen, es geht um die Mobilisierung privater Mittel, öffentliche Entwicklungsgelder, Handel, der Umgang mit Schulden und die Strukturen der globalen Finanzarchitektur – also von wem die Regeln gemacht werden.

„Wir sind hier in Sevilla, um den Kurs zu ändern“, sagte der UN-Generalsekretär António Guterres vor den Staats- und Regierungschefs. Um die UN-Entwicklungsziele zu erreichen, brauche es jährlich 4 Billionen US-Dollar. „Wir müssen die Steuersysteme stärken, illegale Finanzströme und Steuerhinterziehung bekämpfen.“

Guterres forderte mehr private Investitionen und Kredite von Entwicklungsbanken. Die Industrieländer forderte der UN-Chef auf, Entwicklungshilfen zu verdoppeln.

Bundesentwicklungsministerin: „kraftvoller Schub“

Auch die Spitzen von Weltbank, Internationalem Währungsfonds (IWF) und der Welthandelsorganisation sowie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprachen zur Eröffnung der Konferenz. Sie werteten die Einigung als Bekenntnis zu den Entwicklungszielen und Multilateralismus.

Mehr als 15.000 Teilnehmende und etwa 60 Staats- und Regierungschefs sind angereist, darunter etwa der französische Präsident Emmanuel Macron. Bundeskanzler Friedrich Merz kam nicht. Die USA hatten sich schon im Vorfeld von dem Prozess verabschiedet und angekündigt, keine Delegation nach Sevilla zu schicken.

Deutschland wird von Bundesentwicklungsministerin Reem Alabali Radovan (SPD) repräsentiert. Sie nannte die Einigung einen „kraftvollen Schub für eine gerechtere Welt“. Sie stelle einen „ausbalancierten Kompromiss“ dar. Darin bekennt sich Deutschland zusammen mit den anderen Industriestaaten auch zu dem Ziel, 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung in öffentliche Entwicklungsausgaben zu investieren.

USA, aber auch Deutschland reißen Milliarden-Loch

Vorige Woche hat das Kabinett einen Haushalt mit fast einer Milliarde weniger Geld im Etat des zuständigen Ministeriums beschlossen. 2024 hat Deutschland das 0,7-Prozent-Ziel durch die Kürzungen der Ampel-Regierung bereits verfehlt.

Über der Konferenz hängt zudem ein Milliarden-Loch, das die USA mit ihrem Rückzug aus der Entwicklungshilfe reißt. Und nicht nur die USA und Deutschland – beinahe alle Industriestaaten kürzen bei den öffentlichen Geldern. Das hat schon jetzt drastische Folgen für UN-Organisationen und NGOs. Jahrzehntelang aufgebaute Strukturen zur medizinischen Versorgung etwa brechen gerade weg.

Doch ebenso wie die Zusage, ihre Entwicklungsetats zu erhöhen, dürften auch die strukturellen Forderungen im Dokument schwer werden ohne die USA – und mit wenig Interesse von der EU und anderen Industriestaaten. Diese Konfliktlinien zeigten sich bereits während der Verhandlung der „Sevilla Verpflichtung“, die über ein Jahr lang in New York ausgehandelt wurde.

Das Thema Schulden dominierte die Vorverhandlungen. Einig sind sich alle darin, dass der Schuldendienst in vielen Ländern Ressourcen bindet, die für die Entwicklungsziele benötigt werden, und zu Rückschritten führt.

Industriestaaten lehnen Verfahren für Staatsinsolvenzen ab

Die Gruppe der Afrikanischen Staaten und der asiatischen Inselstaaten (AOSIS) plädierten für einen rechtlichen Rahmen, der in der UN diskutiert werden soll, um Staatsinsolvenzverfahren einzuleiten.

Für Unternehmen und Privatpersonen gibt es das in den meisten Staaten, hier ist durch das Insolvenzrecht geregelt, wie sie aus ihren Schulden wieder herauskommen, die Entschuldung überstehen und nicht wieder in Schulden geraten. Die USA, EU und auch Deutschland lehnen das als Parallelstruktur für Staaten jedoch ab.

Die EU und Deutschland haben allerdings auch eine Kehrtwende beim Thema Steuern gemacht: Regeln etwa zu Transparenz, der Besteuerung von Digitalkonzernen oder von Überreichen sollen in der UN ausgehandelt werden. Mittlerweile unterstützen die EU und Deutschland den Prozess.

Allerdings bleibt abzuwarten, wie konkret es am Ende wird. Zwar sind Verhandlungen in der UN mit allen Staaten demokratischer, aber bekanntlich auch langwierig, bürokratisch und nicht bindend.

Konferenz noch nicht vorbei

Viel Fokus liegt in Sevilla denn auch auf der Mobilisierung von privatem Kapital. Die Weltbank soll ihre Kreditausgaben damit verdreifachen, indem sie etwa Garantien für private Investitionen gibt. Und auch viele reichere Staaten arbeiten mit solchen Garantien.

In der Sevilla-Aktionsplattform sollen Staaten konkrete Initiativen angeben. Deutschland bietet die Initiative Scaled an: eine gemeinsame Plattform mit Versicherern, die auf der Nachhaltigkeitskonferenz in Hamburg entwickelt wurde.

Die Formalitäten der UN-Konferenz wurden im Abschlussdokument und Fototerminen bereits am Montag abgehandelt. Einige Regierungschefs saßen dann Montagabend auch schon wieder im Flieger, wie auch Entwicklungsministerin Alabali Radovan. Die deutsche Delegation führt nun Staatssekretärin Bärbel Köfler.

In den Folgetagen wird es um technische Details gehen, um gemeinsame Initiativen. Denn die Einigung von Sevilla ist für Staaten wie auch internationale Finanzorganisationen nicht bindend, es wird weiter darum gehen, „Koalitionen der Willigen“ zu finden, wie es im UN-Jargon heißt, um die Entwicklungsziele zu finanzieren.

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