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UN-Bericht über DiskriminierungDeutschland auf halber Strecke

Deutschlands Politik gegen Diskriminierung lasse viele Formen des Rassismus außer acht, kritisiert ein neuer Bericht des UN-Sonderberichterstatters.

Zu enger Rassismusbegriff: Der UNO-Sonderberichterstatter kritisiert Deutschland. Bild: dpa

Der Rassismusbegriff, den Bund, Länder und Kommunen in Deutschland ihrem Handeln zugrunde legen, ist zu eng auf rechtsextremistische oder neonazistische Gewalttaten begrenzt. Viele andere Formen und Opfer von Rassismus bleiben daher unberücksichtigt. Das sagt der "UNO-Sonderberichterstatter über Rassismus, rassische Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit verbundene Intoleranz", Githu Muigai, in einem Bericht zur Lage in Deutschland, der am Mittwoch im UNO-Menschenrechtsrat in Genf diskutiert wurde.

Muigai hatte Deutschland im Juni 2009 besucht. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, verteidigte die in Deutschland vorherrschende enge Definition und Praxis vor dem Menschenrechtsrat in Genf mit Verweis auf die deutsche Geschichte. Die Anmerkungen Muigais seien zwar "wichtig", aber es sei "auch wichtig, die besondere Geschichte meines Landes zu berücksichtigen" - was Muigai in seinem Bericht durchaus tut. Löning widersprach zudem der Kritik des UNO-Sonderberichterstatters an den negativen Auswirkungen des dreigliedrigen Schulsystems für Menschen mit Migrationshintergrund sowie am Umgang mit religiösen Symbolen.

Der UNO-Sonderberichterstatter betont in seinem Bericht, dass Angehörige von Minderheiten in Deutschland in vielen Lebensbereichen rassistische Diskriminierung erfahren. Anstrengungen gegen Rassismus verlangten daher "umfassende Strategien".

Ausdrückliche Unterstützung für seine Kritik am verengten Rassismusverständnis erhielt Muigai vom Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin. "Der UN-Berichterstatter sieht es zu Recht als grundlegendes Problem an, dass Rassismus in Deutschland oft mit rechtsextremer Ideologie und Gewalt gleichgesetzt und dadurch zu eng verstanden wird", schreibt Institutsdirektorin Beate Rudolf in einer Erklärung zum Bericht.

Rassismus, sagt Rudolf, gebe es "auch in der Mitte der Gesellschaft". Er zeichne sich "dadurch aus, dass Menschen pauschal bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden". Rudolf erinnert daran, dass diese enge Sicht in den letzten zwei Jahren bereits von der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz sowie vom UN-Ausschuss gegen Rassismus kritisiert worden ist.

Muigais Bericht enthält eine Reihe konkreter Empfehlungen, um rassistischer Diskriminierung im Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt und im Wohnungssektor entgegenzuwirken. Unter anderem empfiehlt er die Streichung einer Klausel im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, welche bislang rassistische Diskriminierung Wohnungssuchender mit Migrationshintergrund ermöglicht.

Unter Berufung auf seine Gespräche mit deutschen Bildungsexperten sowie auf diverse Pisa-Studien kritisiert Muigai, dass das dreigliedrige Schulsystem in Deutschland zu einer Benachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund führt. Dieselbe Kritik, verbunden mit der Empfehlung zur Veränderung dieses Schulsystems, hatte 2006 bereits der UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung, Vernor Muñoz, formuliert. "Schon damals ich mich über diese Kritik geärgert", erklärte Menschenrechtsbeauftragter Löning am Mittwoch, räumte dann aber ein, Kritik von internationaler Seite könne durchaus wichtige Anstöße für die Diskussion in Deutschland liefern.

In seinem Bericht empfiehlt Muigai "die Überprüfung von Gesetzen einiger Bundesländer, die Lehrerinnen an öffentlichen Schulen das Tragen von religiösen Symbolen untersagen und daher diskriminierend für muslimische Frauen sein könnten".

Löning erklärte dieses Problem für erledigt unter Verweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das gesetzliche Verbote des Tragens von religiösen Symbolen erlaubt, solange dabei alle Religionen gleichbehandelt werden.

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14 Kommentare

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  • F
    FUCKUP23!

    abbgesehen von diskriminuerung von "ausländern" finde ich dass ein grundbewusstsein dafür fehlt, was diskrimierung überhaupt bedeutet.

    viele jugendliche, so wie ich sie kenne, bin ich mir sicher, verstehen unter diskriminerung tatsächlich nur darunter den "ausländer" wegen seiner herkunft oder religion nicht zu verurteilen etc.

    abgesehen davon findet aber diskriminierung in ganz unterschiedlichen formen statt, wo es mit vorurteilen vorraus zur verletzung von menschenrechten führt.

    das habe ich am eigenen leibe erlebt.

     

    was mir zu lehrämtern einfällt in bezug eines verbotes von "religiösen symbolen" ist, dass das für muslemische frauen gar nicht so einfach ist, wegen einem lehramt mal eben das kopftuch abzulegen. das hängt natürlich auch davon ab, wie streng der glauben gelebt wird.

    aber wir haben auf jeden fall eine allgemeine religionsfreiheit und die beinhaltet nun mal auch eine symbolik, die für die jeweiligen religionen steht. ich empfinde solch ein verbot eher als beschneidung der religionsfreiheit, als ein durchsetzen von demokratischen grundstellungen.

    dort fängt schon die diskrimierung an, dass alle gleich sein müssen aber wenn nun moslem oder christ etc. anders "wirkt", in einem lehramt zu beispiel, dann soll das nicht vereinbar sein.

  • I
    ich

    mit verlaub, aber wie kann denn bitte die deutsche vergangenheit einen zu engen rassismusbegriff rechtfertigen? was ist das denn für eine ausrede? gerade wegen der deutschen vergangenheit dürfte das hier nicht passieren!

     

    @ all diejenigen, die hier was von "mehr anstrengen wenn man neu irgendwohin kommt" und "mehr förderung für migrantenkinder statt niveauabsenkung" schreiben:

     

    die diskiminierung besteht nicht darin, dass migrantenkinder mehr lernen müssen, weil sie irgendwo neu hinkommen oder ähnliches, auch ist das bemängelte problem nicht in einer allgemeinen absenkung des niveaus oder ähnlichem zu suchen, sondern liegt darin, dass schülerInnen aufgrund von vorurteilen über ihre herkunft anders eingestuft & bewertet werden als andere.

  • P
    Peter

    Ist es nicht auch reverse Rassismus wenn man die Anforderungen immer mehr senkt und somit der autochtonen Bevölkerung damit schadet?

     

    Wir dürfen nicht aufhören hohe Anforderungen zu stellen sonst behält dieser Rechtspopulist Sarrazin recht und wir werden wirklich dümmer.

  • RD
    Rainer David W. Früh

    @ Felix Nagel

    Nun, aus meiner Sicht gibt es in der Tat Länder (da fallen mir so 40 bis 50 ein, wo es mit dem eigenen Rassismus, der Demokratiefeindlichkeit und Intoleranz wesentlich mehr Probleme gibt als bei UNS.

    Schon mal mit einem Kreuz um den Hals durch Riad gelaufen?

  • W
    WaltaKa

    Diskriminierung von Migranten hat erstmal nichts mit einer irgendwie gearteten Gliedrigkeit des Schulsystems zu tun. Das ist einfach dermaßen kurz gedacht.

    Wenn Migrantenkinder (auch hier geborene!)ohne jegliche Kenntnisse der deutschen Sprache eingeschult werden, fällt es ihnen natürlich schwer, dem Unterricht zu folgen, fällt es den Lehrkräften schwer, gezielt zu unterrichten. Dies ist ja mit ein Grund für das Absinken des Niveaus an den Grund- und Hauptschulen und deren Abwertung. Auch wenn dies manche als rassistisch zensieren.

    Die Tatsache verleugnen löst jedoch nicht das Problem. D.h. Abschaffung der Hauptschulen und Installierung von Gesamtschulen ändert nichts an der zu Grunde liegenden Problematik.

    Ich warte auf den Moment, an dem zu diesem Thema auch einmal die Verantwortung der entsprechenden Eltern für die Integration ihrer Kinder (und ihrer eigenen Integration) benannt wird.

    So lange dazu von UN- oder staatlicher Seite geschwiegen wird, zeigen irgendwelche Berichte nur einen kleinen Teil der Wahrheit.

    Diskriminierung in Schulen ist allerdings durchaus Thema (wie in der ganzen Gesellschaft) und zwar unabhängig von der Frage der Schulform oder des ethnischen Hintergrundes. Kinder aus armen Familien (Bildungsfern oder sozial schwach nennen es die Politiker in Verschleierungs-Sprech gerne)haben manchmal Eltern, denen die Wichtigkeit eines (guten) Schulabschlusses nicht mehr bewußt ist. Werden von den Lehrern weniger gefördert, werden von manchen(!) Lehrkräften kritischer und schlechter beurteilt, haben kein Geld für Nachhilfe usw., bleiben damit in den Klassen mit hohem Migrantenanteil (s.o., die Sprache) und haben damit weniger Chancen auf (höhere) Schulabschlüsse und gute Berufsausbildung. Was natürlich auf die Migrantenkinder ebenfalls zutrifft, womit sich der Kreis schließt.

    Nun kann sich jeder ausmalen, wie sich die aktuelle Streichung der 300,-€ Elterngeld bei den Ärmsten in dieser Gesellschaft auswirkt.

    Während die Millionärsgattin weiterhin die 300,-€ Elterngeld bekommt.

    Um zunehmende soziale Ungleichheit geht es hier.

    Um Armut. Ganz banale materielle Verarmung, die auch zur seelischen führt.

    Es fehlt mir eine Analyse der Folgen der Agenda 2010-Politik von SPD/Grünen. Massenarmut und die 'Tafeln' z.B. sind seither Thema. Die aktuelle Regierung führt diese Politik lediglich fort.

    Solange hierzu geschwiegen wird, ist alles andere ein Placebo.

    Ginge es um die Höhe der eingesetzten EUROs wäre D vermutlich längst Bildungsweltmeister. Im Sinne einer wirklich guten Allgemein- und Schul- und Berufsbildung. Noch mehr Milliarden im Schulsystem ändern jedoch ohne eine ehrliche Ursachenanalyse gar nichts und verpuffen wirkungslos. Im Gegenteil verlassen immer mehr junge Menschen mit einem schlechten oder gar keinem Schulabschluß die Schulen und sind, richtig, arbeitslos.

    Sind auch nicht 'Ausbildungsfähig'(=Arbeitgeber-Sprech). Das deutsche Handwerk will nun deshalb sogar potentielle Azubis aus Osteuropa importieren.

    Welch Armutszeugnis für dieses Land und die herrschende Politclique.

  • H
    HamburgerX

    Githu Muigai ist Anwalt und hat natürlich ein indirektes Eigeninteresse. Das sogenannte Antidiskriminierungsgesetz hat zu einem Schwall von Klagen geführt, wie zuletzt in den Medien zitiert, mit teils völlig absurde Fällen.

     

    Dieses unsägliche, bevormundende und in meinen Augen letztlich verfassungswidrige Gesetz (selbst der normaler Bürger wird z.B. bei Inseraten prinzipiell mit Geldstrafe und Beweislastumkehr bedroht) soll also noch ausgeweitet werden.

     

    Ein perfekte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Anwälte.

     

    Meine Meinung: Es muss endlich Schluss sein mit der Einschränkung von Grundrechten wie der Vertrags- und Handlungsfreiheit!

  • A
    Andi

    Dies ist nicht der erste Bericht einer unabhängigen Kommussion, die Deutschland diesbezüglich kritisiert und wird nicht die letzte sein.

    Wir lesen immer, was die hiesige Medienlandschaft, insbesondere Springerpresse, schreibt, aber lesen Sie mal was das Ausland seit Jahren über uns schrieb.

    Die menschen haben die Nazizeit schon längst vergessen und abgehackt, aber Sie haben

    Hoyerswerda, Rostock, Solingen, Adriano, NoGoAreas,....nicht vergessen und nicht abgehackt.

  • S
    Schulsystem

    Ich möchte nur daran erinnern, dass wir mit diesem schlechten Bildungssystem auch eine Menge Großes geleistet haben

    z.B. einen Haufen Nobelpreise in Physik und Chemie (=kein laberlaber wie beim Literaturnobelpreis),

    dass wir mit zu den innovativsten Kräften auf der Welt gehören, Patentweltmeister sind wir ohnehin fast jedes Jahr, und das einige Migrantengruppen sehr erfolgreich in Deutschland sind, wenn sie auch nicht muslimischen Glaubens sein mögen.

  • KB
    karin bryant

    Wenn man bedenkt wie sehr das Lernniveau gesenkt wurde um Migranten Kindern den Schulbesuch zu erleichtern sollten deutsche Familien mal ueber Diskriminierung nachdenken..... Es waere besser fuer alle gewesen wenn man von Kindern mit Migranten Hintergrund mehr fordert anstatt das Niveau zu senken.

  • M
    Migretrant

    Das fängt schon im Kleinen an, dass man z.B. in Bayern willkürlich auf dem Hauptbahnhof in München herausgegriffen wird von Zivilbeamten der Bundespolizei (vormaliger BGS) und dort einer Personenkontrolle unterzogen wird. Mir neulich passiert. Auf meine Frage, warum aus 100ern von Reisenden gerade ich, gab man unumwunden zu, dass ein wesentliches Kriterium südländisches Aussehen sei. Das ist Alltagsrassismus in Deutschland, der vielen "typisch deutsch" aussehenden Menschen nie passiert.

    Im Großen und Ganzen muss man allerdings zugeben, dass man als Ausländer doch ganz leidlich leben kann in Deutschland, wenn man ehrlich ist und es mit anderen Ländern oder auch Kontinenten vergleicht.

     

    Außerdem muss man gerade im Bildungsbereich halt einsehen, dass es immer so war (zu allen Zeiten): wenn ich neu irgendwo dazu gekommen bin, muss ich mich einfach mehr anstrengen als die alteingesessenen Leute. Das ist nichts deutschlandspezifisches, sondern ein Phänomen weltweit.

     

    Daher, immer Augenmaß bewahren, bevor man Deutschland wieder an den Pranger stellt.

  • RD
    Rainer David W. Früh

    Naja, ich denke, da gäbe es in der Tat jede Menge anderer Länder (auf Anhieb würden mir 40 bis 50 einfallen), die noch deutlich vor UNS kritisch beleuchtet werden könnten.

    Schon mal mit nem Kreuz um den Hals durch Riad gelaufen?

  • D
    denninger

    Das Schulsystem ist also "rassistisch" und "diskriminierend", weil es nicht in erster Linie auf die Belange der Migrantenkinder ausgerichtet ist?

    Gerade mit solchen "Berichten" wird die wirkliche Diskriminierung der Lächerlichkeit preisgegeben.

  • P
    Peter

    Kommt mal nach Dresden, Hauptstadt des schönen Sachsen, hier kann man in der Ausländerbehörde hervorragend studieren, wie das "3.Reich" gewirkt und gearbeitet hat, die Mitarbeiter verhelfen einem durch konsequent übernommene Denk - und Sprachweisen zu einem aufregend beunruhigenden Trip in eine scheinbar längst vergangene Zeit. (HIERHER sollten die mal einen UN-Beobachter schicken!)

  • FN
    Felix Nagel

    Jaja, da ärgert er sich, der Herr Löning, und denkt bei sich: "Was fällt diesen ganzen Ausländern ein UNS zu kritisieren".