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„Tuta“ könnte Tudjman kompromittieren

Das Haager Kriegsverbrechertribunal fordert von Kroatien die Auslieferung von Mladen Naletilic. Kroatiens Präsident Tudjman könnte dadurch selbst in den Sog der Ermittlungen geraten    ■ Von Erich Rathfelder

Sarajevo (taz) – Das UN-Tribunal in Den Haag geht jetzt erneut gegen Kroatien vor. Das Kriegsverbrechertribunal fordert die Auslieferung von Mladen Naletilic, genannt „Tuta“, der seit zwei Jahren in einem kroatischen Gefängnis sitzt. Ihm werden vom Tribunal in Den Haag Kriegsverbrechen im Raum Mostar während des Krieges in Bosnien 1993 – 94 vorgeworfen.

Wird Tuta nicht ausgeliefert, droht Kroatien ähnlich wie der Bundesrepublik Jugoslawien ein vom Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen ausgesprochenes Wirtschaftsembargo. Über die Auslieferung Tutas sollte gestern abend vor einem Bezirksgericht in Zagreb entschieden werden.

Der Sicherheitsrat fordert nicht nur die Auslieferung Tutas, sondern auch Unterlagen über die Aktion „Sturmwind“ 1995, als die kroatische Armee die serbischen Streitkräfte aus Kroatien drängte. Im Zuge dieser Offensive soll es zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gekommen sein. Ebenso werden Unterlagen über die Offensive der Kroaten im April 1995 in Westslawonien verlangt.

Der Sprecher des Kriegsverbrechertribunals, Paul Risley, mochte gestern nicht ausschließen, dass vom Tribunal und vom Weltsicherheitsrat sogar Unterlagen über die Vorgänge in der damals von Serben eingeschlossenen und zerstörten Stadt Vukovar 1991 verlangt werden.

All diese Forderungen deuten darauf hin, dass in Den Haag sogar Ermittlungen gegen den Präsidenten Kroatiens, Franjo Tudjman, angelaufen sind. Ein Prozess gegen Mladen Naletilic könnte Aufschlüsse über die damalige Kommandostruktur geben. Tuta wird vorgeworfen, mit seinen von ihm befehligten Freischärlertruppen Kriegsverbrechen an der muslimischen Bevölkerung im Raum Mostar begangen zu haben. Weiterhin waren Tuta und der Polizeikommandeur Martinovic, genannt Stela, an dem Mord an der Führung der konkurrierenden kroatischen Freiwilligenarmee, HOS, beteiligt. Der Tuta und Stela zur Last gelegte Mord an deren Kommandanten, Blas Kraljevic, im August 1992 beseitigte ein lästiges Hindernis für die Politik Tudjmans.

Tudjman ließ schon seit dem Frühjahr 1991 erkennen, dass er auf eine Aufteilung Bosnien-Herzegowinas zwischen Kroatien und Serbien hinarbeitete. Die HOS dagegen strebte ein Bündnis von Kroaten und Muslimen an. Während geheimer Verhandlungen im März 1991 sollen Tudjman und der damalige serbische Präsident Miloševic über die Aufteilung Bosniens einig geworden sein.

Bisher hat es die kroatische Führung verstanden, die Auslieferung Tutas an Den Haag zu verhindern, Stela jedoch wurde vor zwei Wochen dorthin überstellt. Im Frühsommer 1997 wurden Tuta wie auch Stela von der kroatischen Polizei verhaftet. Ihnen werden in Kroatien einige Delikte vorgeworfen, die mit ihrer Funktion in der kriminellen Unterwelt in Mostar seit 1994 zu tun haben, nicht jedoch mit den vorausgegangenen Kriegsverbrechen. Das Gerichtsverfahren in Den Haag könnte für die kroatische Führung und vor allem für Franjo Tudjman unangenehme Fakten ans Tageslicht bringen. Kroatische Kritiker wie der Politiker Stipe Mesic, der ehemalige Präsidentschaftskandidat Dobrislav Paraga und andere werfen Tudjman schon seit langem vor, für den Krieg in Bosnien Verantwortung zu tragen. Beide wurden in Den Haag als Zeugen gehört.

Das Bezirksgericht in Zagreb musste gestern eine wichtige Entscheidung treffen. Denn Tuta könnte in Kroatien gegen ein vorausgegangenes Urteil einer unteren Instanz in die Berufung gehen. Würde der Prozess gegen Tuta vor dem Obersten Gericht in Kroatien wieder aufgerollt, dann könnte die Auslieferung des vom Haager Tribunal gesuchten Kriegsverbrechers zumindest um drei Monate verzögert werden. Grundsätzlich verhindert werden kann die Auslieferung aber wohl nicht mehr.

Dass die Ermittler in Den Haag an den geheimen Verhandlungen zwischen Tudjman und Miloševic interessiert sind, wird mit der Anforderung der Unterlagen über Vukovar unterstrichen. Kritiker aus Kroatien hatten Tudjman schon kurz nach dem Fall der Stadt im Oktober/November 1991 eines Zusammenspiels mit Miloševic verdächtigt.

Kroatische Journalisten erinnerten in den letzten Tagen daran, dass damals Waffen für Vukovar von der Tudjman-Regierung zurückgehalten worden sind.

Auch im Falle der Stadt Bosanski Brod, aus der 1992 die kroatischen Truppen zurückgezogen wurden, soll es nach kroatischen Quellen zu Absprachen zwischen Tudjman und Miloševic gekommen sein. Der bosnische Krieg sei ein serbisch-kroatischer Aufteilungskrieg gewesen, Tudjman trage wie Miloševic Verantwortung für die Kriegsverbrechen, erklärte vor wenigen Tagen auch Haris Silajdžic, der ehemalige bosnische Premierminister.

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