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Tunesien nach den WahlenEin fragiler sozialer Frieden

Mirco Keilberth
Kommentar von Mirco Keilberth

Die moderaten Islamisten der ­Ennahda-Partei sind als stärkste Kraft aus den Wahlen hervorgegangen. Das Problem: Das Land ist tief gespalten.

UnterstützerInnen des Präsidentschaftskandidaten Karoui feiern am Mittwoch dessen Haftentlassung Foto: dpa

A us der Parlamentswahl vom vergangenen Sonntag sind die moderaten Islamisten der ­Ennahda-Partei trotz großer Verluste wie erwartet als stärkste Kraft hervorgegangen. Doch Tunesiens einzige straff organisierte politische Partei wird sich mit 52 von 217 Sitzen wohl mehr als ein Dutzend Bündnispartner suchen müssen. Mit der zweitplatzierten, brandneuen Partei Herz Tunesiens (Qalb ­Tunes) des gerade aus dem Gefängnis entlassenen Medienmoguls Nabil Karoui hätte Tunesien eine stabile Mehrheitsregierung, um die verschleppten Wirtschaftsreformen anzugehen.

Doch im Vorzeigeland des Arabischen Frühlings ist die gesellschaftliche Bruchlinie zwischen säkularen und religiösen Kräften oft stärker als gesunde politische Konkurrenz. Bürgertum und Zivilgesellschaft lehnen die religiösen Wertvorstellungen Ennahdas ab. Das große und nötige Projekt eines neuen Gesellschaftsvertrags liegt erst einmal auf Eis.

Zwar hat Ennahdas Parteichef Ghannouchi offiziell den Abschied vom politischen Islam durchgedrückt, wird nun aber mit zahlreichen unabhängigen Abgeordneten und den radikalen Salafisten der Karama-Partei koalieren müssen. Eine erneute gesellschaftliche Spaltung ist angesichts der Lage in Algerien und Libyen brandgefährlich.

Die Wähler haben der politische Klasse klar einen Denkzettel verpasst. Demokratie kann man nicht essen: Der Mindestlohn liegt in Tunesien bei 150 Euro im Monat, vielen mangelt es an Nahrung. Die finanzielle Isolationspolitik, die in jede Lebenslage eingesickerte Korruption und die extreme soziale Ungerechtigkeit sind schlimmer als zuvor. Ohne die für den Schmuggel offenen Grenzen nach Algerien und Libyen hätte es wohl längst einen zweiten Aufstand gegeben.

Das politische Erdbeben in gut organisierten Wahlen zu kanalisieren, ist eine Chance. Zwei politische Außenseiter stehen am Sonntag zur Stichwahl der Präsidentschaft. Jetzt können Ennahda und Qalb Tunes beweisen, dass auch sie im Namen des sozialen Friedens ideologische Grenzen hinter sich lassen können – wie die Wähler.

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Mirco Keilberth
Auslandskorrespondent Tunis
Mirco Keilberth berichtet seit 2011 von den Umstürzen und den folgenden Übergangsprozessen in Nordafrika. Bis 2014 bereiste er von Tripolis aus Libyen. Zur Zeit lebt er in Tunis. Für den Arte Film "Flucht nach Europa" wurde er zusammen mit Kollegen für den Grimme Preis nominiert. Neben seiner journalistischen Arbeit organisiert der Kulturwissenschaftler aus Hamburg Fotoausstellungen zu dem Thema Migration. Im Rahmen von Konzerten und Diskussionsveranstaltungen vernetzt seine Initiative "Breaking the Ice" Künstler aus der Region, zuletzt in Kooperation mit der Boell-Stiftung im Rahmen des Black Box Libya Projektes.
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3 Kommentare

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  • Ennahda hat die Wahl nicht gewonnen.



    Mit 23%. auch aus den vielen anderen Parteien könnte ein Bündnis entstehen.



    Ennahda ist deshalb moderat islamistisch, weil sie



    a) Religion und Politik verbinden, mit religiösen Werten Politik gestalten wollen,



    b) aber eine sekulare Konstellation beibehalten wollen und nicht das politische System der Religion unterordnen oder allen ihre Linie aufzwingen wollen.



    In Tunesien machen auch Schwule Urlaub.

  • Danke für das moderat. Tunesien braucht Investitionen und das Kapital steht sehr unter Druck, Stichwort Negativzinsen. Solange die CDU reagiert und die Konservativen das sagen haben, könnten sie sich ja für ihre Monotheistisch-Abrahamitischen Glaubensgenossen im Süden ein wenig engagieren und den Druck ein wenig rausnehmen



    www.youtube.com/watch?v=4t7EHqP2_v8

  • Moderate Islamisten, da werden dann Schwule nur hingerichtet und nicht vorher gefoltert? Gibt's auch moderate Nazis?