Tuncay Özdamar einen Tag in U-Haft: WDR-Journalist in Türkei verhaftet
Die Staatsanwaltschaft warf Tuncay Özdamar einen Verstoß gegen das Antiterrorgesetz vor, inzwischen ist er wieder frei – doch nicht ohne Sorge.
Der WDR-Redakteur Tuncay Özdamar (56) wurde am Flughafen in Ankara kurzzeitig festgenommen. Gegen ihn lag ein Haftbefehl wegen des Verstoßes gegen das Antiterrorgesetz vor.
Er musste eine Nacht in U-Haft verbringen, nachdem Haftprüfungstermin konnte er das Gefängnis aber wieder verlassen. Ihm wird vorgeworfen, auf Twitter „eine Person zur Zielscheibe gemacht zu haben, die in der Terrorbekämpfung aktiv ist“. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn ist wohl das Ergebnis schlampiger Ermittlungen und einer Verwechselung.
Ein politisch motiviertes Verfahren ist aber nicht ganz ausgeschlossen, denn Tuncay Özdamar ist seit vier Jahren Leiter der türkischen Redaktion von „Cosmo“ und setzt sich in dieser Funktion auch kritisch mit der Politik der Türkei auseinander. Er ist seit 20 Jahren ausschließlich deutscher Staatsbürger.
Der Vorfall in Ankara fand bereits Ende September statt. Eine Woche nach seiner vorübergehenden Festnahme reiste Özdamar wieder aus der Türkei nach Deutschland aus. Der WDR hat die Festnahme und das Ermittlungsverfahren gegen seinen Redakteur aber erst jetzt publik gemacht, weil zunächst abgewogen werden musste, ob Özdamar oder seine in der Türkei lebenden Angehörigen dadurch gefährdet werden könnten.
Özdamar möchte nach der Aufhebung des Haftbefehls nun auch die Einstellung des Ermittlungsverfahrens erreichen und hat deshalb in der Türkei den Presseanwalt Veysel Ok mit seiner Vertretung beauftragt. Aufgrund der von Ok vorgenommenen Akteneinsicht, lässt sich der Hintergrund der Festnahme und des Ermittlungserfahrens einigermaßen rekonstruieren.
Angst vor Rückreise in Türkei
Anlass sind zwei Tweets von Özdamar vom 9. September 2018, in denen er von personellen Veränderungen bei der türkischen Oppositionszeitung Cumhuriyet berichtete. Damals wurde vom Vorstand von Cumhuriyet ein neuer Chefredakteur ernannt, dem ein Teil der Redaktion eine Nähe zur Erdoğan-Regierung vorwarf, weshalb mehrere Journalisten das Blatt verließen.
Özdamar berichtete darüber und listete auch die Namen der Journalisten auf, die Cumhuriyet aus Protest verließen. Im März 2022, fast vier Jahre später, wurde laut Akten ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet, weil er einen Richter Namens Murat Erten zur Zielscheibe gemacht haben soll.
Das basiert auf einer Internetrecherche der Polizei, die bei Twitter nach Erwähnung des Namens von Murat Erten nach diesem gesucht hat. Özdamer hat ihn zwar nie erwähnt und auch nie mit ihm zu tun gehabt, doch in der Namensreihe der protestierenden Cumhuriyet-Journalisten tauchen die Namen Murat Sabuncu und zehn Namen später Bagis Erten auf.
Der Anwalt vermutet, dass das System die Namen Murat und Erten daraus zusammengesetzt hat. Obwohl der Haftbefehl gegen Özdamar aufgehoben wurde, befürchtet der Journalist so lange nicht mehr in die Türkei reisen zu können, bis das Ermittlungsverfahren gegen ihn nicht eingestellt wurde.
Schließlich sitzen in der Türkei rund 120 deutsche Staatsbürger fest, die wegen laufender Ermittlungsverfahren nicht ausreisen dürfen. Das Auswärtige Amt warnt seit Längerem davor, keine kritischen Tweets über die Türkei zu posten, wenn man in das Land fahren will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei