Türkischer Journalist über Pressefreiheit: „Kein Richter wagt den Freispruch“

Erdoğans Lieblingsfeind soll sechs Jahre in Haft: „Cumhuriyet“-Chef Can Dündar über sein Verhältnis zum Präsidenten und die Angst seiner Kollegen.

Can Dündar und seine Frau laufen vor Autos

Fühlt sich wegen des Polizeischutzes fast wie Erdogan: Journalist Can Dündar mit seiner Frau Dilek Foto: reuters

Das Haus der oppositionellen Zeitung „Cumhuriyet“ liegt mitten im Istanbuler Geschäftsviertel auf der europäischen Seite der Stadt. Das Gebäude ist komplett umzäunt. Hinter dem Zaun warten Polizisten, die Besucher in Empfang nehmen. Danach eine Kontrollstation, ähnlich wie an Flughäfen. Erst dann erreicht man den Empfangstisch, neben dem die hauseigene Security wartet. Ab dem ersten Stock dann erlebt der Besucher das normale Durcheinander einer Zeitungsredaktion. Die Chefredaktion ist im fünften Stock.

Can Dündar kommt auf die Minute pünktlich. Vor einer Woche wurde er zu sechs Jahren Haft verurteilt, weil er Staatsgeheimnisse verraten haben soll. Kurz vor der Urteilsverkündung entkam Dündar nur knapp einem Attentat im Gerichtssaal. Auf die Frage, wie es ihm denn nun geht, zeigt er auf ein Blatt Papier mit den Interviewterminen für den Tag. „Ich komme nicht mehr zum Arbeiten“, stöhnt er.

taz.am wochenende: Herr Dündar, hegt Präsident Erdoğan einen persönlichen Groll gegen Sie?

Can Dündar: Nun ja, Diktatoren lieben es nicht, wenn sie kritisiert werden.

Gegen andere Kritiker geht er aber nicht mit dieser unglaublichen Vehemenz vor und nimmt persönlich Stellung. Da regeln es meist Er­do­ğans Anwälte.

Ich weiß auch nicht, warum er mich so gar nicht mag. Vielleicht wegen eines Dokumentarfilms den ich einmal über ihn gemacht habe und in dem es unter anderem auch um Korruption ging. Da ist er ja besonders sensibel.

Können Sie sich noch einigermaßen frei bewegen?

Can Dündar wurde 1961 in Ankara geboren. Er studierte Politikwissenschaft und Publizistik. Dündar schrieb für Zeitungen und produzierte Dokumentar– und Spielfilme. Lange Jahre war er zudem als Moderator politischer Talkshows tätig, bevor er die Chefredaktion der linkskemalistischen Cumhuriyet übernahm.

Die Polizei hat mir nach dem Attentatsversuch, während des Prozesses am letzten Freitag vier Personenschützer geschickt, die mich nun überall hinbegleiten. Draußen werde ich gefahren, ein anderes Fahrzeug fährt zur Sicherheit hinterher. Ich komme mir schon fast vor wie Staatspräsident Erdoğan, dem ich das alles verdanke.

Rechnen Sie denn mit einem neuerlichen Angriff?

Man kann es nicht ausschließen. Schließlich hat Erdoğan gedroht, ich werde für die Aufdeckung der illegalen Waffentransporte einen hohen Preis zahlen, und es gibt sicher etliche Anhänger unseres Präsidenten, die diese Drohung umsetzen wollen.

Hat Sie das Urteil im Prozess überrascht?

Ich habe damit gerechnet. Eigentlich hätten ich, ebenso wie Erdem Gül . . .

. . . der Hauptstadtkorrespondent der Cumhuriyet, der ebenfalls angeklagt ist . . .

Milo wurde als Milena geboren. Er wollte ein Mann sein und wurde es, auch ohne Hormone und Operation. Ein Trans*mann erzählt von seinem Weg zu sich selbst – in der taz.am wochenende vom 14./15./16. Mai. Außerdem: Österreich vor der Stichwahl des Bundespräsidenten: Kann die Regierungspartei SPÖ den Erfolg der rechten FPÖ noch verhindern? Ein Lagebericht. Und: Versandhändler liefern sich einen harten Wettstreit. Was sie tun, damit das Paket schnell zum Kunden kommt. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

. . . freigesprochen werden müssen. Aber das traut sich ja kein Richter.

Weshalb?

Erdoğan hat, nachdem das Verfassungsgericht unsere U-Haft für verfassungswidrig erklärt hatte, öffentlich gesagt, er akzeptiert diesen Spruch des Verfassungsgerichts nicht. Da ist es schwierig für einen Richter eines normalen Strafgerichts, diesem Druck zu widerstehen. Immerhin hat das Gericht den Vorwurf der Spionage fallen gelassen und auch die angebliche Mitgliedschaft in einer Terrororganisation erst einmal abgetrennt, und wir können in Freiheit auf unsere Berufungsverhandlung warten.

Wann soll denn die Entscheidung des obersten Berufungsgerichts kommen?

Damals: Cumhuriyet ist die Mutter aller Zeitungen in der Türkei. 1924 gegründet, war sie bis in die 1950er Jahre praktisch das kemalistische Staatsorgan und eng mit der Republikanischen Volkspartei CHP liiert. Seit der Einführung des Mehrparteiensystems war das Verhältnis zur CHP weniger eng, wenn auch die Cumhuriyet weiterhin das Sprachrohr der kemalistischen Intelligenz blieb. Erst in den 1990er Jahren wurde die Zeitung pluralistischer.

Heute: Da Cumhuriyet einer Familienstiftung gehört, blieb die Zeitung von der Kommerzialisierung verschont. Cumhuriyet ist heute eine linksliberale Zeitung, der zunehmend die Rolle der Hauptoppositionszeitung gegen die AKP zufällt. Das Blatt hat eine tägliche Auflage von rund 65.000.

Das kann dauern. Mein Eindruck ist, die Richter dort legen das Verfahren erst einmal auf Eis und wollen warten, bis sich die Lage etwas beruhigt hat. Rein juristisch müssten sie uns freisprechen, aber das ist eben ein politisches Verfahren. Am Ende können wir ja auch noch zum Europäischen Gerichtshof nach Straßburg gehen. Bis zu einem endgültigen Urteil werden noch Jahre vergehen.

Nicht nur Sie persönlich werden bedroht, ihre Zeitung wurde schon angegriffen, etliche andere Journalisten angeklagt und teils verurteilt. Zum einen wegen Beleidigung des Präsidenten, aber auch wegen der Veröffentlichung der Titelseite der französischen Satirezeitung Charlie Hebdo. Haben die Mitarbeiter von Cumhuriyet Angst?

Sehen Sie, Cumhuriyet ist mit 92 Jahren die älteste Tageszeitung der türkischen Republik. Cumhuriyet wurde immer wieder angegriffen. Insgesamt sieben Journalisten von Cumhuriyet sind im Laufe der Jahre ermordet worden. Die Journalisten und Journalistinnen von Cumhuriyet sind mutig, sonst würden sie gar nicht hier arbeiten. Aber natürlich haben einige auch Angst und das aus gutem Grund. Wir sind ja nicht nur bei Erdoğan-Anhängern verhasst, es gibt auch konkrete Drohungen des IS wegen unseres Engagements in der Charlie-Hebdo-Affäre. Bei einer Anti-IS-Razzia ist der Polizei kürzlich eine Liste mit Attentatszielen in die Hände gefallen und Cumhuriyet stand da ganz oben mit drauf.

Sie kritisieren, dass die EU die schlechte Menschenrechtslage in der Türkei, die Repression gegen Kurden und die Unterdrückung von Meinungs- und Pressefreiheit einfach ignoriert und damit ihre eigenen Werte verrät. Jetzt weigert sich das EU-Parlament, über die ­Abschaffung des Visazwangs für türkische Bürger zu dis­kutieren, weil Erdoğan eine Änderung der Antiterrorgesetze ­ablehnt. Ist das in ihrem Sinne?

Die angebliche Abschaffung des Visazwangs war doch von Anfang an eine große Lüge. Weder hat die türkische Regierung ernsthaft damit gerechnet und schon gar nicht die EU ernsthaft vorgehabt, den Visazwang für Türken aufzuheben. Das war ein Betrug der türkischen Bevölkerung als Teil des schmutzigen Flüchtlingsdeals zwischen Erdoğan und Merkel. Erdoğan hatte nie vor, diese unsäglichen Antiterrorgesetze zu ändern. Damit regiert er ja, das ist ja ein Kernelement seiner Herrschaft. Das weiß man natürlich auch in Brüssel.

Soll die Europäische Union besser gar nicht mehr mit Erdoğan reden, sondern ihn möglichst isolieren?

Nein, dann würde man ihn ja ganz nach Osten treiben. Man soll mit ihm reden, ihn einbinden, aber gleichzeitig immer die undemokratische Entwicklung hier kritisieren. Stattdessen hat Frau Merkel bei ihren zahlreichen Besuchen hier nie ein Wort dazu gesagt.

Wie geht es in der Türkei jetzt politisch weiter? Wird Erdo­ğan seine Präsidialverfassung durchsetzen?

Mit Erdoğan geht es zu Ende, er findet ja noch nicht mal mehr einen Ministerpräsidenten. Nein, ernsthaft, bislang fehlt ihm für eine neue Verfassung die Unterstützung aus anderen Parteien. Die AKP hat jetzt angekündigt, statt einer komplett neuen Verfassung die existierende erst einmal schrittweise im Sinne Er­do­ğans zu verändern. Zunächst soll er auch als Staatspräsident wieder Parteichef werden dürfen. Dafür wollen sie jetzt die rechtsextreme MHP ins Boot holen. Wenn ihm eine Quasikoalition mit der MHP gelingt, wird es düster.

Das türkische Parlament will demnächst über die Aufhebung der Immunität von Abgeordneten abstimmen, gegen die die Staatsanwaltschaft ein Verfahren in der Schublade liegen hat. Das würde vor allem die ­kurdische HDP treffen. Trotzdem hat der Chef der sozialdemokratischen CHP, Kemal Kı­lıç­da­roğlu, angekündigt, seine Partei sei für die Immunitätsaufhebung. Warum macht er das?

Kılıçdaroğlu hat Angst, von der AKP zu sehr in die Nähe der Kurden gerückt zu werden, womöglich als Unterstützer der PKK bezeichnet zu werden. Es ist eine Schande, aber die CHP ist keine linke Partei. Die Türkei braucht endlich eine linke Partei.

Sie wären ja geradezu dazu prädestiniert, eine zu gründen.

Ja, das ist mir schon von etlichen Leuten angetragen worden. Aber ich bin Journalist, und das würde ich auch gerne bleiben.

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